Leo grinste. »Du bist der gleiche freundliche Fettsack wie eh und je.«
Chester schnaubte und griff nach einer weiteren Schraube. »Das is so ziemlich das Beschissenste, was einem der Partner antun kann, Mann. Egal ob's ne Olle ist oder ein Kerl.« Leo zweifelte jedes Mal daran, dass Chester Anwalt war, wenn er ihn so reden hörte. Und das Verrückte war, der Mann verdiente unverschämt viel Geld. »Wenn du irgendwas gegen ihn der Hand hättest ... Wir könnten ihn hochgehen lassen. Hat er immer pünktlich seine Steuern bezahlt? Irgendwelche Strafzettel? Falsch parken? Ich dreh daraus schon was.«
Das leise Lachen konnte Leo nicht zurückhalten. »Ich weiß das sehr zu schätzen, aber nein. Danke. Das, was er getan hat, ist unverzeihlich. Und ich will es hinter mir lassen. Ein für alle Mal.«
Erneut knarrte das Holz, als die letzte Schraube hineingedreht wurde und sie damit begannen, den Korpus des Bettes an die richtige Stelle zu schieben. »Ich schwöre dir, sollte mir dieser Penner noch mal über den Weg laufen, werde ich mit Vorhaltungen nicht sparen.«
»Ich weiß deine Loyalität sehr zu schätzen, Chester.« Der grummelte und griff nach dem Lattenrost. »Wir sind Freunde. Auch wenn ich dieses ganze Schwulending nicht kapiere. Muss ich ja auch nich. Es ist dein Leben und du musst dich damit glücklich fühlen. Jeder so wie er mag. Aber diese Betrugskiste, bah!« Mit einem Klappern fiel das Lattenrost an seinen Platz. »Das ist das Hinterletzte. Da macht man Schluss, bevor so was passiert. Jeder Mann, der so was macht, hat keine Eier in der Hose. Schwul hin oder her.«
Viele Menschen, die Chester nicht kannten, hätten sich an seiner Art gestoßen. Es als despektierlich angesehen. Doch Leo kannte ihn besser. Chester war in einer christlichen Familie aufgewachsen, in der noch so etwas wie alte Werte vermittelt worden waren. Homosexualität war als etwas Schlechtes und Verwerfliches anzusehen.
Leo wusste noch genau, wie Chester herausgefunden hatte, dass sein Kumpel schwul war. Sie waren beide 19 gewesen. Für Chester ein Schock, der in drei Monaten absoluter Funkstille gegipfelt war. Leo hatte damit gerechnet, seinen Freund nie wieder zu Gesicht zu bekommen. Bis er auf der der Türschwelle gestanden hatte, ein Sixpack Bier in der Hand, eine Tüte mit DVD in der anderen. In Leos Zimmer hatten sie gesessen, das Bier getrunken, die Filme geschaut und nur sehr wenig gesprochen.
»Du bist mein Freund, Alter«, hatte Chester dann irgendwann zwischen Iron Man 1 und Iron Man 2 gesagt. »Und wenn du lieber Bananen magst anstatt Pflaumen, dann ist das so. Dieser ganze Höllen- und Fegefeuer-Mist ist doch sowieso überholt. Aber damit eins klar ist! Ich will keine von deinen Bettgeschichten hören, okay? Find ich nicht geil, muss ich nicht haben. Danke. Und jetzt gib mir noch ein Bier.«
Und mit diesem verqueren Geständnis war das Thema abgehakt gewesen. Über die Jahre war diese Grenze aufgeweicht, Chester hatte sehr wohl ein Ohr für seinen Freund. Auch wenn Details nach wie vor lieber unerwähnt blieben. Doch Leo wusste, was er an diesem ungewöhnlichen Mann hatte. Der für ihre Freundschaft über seinen eigenen Schatten sprang und etwas akzeptierte, das er weder verstand noch guthieß.
»Hast du ihn noch mal gesprochen?«, fragte Chester jetzt und riss Leo damit aus seinen Gedanken, während sie das zweite Lattenrost an Ort und Stelle hievten und dann die Matratzen darauflegten. So langsam nahm das Boxspringbett Formen an.
»Nein. Und das soll auch so bleiben.«
Chester nickte. »Wusste er eigentlich hiervon?« Er deutete zur Decke und meinte damit das Haus. Oder eher das, was damit verbunden war.
»Er wusste von Tante Fannys Tod. Aber nicht, dass sie mir das Geld vererbt hat. Und schon gar nicht, wie viel es war.«
»Wäre ja auch noch schöner, dann hätte er vermutlich alles daran gesetzt, dich zu halten, dieser berechnende Drecksack. Ich sag dir das jetzt als guter Freund, wenn du den je wieder zurück nimmst, breche ich dir beide Arme.«
Leo lachte auf. »Nun, als Freund sage ich dann wohl danke. Keine Angst. Es ist zwar eine Umstellung, aber ich bin kein Idiot. Auch wenn er mir fehlt. Das ist etwas, das ich nicht verzeihen kann.«
»Na, ein Glück.« Chester richtete sich auf und streckte sich. »Können wir jetzt runter in den Flur gehen und dort streichen? Ich sehe dieses Grün als eine persönliche Beleidigung an. Mir wäre um ein Haar mein Mittagessen wieder hochgekommen bei dem Anblick.«
»Das kann ich natürlich nicht verantworten.« Einladend deutete Leo auf die Tür.
»Nah, ist schon gut. Als Schmerzensgeld kannst du mir was von eurem Karamellbruch einpacken. Dann passt das schon.«
Leo grinste. »Das lässt sich sicherlich einrichten.«
»Es ist so schön, dass ihr mal wieder vorbeigekommen seid.« Die Augen seiner Mutter glänzten vor Freude, ihr Lächeln zog den Gürtel um Calvins Herz noch enger zusammen. Lange blieb ihr Blick auf Cal liegen und wie so oft fragte er sich, ob sie etwas ahnte. Ob sie hinter die Maskerade blicken konnte. Doch schließlich richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Paul und es tat weh zu sehen, wie liebevoll sie ihn ansah. Sie liebte diesen Mann wie einen Sohn, wie ihn, Calvin, selbst. Immer, wenn ihm das bewusst wurde, war er froh, dass sein Spiel so gut funktionierte.
»Ja, es ist ja auch wirklich schon wieder ewig her«, antwortete Paul freundlich.
»Na ja«, lachte Calvins Mutter, »Weihnachten ist noch gar nicht so lange her. Aber wie dem auch sei, ich freue mich über jeden Besuch von euch. Möchtet ihr etwas trinken? Wie wäre es mit einer Weißweinschorle?«
»Nein, danke, mir reicht Wasser«, antwortete Calvin.
»Ach, ein Gläschen kann ja nicht schaden«, sagte Paul zeitgleich. Calvin bemühte sich um ein einlenkendes Lächeln und darum, nicht zu seinem Freund zu sehen.
»Na gut, dann ein Gläschen«, gab Cal nach.
Sie schwiegen, während seine Mutter den Weißwein, das Mineralwasser und Gläser holte.
»Wie geht es dir, Mum?«, fragte Calvin schließlich, was seine Mutter zum Lachen brachte.
»Du schaust mich immer so besorgt an, dabei geht es mir wirklich gut. Ich soll euch übrigens lieb von Gerda grüßen.« Eine hellbraune Haarsträhne löste sich aus der Spange, die sie auf dem Hinterkopf trug und Calvins Mum schob sie sich hinter das Ohr, während ihr Sohn aufhorchte.
»Oh, wie geht es Tante Gerda?«
»Gut. Wir waren vor Kurzem zusammen in diesem neuen Shoppingcenter, was sie immer in der Radiowerbung anpreisen. Ich muss schon sagen, es ist wirklich enorm groß, aber auch geräumig und es gibt Läden dort, die gibt es nicht überall. Vielleicht hat sich der Bürgermeister glatt mal zu etwas Gutem überreden lassen. Jedenfalls habe ich mir einen neuen Wintermantel gekauft. Die machen jetzt schon Ausverkauf. Und deine Tante hat sich ein Paar Schuhe geholt.« Sie rümpfte die Nase. »Ich sage euch, das waren vielleicht Teile! Ich könnte auf solchen Dingern nie laufen! So hoch!« Sie zeigte mit den Händen die Absatzhöhe an - und übertrieb dabei ein wenig, da war sich Calvin sicher. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Paul einen großen Schluck von der Schorle nahm und anschließend lachte.
»Das klingt ja halsbrecherisch. Ich hätte allerdings gedacht, dass Gerda schon genug Schuhe hat.«
Calvins Mum schnalzte mit der Zunge. »Für diese Frau gibt es kein genug.« Wieder lachte Paul. Calvin nippte an seinem Glas und stellte es dann auf dem Stubentisch ab. »Jedenfalls hat sie gerade ein paar Probleme mit Pino. Der kleine Kläffer stellt ihr die Bude auf den Kopf, wenn sie nicht da ist. Ich muss sagen, ich fand die Geschichten sehr amüsant. Sie hat schon einen Sessel und eine Pfanne eingebüßt.«
»Eine Pfanne?«, fragte Calvin ungläubig. »Wie hat er die denn kaputt bekommen?« Er griff nach einem Sofakissen und zog es sich auf den Schoß, lehnte sich zurück.
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