»Hat Tom dir gegenüber diese Frau schon einmal erwähnt?« Lydia atmete schwer aus.
»Ich weiß schon, dass er seit dem vergangenen Sommer eine neue Sekretärin hat. Er hat mir aber nie gesagt, dass sie so jung und blond ist und noch dazu eine Bombenfigur hat. Vermutlich hat er es verschwiegen, weil er wusste, dass mich das eifersüchtig macht. Ich war ein Kotzbrocken in der Schwangerschaft, war wegen allem beleidigt oder wehleidig.«
»Und was ist auf der Weihnachtsfeier passiert? Ich meine, irgendwas muss dich ja zum Nachdenken gebracht haben. Affäre. Das ist ein ganz schön heftiger Vorwurf.« Lydia wirkte nachdenklich, kniff die Augenbrauen zusammen.
»Die Sekretärin saß die ganze Zeit über neben Tom. Ich habe links von ihm, sie auf der rechten Seite gesessen. Nicht, dass er neben irgendeinem seiner männlichen Kollegen, von denen es so viele in der Abteilung gibt, gesessen hätte. Nein! Er musste sich ausgerechnet neben seine attraktive Sekretärin setzen.« Lydia senkte erneut den Blick.
Von Eifersucht zernagt redete sie weiter: »Er hat sich mehr mit ihr unterhalten, als sich um mich zu kümmern. Wenn nicht dieser vertraute Blickkontakt zwischen ihnen gewesen wäre. Und wie sie miteinander gelacht haben. Nicht eine Sekunde lang hat er seine Tochter vermisst.«
Bei dem letzten Satz brach Lydia erneut in bittere Tränen aus. Rebecca versuchte sie zu trösten und sagte: »Er wollte bestimmt bloß einen netten Abend haben. Da vergisst man schnell alles um sich herum.«
»Aber …«, unterbrach sie Rebecca.
Unter Tränen und mit zitternder, lauterer Stimme sagte sie: »Es war das erste Mal, dass wir einen Abend gänzlich ohne Lea hatten! Ich habe sie schon im Auto vermisst und Tom hat nicht einmal über unser Baby gesprochen. So als gäbe es gar keine Tochter für ihn. Findest du das nicht komisch?«
Lydia schaute Rebecca mit ihren roten, verheulten Augen an. »Wenn ihm was an seinem Kind liegt, würde er sie genauso schrecklich vermissen, wie ich es tue, und nicht mit seiner Sekretärin in Anwesenheit seiner Ehefrau flirten.« Sie klang gereizt und wütend.
»Kann es nicht sein, dass du zu viel hineininterpretierst? Dass du seine Freundlichkeit ihr gegenüber als sexuelle Anziehung missverstehst?«
Lydia schaute Rebecca ungläubig an, zog die Stirn in Falten. »Meinst du im Ernst, Tom geht fremd und setzt sich neben seinen Seitensprung? Ein Mann würde das doch unter allen Umständen verhindern und es so aussehen lassen, als ließe sie ihn absolut kalt.« Lydia hielt kurz inne, überlegte, ob es nicht doch so sein konnte, wie Rebecca sagte.
Scheinbar unbeeindruckt von den Worten gab Lydia noch mehr Details preis: »Wenn es nur die Gespräche gewesen wären. Am späten Abend wurde auch getanzt. Die Weihnachtsfeier fand in einem größeren Saal einer Gaststätte statt. Anstatt mich zum Tanzen aufzufordern, hat er mit Denise getanzt. Dieses … Flittchen … hat sich an ihn herangemacht! Wie nah sie ihm war und wie sie miteinander gelacht haben. Erst später hat er mit mir getanzt, aber weit weniger zärtlich und innig als mit Denise.«
»Das muss doch aber noch lange nicht heißen, dass die beiden miteinander schlafen.«
Lydia lief eine dicke Träne die Wange hinab, was Rebecca tiefes Mitgefühl empfinden ließ. »Was soll ich bloß tun, Beccy? Ich sehe furchtbar aus! So unförmig. Meine Haare sind fettig, die Haut ist unrein.« Lydia rieb sich die Stirn, als säße dort ein Teufel, den sie abschütteln wollte.
»Aber was das Schlimmste ist: Ich kann nicht mehr mit Tom schlafen, weil ich mich so unwohl bei dem Gedanken fühle, dass er mich widerlich und abstoßend findet.«
Lydia schüttelte resigniert den Kopf, bevor sie einen letzten, bedeutungsschwangeren Satz aussprach: »Ich wünschte, ich könnte mit ihm über alles reden.« Rebecca horchte auf. Bisher dachte sie, Tom und Lydia würden eine durch und durch harmonische Beziehung führen, könnten über ihre Gefühle sprechen und nur sie und Paul wären eine Ausnahme.
Lydia hielt kurz inne, bevor sie zerknirscht und mit verheultem Gesicht sagte: »Nach der Weihnachtsfeier habe ich Tom gefragt, ob er sich zu Denise hingezogen fühlt. Er ist dem Gespräch aus dem Weg gegangen. Er hat noch nicht einmal versucht zu dementieren, verstehst du? Die Frage, ob er mit ihr eine Affäre hätte, hat er nicht verneint!«
»Und du schließt daraus, dass er die Beziehung zu ihr verheimlicht? Vielleicht kann er es nur nicht verstehen, dass du ihm so etwas unterstellst. Denn …« Rebecca machte eine kleine Kunstpause, atmete noch einmal tief durch, um ihrer Freundin Mut zuzusprechen: »Wie er mit Lea umgeht, das macht doch kein Mann, der seiner Familie untreu wird.«
Lydia schaute Rebecca mit ihren großen, hochroten Augen an. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Das ist deine Meinung. Ich traue Tom ein Doppelleben zu. So spät, wie er manchmal nach Hause kommt, befürchte ich, dass er sich den Sex, den ich ihm schon seit fast einem Dreivierteljahr entziehe, woanders sucht.« Sich diese Tatsache einzugestehen, musste Lydia nicht leicht gefallen sein. Sie betrachtete ihre schlafende Tochter. Ohne den Kopf zu heben, sagte sie: »Wenn Tom mich wirklich betrügt, dann werde ich …«
Lydia kämpfte wieder mit den Tränen. »Zum Wohle unserer Tochter würde ich ihn nicht verlassen. Ich liebe Tom. Lea braucht einen Vater.«
Rebecca rückte näher an ihre Freundin heran und protestierte energisch: »Lydia, nein! Das kannst du dir nicht ernsthaft auferlegen wollen! Deine Tochter braucht einen Vater, der ehrlich mit dir ist und keinen, der ein Doppelleben führt. Du kannst doch nicht den Rest deiner Tage unglücklich sein wollen!«
Gequält presste sie hervor: »Und was wird aus dem Leben, das wir uns aufgebaut haben? Was wird aus dem Haus? Wir bezahlen es beide ab, und das noch auf viele Jahre.« Genau wie sie und Paul!
Rebecca hatte gehofft, Lydia von ihren eigenen chaotischen Gefühlen erzählen zu können. Aber das brachte sie nicht übers Herz. Ihre naiven Emotionen kamen ihr unbedeutend und geradezu lächerlich vor gegenüber der sich anbahnenden Ehekrise ihrer Freunde.
»Lydia?« Tom stand unten im Hausflur und rief nach seiner Frau. Seine Stimme kam Rebecca mit einem Schlag viel kälter vor. Sie beschloss, Paul diskret zu befragen und ihre Freundin nicht weiter zu belasten. »Lydia? Wo seid ihr denn?«, ertönte es erneut. »Ich dachte, wir wollten noch einen Wein zusammen trinken?«
»Gleich!«, rief Lydia zurück.
Sie wischte sich mit dem weiten Pulloverärmel die Tränen aus dem Gesicht. »Ich sehe verheult aus, richtig?« Rebecca nickte. »Geh runter und sage Tom, dass die Kleine nicht einschlafen will. Ich komme nach, sobald ich mich beruhigt habe.« Rebecca nahm Lydia fest in den Arm und drückte sie an ihre Brust, bevor sie nach unten ging.
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