„Es sind nicht nur Familienangehörigen. Es kann sich auch um alte Freunde handeln, die sich irgendwann in ihrem Leben aus den Augen verloren haben.“ entgegne ich ausweichend.
„Das kommt schlussendlich aufs Gleiche an. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“ Oliver dreht sich zur Seite, stützt sich auf seinem linken Arm ab und sieht mich eindringlich an. Ich lege mich auf den Rücken und sehe an die Decke.
„Wo soll ich beginnen?“
„Beim Anfang?“
Es ist zwar kein Geheimnis, warum ich meinen Job mache und doch ist es eine ganz private Geschichte. Ich hole tief Luft. „Vor fünf Jahren ertrug Tina, meine Schwester, den Gedanken nicht mehr, nicht zu wissen, wer ihre leiblichen Eltern sind. Sie hatte das Gefühl, als wisse sie nicht, wer sie ist. Sie bekam einfach keine Ruhe mehr, bis ich ihr angeboten habe ihr zu helfen, nach ihnen zu suchen.“
„Tina ist deine Adoptivschwester?“ fragt er mich ganz überrascht.
„Ja. Was aber nicht heisst, dass ich sie nicht wie eine echte Schwester betrachte. Wir verstanden uns immer gut. Dieses Wissen, dass sie nicht aus gleichem Fleisch und Blut ist, wie ich, hat uns eher zusammengeschweisst als auseinander gebracht.“
„Ist sie nicht älter als du?“
„Du möchtest wissen, warum ich eine Adoptivschwester habe?“ Ich warte seine Antwort gar nicht erst ab. „Meine Eltern versuchten mehrere Jahre ein Kind zu bekommen. Niemand fand einen wirklichen Grund für ihre Unfruchtbarkeit heraus und irgendwann haben sie die Hoffnung aufgegeben ein eigenes Kind zu bekommen und haben sich für eine Adoption entschieden. Tina, die in einem Babyfenster abgegeben wurde, kam mit acht Wochen zu meinen Eltern. Sie umsorgten und liebten sie vom ersten Tag an, an dem sie zu ihnen kam. Sie behandelten sie immer, als wäre sie ihr eigen Fleisch und Blut. Sie waren endlich eine glückliche Familie. Zwei Personen die sich von Herzen liebten, denen nach verzweifelten Versuchen schwanger zu werden, ein Mädchen geschenkt wurde. Nie im Traum hätten sie erwartet, dass meine Mutter zwei Jahre später im Spital liegen würde, um ein Kind zu gebären.“
„Deine Augen bekommen ein ganz besonderes Leuchten, wenn du von deinen Eltern sprichst. Du musst sie wirklich gern haben.“
„Ja. Sie bedeuten mir sehr viel.“
„Bewahre diese Liebe gut in deinem Herzen auf. Behandle Sie wie einen kostbaren Schatz. Denn ein solches Geschenk bekommen nicht alle.“ Obwohl er versucht nicht sarkastisch zu klingen, schwingt doch ein spöttischer Unterton in seiner Stimme mit.
Ich drehe mich zu ihm um, um in sein Gesicht sehen zu können, das zu einer starren Maske geworden ist. Nicht sicher, ob er sich von mir berühren lässt, strecke ich vorsichtig meine Hand nach ihm aus und lege sie auf seine Wange.
„Es tut mir leid, dass du keine solche Geborgenheit in deiner Kindheit erleben durftest, aber du hast...“
„Ich brauche dein Mitleid nicht, Verena.“ Seine Augen haben jeglichen Glanz verloren, den sie noch vor wenigen Minuten besessen haben. Sein Blick wirkt hart und kalt, als er sich aufsetzt. „Ich konnte gut auf die Liebe verzichten, die mir meine Eltern nicht geben wollten. Und ich kann es noch heute. Sieh mich an.“ Er zeigt mit seinem Zeigefinger auf sich. „Ich habe es weit geschafft und das alles ohne die Hilfe meiner Erzeuger. Warum versuchst du eigentlich nicht mehr, mich zu einem Treffen mit meiner Mutter zu bewegen? Es lag dir vor einigen Tagen noch so sehr am Herzen, warum jetzt nicht mehr?“
„Oliver“ sage ich kaum hörbar. Seine Frage bringt mich etwas aus der Fassung, aber überrascht bin ich nicht wirklich. Ich wusste, dass dieser Moment eines Tage kommen wird, nur habe ich gehofft, dass es noch eine Weile dauern wird, damit ich ihm eine ehrliche Antwort geben kann, wozu ich heute noch nicht in der Lage bin, weil mein Mut mich verlassen hat.
Ich verstehe seine Abneigung gegenüber seinen Eltern, aber dass er sich selbst so sehr belügt, macht mich traurig. „Ich wollte dich nicht verärgern. Und ja, du hast es verdammt weit gebracht, worauf du sehr stolz sein kannst.“
Er sieht mich abwartend und fragend an. Fieberhaft suche ich nach einer geeigneten Erklärung. „Weisst du noch, was du mir bei unserem Treffen gesagt hast?“
„Was?“ Er klingt wütend und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an.
„Du hast mir genug deutlich erklärt, dass du deine Mutter weder hören noch sehen möchtest und das habe ich akzeptiert. Es ist ganz allein deine Entscheidung.“
„Da hast du vollkommen Recht.“ Oliver drückt mir einen Kuss auf die Stirn und steht auf, um seine Kleider zusammen zu sammeln.
„Was hast du vor?“ frage ich ihn, während er sich anzieht.
„Es ist schon spät. Ich sollte jetzt gehen.“
„Bleib doch hier. Warum möchtest du schon wieder gehen?“
„Ich kann nicht.“
„Warum nicht? Hat es irgendwas mit dem zu tun, über das wir soeben gesprochen haben?“
„Ich bin seit meinem achten Lebensjahr alleine und das wird sich nicht ändern. Ich brauche meine Freiheit.“
„Wenn du das brauchst, möchte ich dir nicht im Weg stehen. Übernachtest du wieder in einem Hotel?“ Ich kann meine Bedrückung nicht verbergen, aber Oliver scheint es gar nicht zu bemerken.
„Mitchell fährt mich nach Hause.“
Ich begleite Oliver durch meine Wohnung. An der Tür greife ich nach seinem Arm und drehe ihn zu mir um. „Wenn ich dir zu nahe getreten bin, tut es mir leid. Ich wollte mich nicht aufdrängen.“
„Das hast du nicht. Ich melde mich bei dir.“ Er bückt sich zu mir nieder und küsst mich kurz auf den Mund.
Obwohl ich ihm seine Worte nicht wirklich glauben kann und ich mich abgewiesen fühle, lächle ich ihm trotzdem zu, als er mir nochmals einen Blick über seine Schulter zurückwirft, bevor er im Treppenhaus um die Ecke verschwindet.
Ich sollte mich glücklich schätzen, dass so ein Typ wie Oliver Falk mich zur Kenntnis genommen hat. Wir haben einige schöne, interessante Stunden miteinander verbracht, die frei von jeglichen böswilligen Gefühlen oder Gedanken waren. Wir haben viel miteinander geredet, gelacht und uns geliebt und dennoch schlägt mein Herz in einem beunruhigendem Takt, wenn ich an seinen verschlossenen Gesichtsausdruck denke, den er in unserer letzten gemeinsamen Minuten aufgesetzt hatte.
Ich versuche mich von meinem inneren Aufruhr zu beruhigen und nehme eine kühle Dusche, da mein Körper sich immer noch erhitzt anfühlt, von Olivers sanften und wohltuenden Berührungen.
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