sie fuhr den Traktor an die Seite.
„Ganz niedlich“, dachte sie, „sich ausgerechnet hier einen Abstellplatz zu suchen. Halb versackt, wie der Wagen ist, dürfte das sogar ein Dauerparkplatz werden.“
Erst danach entdeckte sie, dass der Tümpel anscheinend bewohnt war; eine Gestalt hockte neben dem Wagen im Wasser und wedelte mit einem Arm, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
„Der Meisterfahrer schwenkt wohl die weiße Fahne“, dachte sie nicht ohne Häme und schlich misstrauisch ein paar Schritte heran.
Herold witterte die Erlösung aus der ansonsten hoffnungslosen Situation, obwohl er sich einen lieblicheren Rettungsengel gewünscht hätte als einen schlampig gekleideten Bauerntrampel auf einer altersschwachen Rostmühle.
Von der einen Sekunde zur anderen verwandelte sich seine pure Arroganz jedoch in Verblüffung. Die himbeerroten Lippen in dem jungen Gesicht, das aus dem fleckigen Arbeitskittel herauslugte, ließen ihn fast seine durchtränkte Montur vergessen. Schon ein einziger Blick aus ihren lebhaften Augen genügte, seine inzwischen versickerte Euphorie wiederzubeleben.
„Ich schwöre“, sagte er, „ich bin sonst eine überaus imposante Erscheinung. Nur so, wie ich im Moment aussehe, habe ich furchtbar schlechte Karten. Aber können Frauen nicht mit ihrem Blick Dreckschichten durchdringen und den attraktiven Kern eines Kerls trotzdem erkennen?“
Dinah öffnete den Mund für eine Antwort, aber verkniff sich dann doch eine böse Bemerkung.
„Dem geht es anscheinend noch nicht dreckig genug oder er ist beim Ausrutschen mit dem Kopf auf einen Stein gefallen“, dachte sie stattdessen in einem ersten Anfall von Spott.
In der Hoffnung, bald von Dreckkrusten und feuchter Unterwäsche befreit zu werden, lief Herold aber dann zu einer beängstigenden Form auf, sodass Dinah fast die Luft wegblieb.
„Ich bin ein von der Bankenkrise gebeutelter verwunschener Finanzmanager und möchte mich ab sofort den zuverlässigen und stabilen Werten dieser Welt zuwenden, zum Beispiel einem ergiebigen Stück Ackerland und einer Milchkuh. Besteht da bei Ihnen möglicherweise eine Chance einzusteigen?“
Auf den Mund gefallen war Dinah sicher nicht; sie gab ihm kräftig Kontra.
„Was denn“, fuhr sie ihm in die Parade, „halten Sie mich denn für eine Milchkuh, in der Sie Ihre letzten Euros investieren wollen? Und, Sie verkanntes Finanzgenie, eines sag ich Ihnen gleich: Für Ihr abgesoffenes Auto könnte ich Ihnen höchstens unser ältestes Suppenhuhn anbieten.“
Das hätte sie lieber nicht sagen sollen; denn Herold verließ die Kraft, als er in ein sich überschlagendes Lachen ausbrach, sodass er ein weiteres Stück in der Brühe versackte.
III.
So tief, wie die Karre im Dreck steckte, - natürlich war dies nicht ihre sondern seine trockene Art, die Situation zu beschreiben-, war an Abschleppen im Moment nicht zu denken.
Dinahs Traktor hatte 20 Jahre auf dem Buckel; der Motor hatte die Grenze seiner Leistungsfähigkeit längst erreicht.
Schließlich blieb ihr nichts Anderes übrig, als dem schlammgrauen Piloten des roten U-Bootes eine Generalüberholung auf ihren Hof anzubieten.
Auf den Traktor ließ sie ihn erst hinauf, als er sich grob vom Schlamm gesäubert hatte; dazu war die Decke auf dem Rücksitz seines Autos doch noch von Nutzen. Dinah rückte ein Taschentuch heraus und entfernte eigenhändig die Dreckspritzer aus seinem Gesicht.
„Das erleichtert die Identifizierung bei der Polizei, falls Sie sich doch noch als Trickverbrecher entpuppen“, begründete sie ihre Beharrlichkeit und Sorgfalt dabei. Sie amüsierte sich heimlich darüber, wie schweigsam er bei dieser Prozedur war. Auf einen gelegentlichen Augenkontakt über den sehr kurzen Weg aber verzichtete er nicht. Dinah fand die Gesichtszüge, die sie soeben freilegte, sehr anziehend.
Herold hätte es für eine gewaltige Untertreibung gehalten, wenn jemand das Profil seiner Traktoristin so beschrieben hätte. Auf den seitlichen Beifahrersitz gequetscht, hatte er sie während der ganzen Fahrt im Blick und lernte dabei jedes Detail ihrer Wangen, ihrer Lippen und ihrer Stirn auswendig.
Auf halbem Wege begann Herold erst kaum vernehmlich, dann aber mit sonorer Stimme eine Live-Reportage vom Ort de Geschehens.
„Liebe Zuhörer in der großen weiten Welt, wo es zurzeit hoffentlich mal nicht regnet! Unsere Retterin und Gastgeberin tritt den Beweis an: die ländliche Bevölkerung hat keine Vorurteile gegenüber den hier ungeschickt auftretenden Städtern. Sie ist ganz ohne Zweifel eine der reizvollsten Frauen, die je einen Traktor gelenkt hat, obwohl die ortsübliche Kleidung kaum etwas dazu beiträgt, ihre Attraktivität voll zur Geltung zu bringen. Aber sie trägt ja auch die Dienstkleidung einer Hofbesitzerin und Landwirtin!“
„Sie sind ja ein richtig geschwätziger Springteufel“, unterbrach sie ihn, aber zeigte dabei ihr schönstes Lächeln.
„Außerdem bin ich nicht die Bäuerin. Ich helfe nur ein paar Wochen aus, bis meine Eltern aus dem Krankenhaus kommen... “
Dinah unterbrach sich und blinzelte maliziös zu ihm hinüber.
„... nach einem Autounfall mit einem Besucher aus der Stadt!“
Beim Einschwenken auf den Hof erfuhr Herold dann noch aus erster Hand, dass es ihr Bruder war, der bald den Hof übernehmen werde.
IV.
Von dem Bruder selbst aber gab es keine Spur auf dem ganzen Hofgelände.
„Es sieht ja beinahe so aus, als hätten Sie den nur erfunden, damit ich keine Angst bekomme, hier mit Ihnen allein zu sein!“ versuchte er, sie zu ärgern.
Da läutete das Telefon; sie lauschte eine Weile und legte den Hörer dann achselzuckend auf.
„Der hat sich mal wieder freigenommen und feiert mit seinen Freunden Werweißwas bis morgen früh“, berichtete sie.
„Schon wieder dieser ominöse Bruder! Schon wieder kein Beweis, dass es ihn wirklich gibt!“ legte er nach.
Sie winkte lachend ab. Mit herabgesenkten Lidern ließ Dinah ihren Blick noch einmal über das schlammüberzogene Exemplar von Mann gleiten, das ihr für heute erhalten blieb. Alle Unsicherheit wich von ihr; eine Leichtigkeit kehrte ein, wie sie sie lange nicht gekannt hatte.
„Das ist ein ganz Lieber!“ dachte sie. „Der kann ruhig noch bleiben!“
„Und jetzt zurück in die Zivilisation!“ machte sie ihm Dampf. „Die Dusche ist links hinten.“
Bevor er sich auf den Weg machte, warf er ihr von der Tür aus einen langen Blick zu, den sie zurückgab, ohne die Augen niederzuschlagen.
Als er nach dem Duschen herein spazierte, nur mit einem Badetuch um die Hüften, zeigte sie keine Befangenheit, obwohl er es offensichtlich darauf anlegte, sie herauszufordern. Sie gab sich interessiert, aber ruhig.
In Wirklichkeit wurde ihr aber der Atem doch ein wenig knapp. Die feinporige und noch leicht vor Feuchtigkeit glänzende Haut seiner Schultern war zum Greifen nahe.
Danach greifen! Genau diese Versuchung spürte Dinah einen Moment lang. Als sie diesen Wunsch nur mühevoll unterdrücken konnte, wusste sie, dass ihre Zurückhaltung bei diesem Mann in größte Gefahr geriet.
Hinzu kam, dass Herold so lange an seinem Badetuch herumzupfte, bis sie spürbar unruhig wurde, den alten weißen Bademantel ihres Vaters heraussuchte und ihm diesen regelrecht aufdrängte.
Als Herold ihre Aufgeregtheit bemerkte, wurde ihm nach und nach deutlich, welch großen Appetit er inzwischen auf sie bekommen hatte.
Mittlerweile ahnte er auch, was alles unter ihrem groben Arbeitskittel verborgen war. Leichtfüßig und nach einem herben Parfüm duftend, tänzelte sie durch die Küche. Der weiße Leinenkittel, der sie eng umschloss, regte Herolds Vorstellungskraft gewaltig an.
Aber kurz darauf schwappten seine Fantasiebilder ins Leere und seine Hoffnungen für diesen Abend erhielten einen deutlichen Dämpfer. Sie zeigte ihm eilig das ehemalige Zimmer ihrer älteren Schwester und wünschte ihm eine gute Nacht. Das nannte er eine Verurteilung zur Einzelhaft nach vorheriger Aussicht auf Bewährung.
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