Jetzt war Sina völlig verwirrt, und wie immer, wenn es nicht weiterging und um Klarheit zu bekommen, rief sie ihren Bruder Gernot an, der selbst Anwalt war.
Wenig später meldete er sich.
„Ich habe Kontakt zu dem Notar aufgenommen. Er schlägt für morgen Nachmittag ein Treffen vor.“
Es war für Sina allerdings nicht verständlich, wieso das Treffen in Gernots Wohnung stattfinden sollte. Man bedenke: ein Notar macht einen Privatbesuch, statt in seine Kanzlei einzuladen.
Dass ihr Wohltäter selbst nicht dabei war, fand sie feige. Allzu gerne hätte sie ihn wiedergesehen, um ihm bei seinen verrückten Ideen Kontra zu geben und sich erneut mit ihm die Worte um die Ohren zu hauen und zu streicheln. Bei dem Gedanken daran konnte sie ihm schon nicht mehr böse sein.
III.
Gernot und Sina hatten nur eine kurze Zeit gewartet, als die Türglocke ging.
„Gehe schon“, rief Sina, da ihr Bruder gerade im Bad war.
Statt des von ihr erwarteten Notars im dunklen Anzug stand vor der Tür ihr Wohltäter selbst, leger gekleidet und mit einer Rose in der Hand.
„Ach“, begrüßte sie ihn, „hat Ihr Notar Sie ermutigt, selbst zu kommen und Rede und Antwort zu stehen? An ihm sollten Sie sich ein Beispiel nehmen!“
Er lächelte, überreichte ihr die Rose und murmelte beim Hineingehen:
„Der Notar bin ich!“
Im Hinterherlaufen sah sie, wie ihr Bruder den Gast betont förmlich begrüßte. Dann stellte er ihn vor: „Das ist Herr Eickenbusch, der Notar… “
„ …und auch der edle Spender im Wolfspelz“, ergänzte Sina sehr schnell.
„ …und Achim“, kam es von Seiten des Gastes.
Sina schwirrte der Kopf. Achim, das war doch ein Name aus ihrer Jungmädchenzeit, als sie erst 15 oder 16 Jahre alt war. Ein Schulfreund? Ein Vereinskamerad?
Sie entdeckte eine Spur von Ausgelassenheit und Ungeduld in Gernots Gesicht und wusste sofort, dass ihr Bruder seine Finger in dieser Geschichte hatte.
„Doch nicht etwa Achim aus Giessen“, dachte sie, „Gernots bester Freund während ihres gemeinsamen Studiums, von dem er ihr so viel Tolles erzählt hatte, dass sie bald für ihn schwärmte, ohne ihm je begegnet zu sein.“
Sie sah hinüber zu dem Notar, dann auf sein Geschenk, die Rose, welche sie noch immer in der Hand hielt; sie spürte seinen offenen Blick auf sich ruhen, der ihr schon vor Kurzem sehr zugesetzt hatte.
Gernot brach die angespannte Stille im Raum.
„Achim war schon immer ein sehr zurückhaltender und zögerlicher Mann.
Damals, als du 16 warst, Sina, habe ich wohl mal im Scherz behauptet, ich wüsste schon, wer der Mann deines Lebens wäre, erinnerst du dich nicht?“
Statt in Rührung zu versinken, fühlte Sina heftige Empörung in sich aufsteigen.
Mit Zorn in den Augen blickte sie von einem zum anderen, warf ihnen die Rose vor die Füße und legte los.
„Ja, was glaubt ihr beiden eigentlich? Etwa, dass der orientalische Frauenmarkt bei uns eingeführt wird? Wird schon klappen, wenn man Agenten in der Familie hat und mit Wohnungen ködern kann.“
Sina liefen Tränen der Wut und der Enttäuschung die Wangen hinunter, sodass sie nicht bemerkte, dass Achim an sie herantrat.
Sie sah durch die Tränen hindurch, wie er die Rose vom Boden aufhob, konnte sich nicht wehren, als er sie in die Arme nahm.
„Ich bin nun mal kein verwegener Eroberer“, murmelte er.
„Seit dem Tag in der Wohnung, als ich dich so nahe bei mir hatte, bin ich aber zu allem entschlossen! Ich gebe nicht auf!“
Er tupfte mit einem Taschentuch ihre Tränen weg. Und als sie ihm bereitwillig dafür ihr Gesicht hinhielt, wurde er noch mutiger.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie auf den Mund.
IV.
Als drei Wochen später die kleine Feier zur Einweihung der neuen Wohnung vorbei war und die Gäste schon lange gegangen waren, konnte Sina ihre Neugier nicht bezähmen.
„Sag mal, Herr Notar, ist das alles eigentlich mit deiner beruflichen Würde vereinbar: lügen, täuschen, Verschwörungen bilden, bestechen?“
„Keine Sorge“, beruhigte Achim sie, „das bleibt ja alles in der Familie und in den eigenen vier Wänden. Allerdings… “
„Also doch“, hakte sie ein.
„Ja“, fuhr er fort, „wenn meine Klienten mich allerdings jetzt beobachten könnten, wäre mein seriöser Ruf endgültig hin.“
„Wie meinst du das?“
Sina fuhr fort, seinen Hals mit kleinen Küssen zu bedecken und schlang ihre Arme um seine Schultern, während er ihr das Problem in Erinnerung rief.
„Es ist doch so: der Herr Notar liegt rücklings im Bett unter seiner Raumausstatterin, wohlgemerkt ‚unter ihr’.“
Achim räusperte sich wichtigtuerisch.
„Zum Glück ist seine Männlichkeit bedeckt! Zwar vom Unterkörper seiner Raumausstatterin, aber sie kann einfach nicht stillhalten.“
Sina tat sogleich alles Erdenkliche, um seine Beschreibung zu veranschaulichen.
„Die Krönung aber ist“, fuhr Achim mühsam fort, „die Hände des Notars, die unter andächtiger Beobachtung seiner Klienten die wichtigsten Schriftstücke unterzeichnen, kneten den Po seiner Raumausstatterin.“
„Du hast recht“, flüsterte sie ihm zu, „das alles kann sich höchstens ein einfacher Rechtsanwalt erlauben, Achim.“
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