Mira kommt wenige Minuten nach mir ins Büro gestürzt. Ihre Wangen sind gerötet, ihr Atem geht schnell und ihre Haare, die sie erst kürzlich geschnitten hat, stehen in alle Richtungen.
„Sag nichts. Ich sehe beschissen aus.“ begrüsst sie mich, während sie sich aus ihrer Jacke schält.
„Guten Morgen.“ Jeden weiteren Kommentar bleibt mir in der Kehle stecken, als sie mir einen wütenden Blick zuwirft.
„Ich habe schon seit Jahren nicht mehr verschlafen und ausgerechnet heute, wo ich ein wichtiges Meeting habe, komme ich zu spät. Wie sehe ich aus?“ fragt sie mich.
„Irgendwie anders, aber gut.“
Sie streckt mir die Zunge heraus und ich muss mich beherrschen, nicht loszulachen. Es ist einfach amüsant ihr bei ihren fahrigen Bewegungen zuzusehen. So erlebt man sie nur sehr selten.
„Wie war die Hochzeit?“
„Es war eine sehr schöne Feier und die Braut hat einfach traumhaft ausgesehen. Alles passte. So möchte ich auch irgendwann mal heiraten.“
Ihre Erzählung gibt mir einen Stich ins Herz. Aber ich habe mich gleich wieder gefangen. „Und wer hat den Brautstrauss gefangen?“
„Eine Cousine des Bräutigams, obwohl ich mich sehr bemüht habe ihn zu fangen. Am liebsten hätte ich sie umgestossen und ihr den Strauss aus den Händen gerissen. Aber wir waren auf einer Hochzeitsfeier, da konnte ich doch wohl schlecht so etwas bringen.“ Sie fängt wild an zu gackern und ich falle amüsiert in ihr Gelächter. „Aber sieh mich jetzt an.“ Sie deutet auf ihr Gesicht. „So kann ich mich beim Meeting niemals zeigen.“
„Brauchst du Unterstützung?“ Eigentlich wollte ich ihr gleich von meinem Umzug erzählen, doch das muss sich noch etwas gedulden.
„Kannst du mir die Mappe von Ocean Tree aus der zweiten Schublade holen?“
Ich gehe an ihren Tisch und öffne das zweite Fach. „Hier ist sie nicht.“ sage ich ihr, als ich die Akte nicht finden kann.
„Sie muss aber da sein. Schau mal in der Ersten.“ Sie versucht mit den Fingern ihr Haar zu bändigen und es sieht wirklich schon besser aus.
Kaum öffne ich die obere Schublade, sehe ich die Ocean Tree Mappe. „Da haben wir dich ja.“ und lege sie auf den Tisch.
Gerade als ich die Lade wieder schliessen möchte, fällt mein Blick auf eine Verpackung, die mich sofort in meine Vergangenheit zurückwirft.
Genau wie jetzt sitze ich in meinem Büro, im Schreibtisch den Test versteckt, den ich in der Mittagspause in der Apotheke von nebenan geholt, aber noch nicht über mein Herz gebracht habe ihn zu machen.
„Alles in Ordnung?“ reisst mich Miras Stimme zurück ins Hier und Jetzt. Sie steht neben mir und sieht mich mit einem fragenden, aber auch sorgenvollen Ausdruck in den Augen an.
Erst jetzt bemerke ich, dass ich die kleine Schachtel in meinen Händen halte. „Oh, entschuldige.“ und lege sie schnell wieder zurück.
„Er liegt schon seit einer halben Woche da drin. Ich sollte ihn machen, damit ich endlich Gewissheit habe. Nur fürchte ich mich vor dem Ergebnis.“
„Willst du denn schwanger sein?“
„Nein!... Ja!“ Sie wirft beide Hände in die Höhe. „Ach, ich weiss nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es noch zu früh wäre. Ich möchte noch etwas mein Leben geniessen. Ausgehen, Partys machen. Einfach das, worauf ich gerade Lust habe. Andererseits könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als mit Alan ein Kind zu haben.“
Ich versuche den Schmerz zu ignorieren, der sich um meine Brust wickelt. Dabei bemühe ich mich ein fröhliches Gesicht aufzusetzen.
„Aber warum bringt dich ein Schwangerschaftstest so aus der Fassung?“ stoppt mich Mira auf dem Weg zu meinem Tisch.
„Wie?“ Ich habe ihre Frage verstanden, nur was soll ich darauf antworten? Vielleicht ist es an der Zeit, ihr meine ganze Vergangenheit anzuvertrauen. Vor ein paar Wochen habe ich ihr zwar von Michael erzählt, dass er mich geschlagen und tyrannisiert hatte und er der Grund war, warum ich nach England kam. Doch das Schlimmste habe ich damals geschickt ausgelassen.
„Warum bringt dich ein Schwangerschaftstest so aus der Fassung?
„Ich war auch mal schwanger.“ antworte ich leise und hoffe, dass sie nicht weiterstochert.
„Was? Du hast nie etwas davon gesagt.“
„Es gab auch nie einen Grund dafür.“
Sie sieht mich skeptisch an, dann wirft sie einen Blick auf die Uhr. „Ich muss zum Meeting. Aber wir werden später darüber reden.“
Eigentlich glaubte ich, dass ich an diesem Morgen im Glück schweben würde, mit einem riesigen Smile auf dem Gesicht, weil ich Rose und Mira von meinem Umzug erzählen wollte. Aber bis jetzt kam alles ganz anders. Nachdem ich von Miras eventuellen Schwangerschaft erfahren habe, rief mich Aila an. Ich bemerkte durch den Hörer hindurch, wie sie es genoss mich in Bakers Büro zu zitieren.
Seit den letzten fünf Minuten versuche ich herauszufinden, warum ich zu Baker beordert wurde. Gerne würde ich denken, dass er mich wenigstens einmal wegen meiner Arbeit rühmen oder mir eine neue Aufgabe zuteilen würde, doch ich weiss es besser. Er hatte noch nie ein gutes Wort für mich übrig. Er liebt es geradezu mich zu schikanieren. Also wird es auch dieses Mal sicher nicht anders. Aber was könnte ich angestellt haben? Ich erledige doch alles genau so, wie er es mir aufgetragen hat?
„Du kannst gleich weiter. Er wartet bereits. Wird bestimmt amüsant.“ erklärt Aila schadenfroh.
Liebend gern würde ich ihr, ihr selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht wischen, stattdessen gehe ich wie die Ruhe in Person an ihr vorbei, obwohl meine Beine bei jedem Schritt immer schwächer werden.
Aber ganz so klein gebe ich dann doch nicht nach. „Ganz bestimmt. Vor allem dann, wenn ich Baker verrate, dass er nicht der Einzige ist, den du hier vögelst.“
„Fick dich.“ antwortet sie. Wir haben schon seit langem aufgehört, falsche Freundlichkeit auszutauschen.
Ich klopfe an und trete ein, nachdem mich mein Vorgesetzter dazu aufgefordert hat.
„Nehmen Sie Platz.“
Ich setze mich vor seinen riesigen Schreibtisch aus Mahagoni und warte geduldig ab, was er mir zu sagen hat.
„Manchmal frage ich mich, ob Sie mich absichtlich zum Narren halten möchten.“ Er klingt ziemlich wütend, worauf ich mich kerzengerade aufrichte und auf seinen Rüffel warte. „Ich würde gerne wissen, wie Sie zu Ihrem letzten Job als Teamleiterin kamen. Wahrscheinlich haben Sie Ihrem Chef eins ge....“
„Wagen Sie es ja nicht, so mit mir zu reden.“ stoppe ich ihn, bevor mir bewusst wird, vor wem ich sitze. Aber die Worte sind schon raus. Ausserdem habe ich jedes Recht, mich zu verteidigen. Egal wer er ist. Ich brauche mir so etwas nicht anzuhören. Nicht von meinen Freunden und schon gar nicht von meinem Vorgesetzten. „Wenn Sie nur mit falschen Anschuldigungen kommen wollen, dann werde ich jetzt aufstehen und gehen.“
Er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an, sein rechter Mundwinkel ist zu einem linkischen Grinsen hochgezogen. „Dieser ganze Haufen“ Baker legt eine Hand auf einen Berg Akten vor sich. „haben Sie falsch verbucht. Wir haben etliche Mahnungen erhalten, weil die Firmen ihre Zahlungen nicht bekommen haben.“
Mit offenem Mund starre ich ihn an und versuche seinen Worten zu folgen, sie zu begreifen. Aber es gelingt mir nicht, weil es nicht stimmen kann, was er mir an den Kopf wirft.
„Das kann nicht sein. Ich gehe immer alles zweimal durch.“
„Dann müssen Sie noch unfähiger sein, als ich dachte. Die Mahnschreiben und meine Nachprüfungen haben gezeigt, dass Sie falsche Zahlen oder Namen eingegeben haben. Etliche Überweisungen mussten eruiert werden, was viel Zeit in Anspruch nahm und ausserdem überflüssig war. Und alles nur, weil Sie Ihre Aufgabe nicht richtig machen können!“ Er sieht mich an, wobei er mit seinem Zeigefinger auf meine Brust deutet. Und obwohl Bakers Finger noch über einen Meter von mir entfernt ist, habe ich das Gefühl, als bohre er sich unaufhaltsam in mein Fleisch. Sein wütender Blick und seine grimmigen Gesichtszüge lassen mich nervös und meine Hände feucht werden. Liebend gern würde ich jetzt aufstehen und dieses Büro verlassen, das mir jedes Mal kälter erscheint. Denn zu sehr graut es mich vor dem, was er als nächstes sagen wird. „Mir bleibt nichts anderes übrig, als Mr. Meyer über ihre Inkompetenz zu informieren. Ich glaube nicht, dass wir eine solche Mitarbeiterin länger dulden können.“
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