Gerade als ich mit einem Handtuch über meine nassen Haare fahre und so in das Schlafzimmer komme, klingelt mein Handy. Ich tippe auf Dad oder Sandy, obwohl es auch Mira oder Rose sein könnten.
„Hallo.“
„Jessica, meine Kleine.“ ertönt die Stimme meines Vaters.
„Was ist los?“ frage ich ihn sofort, weil er ziemlich besorgt klingt.
„Geht es dir gut?“
„Ja, warum sollte es mir nicht gut gehen?“
„Sandy hat mich heute angerufen und sich Sorgen um dich gemacht. Schliesslich hast du dich in den letzten beiden Tagen nicht gemeldet. Weder bei ihr, noch bei mir. Wir haben versucht dich zu erreichen, aber wir kamen immer auf den Anrufbeantworter. Sie meinte, dass du bei eurem letzten Telefonat etwas durcheinander gewesen wärst. Also, was ist los?“
„Alles ist gut.“ Und nachdem Damian und ich uns ausgesprochen haben, ist wirklich alles gut.
„Sicher?“ hakt mein Dad nach.
„Ja.“ Ich erzähle ihm von dem Streit zwischen Damian und mir und von dem bevorstehenden Umzug, lasse aber die Details aus. Er braucht diese nicht zu wissen, ausser Damian ist irgendwann bereit sie meinem Vater selbst zu erzählen. Allerdings müssten sie sich dafür erst einmal kennenlernen.
„Du ziehst also bei ihm ein?“
„Ja.“ antworte ich etwas verlegen. „Du bist nicht gerade begeistert davon. Ich kann es in deiner Stimme hören.“
„Ich bin vielleicht ein wenig überrascht, mehr nicht.“
„Mache ich möglicherweise einen Fehler?“ möchte ich von meinem Vater wissen. Obwohl ich vor ein paar Stunden überhaupt keine Zweifel hatte, überkommt mich jetzt doch eine gewisse Skepsis.
„Du liebst ihn und anscheinend bedeutest du ihm ebenfalls sehr viel. Also warum so viele Gedanken? Lass dem ganzen einfach seinen Lauf und geniesse es. Obwohl...“
„Obwohl was?“ hacke ich nach, als er nicht weiterspricht.
„Ich würde ihn gerne einmal kennenlernen. Schliesslich möchte ich wissen, mit wem meine Tochter ihr Leben verbringt.“
Genau das ging mir vor wenigen Minuten ebenfalls durch den Kopf. Aber das Damian so seine Probleme damit hat, brauche ich meinem Dad nicht unter die Nase zu binden. „Es wird sich sicher bald mal geben, dass wir in die Schweiz kommen oder du nach London.“
„Ach Kleine.“ seufzt er in den Hörer.
Klar weiss ich, dass mein Vater niemals in ein Flugzeug steigen wird. Trotzdem wünsche ich mir, dass er eines Tages sein Auto nimmt und nach England fährt, um zu sehen, wie und wo ich lebe.
„Ich wollte dich nur aufziehen.“ versuche ich die Atmosphäre, die plötzlich nach unten zu sinken droht, zu lockern.
„Deine Gemeinheiten kannst du für dich behalten.“ witzelt er und wir brechen beide in ein herzhaftes Lachen aus.
Seit Weihnachten habe ich ihn nicht mehr so lachen hören, was mir unheimlich gut tut.
„Bald ist Ostern. Meinst du, wenn ich dir einen Schokoladenhase schicke, kommt er heil an?“
„Auf keinen Fall.“
„Warum nicht?“ fragt mein Vater verdutzt über meine schnelle Antwort.
„Weil du sowieso die Ohren abgebissen hast, bevor der Hase in der Verpackung landet.“
„Das stimmt doch gar nicht.“ bemüht sich mein Vater sich zu verteidigen, woran er jedoch kläglich scheitert.
Ich bekomme einen Lachanfall und muss mir den Bauch halten, weil er anfängt zu schmerzen.
„Wenigstens kannst du dich über deinen alten Herrn lustig machen. Mach nur weiter so.“
Bei diesen Worten hält er bestimmt seinen Zeigefinger in die Höhe und wedelt damit drohend in der Luft herum. So wie er es in der Vergangenheit immer gemacht hat.
„Ich brauche dich nicht zu sehen, um zu wissen, dass du deinen Finger nach oben streckst.“
„Und ich weiss ganz genau, dass du dabei die Augen verdrehst.“
„Wie recht du doch hast.“ Und wie gut es tut zu wissen, dass ich irgendwo immer noch die alte Jessica bin, wie vor dem ganze Irrsinn mit meinem Baby und Michael.
„Hmm,“ räuspert sich mein Vater.
Dieses Geräusch kenne ich nur allzu gut. Es deutet darauf hin, dass ihm etwas auf der Zunge liegt und werde glatt unruhig. So locker und gelöst wie ich eben noch war, so angespannt ist nun mein ganzer Körper. Ich bleibe still und warte mit steigender Panik ab, bis er seine Gedanken ausgesprochen hat.
„Michael....“
Wenn ich nur schon diesen Namen höre, wird mir eiskalt, aber ich versuche ruhig zu bleiben, während mein Vater weiterspricht.
„er hat sich in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen.“
Wie? Was? Wo? Viele Fragen stürmen auf mich herein. „Warum?“
„Anscheinend hatte er ein erhebliches Problem mit Alkohol und Drogen.“
„Drogen?“ Meine Stimme ist ein einziges krächzendes Würgen.
„Er hat den Tod eures Babys einfach nicht verkraften können und das was er dir angetan hat, war für ihn fast weniger erträglich.“
„Wo, was,..“ Ich brauche einen kurzen Moment, um mich zu fassen. „Woher weisst du das alles?“
„Seine Mutter hat mich angerufen.“
„Aus welchem Grund?“ Ich möchte nichts mehr mit Michael oder seiner Familie zu tun haben. Also warum bloss meldet sich Elise bei meinem Vater?
Nur widerstrebend gibt er mir Antwort. „Michael möchte dich sehen.“
Noch immer schnüren die Gefühle, die ein einziges Chaos in mir anrichten, die Kehle zu.„Wozu?“ Brauche ich das wirklich zu wissen?
„Er möchte sich bei dir entschuldigen und dich um Verzeihung bitten.“
„Nein!“ schreie ich in den Hörer, obwohl das gar nicht meine Absicht war.
„Jess...“
„Hast du etwa vergessen, was er mir alles angetan hat? Hast du vergessen, warum ich hier in England bin und nicht mehr in meiner Heimat lebe?“ Auch wenn mein Vater für meinen inneren Aufruhr nichts dafür kann, ist es dennoch er, der seinen Kopf hinhalten muss. Er ist der Puffer für mein Unbehagen.
„Ich würde dir niemals vorschreiben, was du zu tun hast oder dich gar aufmuntern zu ihm zu gehen. Ich wollte dich nur darüber informieren, wo er ist. Was du tust oder lässt, ist ganz allein deine Sache. Das sieht sogar Elise so.“
„Ich will ihn nicht sehen!“
„Ist alles in Ordnung?“
Erschrocken drehe ich mich zur Tür, in der Damian steht und mich mit zusammengezogenen Augen ansieht. Ich nicke kurz und wende meinen Blick wieder der draussen herrschenden Dunkelheit zu.
Ich zucke mit den Schultern, um etwas von der Härte in meiner Stimme zu nehmen, obwohl mein Vater mich gar nicht sehen kann. „Entschuldige. Ich wollte nicht so grob sein.“
„Keine Sorge, meine Kleine. Du hast alles Recht aufgewühlt zu sein.“
Ich weiss nicht, wie lange ich schon auf der Bettkante sitze und vor mich hinstarre, das Smartphone noch immer in der Hand. Eigentlich dachte ich, dass mich Damian gleich mit Fragen durchlöchern würde, sobald ich das Gespräch beendet hätte. Doch als ich aufgelegt hatte und zur Tür sah, war er nirgends zu sehen.
Irgendwie bin ich ihm dankbar, dass er mir den Raum gibt, den ich auch wirklich brauche, um wieder zur Ruhe zu kommen und doch wünsche ich ihn sehnlichst hierher. Hier zu mir. Ich vermisse seine starken Arme und seine beruhigenden Berührungen.
In meinen Gedanken gehe ich immer und immer wieder jede Einzelheit der Unterhaltung zwischen meinem Vater und mir durch. Ich denke an Michael, der sich in den letzten zwölf Monaten unheimlich stark verändert hat und das überhaupt nicht zum Positiven.
Dass er zu Alkohol griff, habe ich schon längst vermutet. Bereits damals, als wir noch zusammen wohnten. Aber Drogen? Das kann ich mir nun wirklich nicht vergegenwärtigen. Es war eine verdammt schwere Zeit, als wir unser Baby verloren. Er hatte daran genauso schwer zu nagen, wie ich. Doch dass er diesen Schmerz mit Drogen versuchte zu mildern, kann ich nicht nachvollziehen.
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