1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Sein ganzer Körper ist vollkommen angespannt, was mich etwas beunruhigt. Ist er gerade bei seiner Frau und Tochter? Bittet er sie um Verständnis, dass er eine Beziehung mit mir eingegangen ist? Bittet er sie um Erlaubnis? Ich würde gerne meine Arme um seine Taille legen und ihn an mich drücken, ihn mit meiner Zärtlichkeit stärken.
Ich möchte wissen, was ihn beschäftigt. Stattdessen entferne ich mich ein paar Schritte von ihm, um ihm den nötigen Freiraum zu geben. Ich hoffe nur, dass er mir irgendwann seine jetzigen Gedanken anvertrauen wird, weil das meine innere Unruhe etwas lockern würde.
In wenigen Metern Entfernung steht eine leere Bank. Ich setze mich darauf und versuche mich wieder auf die Umgebung zu konzentrieren. Denn wir sind viel zu selten hier.
Ich sehe kurz zu Damian, der noch immer an der gleichen Stelle steht. Dann wandern meine Augen zu Pietro, der sich in angemessener Entfernung befindet und der nun Damian ebenso mustert, wie ich vor wenigen Minuten. Er spürt meinen Blick und lächelt mir aufmunternd zu, was doch tatsächlich Wirkung zeigt. Ich löse mich aus meiner Erregung und sehe einigen Sittichen zu, wie sie über die Bäume fliegen und wie Enten fröhlich im Wasser schwimmen.
„Schöner Anblick, nicht?“ ertönt seine tiefe Stimme.
Ich schaue auf und sehe geradewegs in seine braunen Augen, in denen ein trauriger Ausdruck steht.
„Willst du darüber sprechen?“ frage ich ihn, nachdem er neben mir Platz genommen hat.
„Es ist schwer...“ Er bricht mitten im Satz ab und sieht nach vorne.
Wir bleiben in den nächsten Minuten bewegungslos und still nebeneinander sitzen. Ich halte nur tröstend seine Hand, was er zu meiner Überraschung zugelassen hat.
„Wir haben sehr oft Ausflüge an den See gemacht. Luna und Helen haben das Wasser geliebt. Irgendwie hatte es eine beruhigende Wirkung auf sie. Ich verstand sie erst viel später. Erst nachdem sie....“ Damian holt tief Atem. „schon weg waren. Ich behielt unsere Tradition bei und versuchte an solchen Orten wie diesem, näher zu ihnen zu kommen. Und dann...“ Er dreht sein Gesicht in meine Richtung. „habe ich dich mit hierher genommen. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, was das für mich und meine Familie bedeuten könnte. Aber als ich dich hier geküsst habe, hatte ich das Gefühl sie zu betrügen. Es war falsch gegenüber Luna und Helen und es war dir gegenüber ebenso wenig aufrichtig.“
„Und jetzt?“ Auch wenn ich noch so sehr versuche meine Ängste vor ihm zu verheimlichen, zittert meine Stimme.
„Ich muss lernen damit klarzukommen. Ich muss sie gehen lassen.“
Ich blicke zu Boden. „Meinetwegen?“
„Ja und nein.“ antwortet er sanft, legt einen Finger unter mein Kinn und zwingt mich ihn anzusehen. „Ich bin glücklich mit dir, wie ich es bereits seit zehn Jahren nicht mehr war. Zehn Jahre habe ich um meine Familie getrauert. Jetzt sollte ich vielleicht wieder einmal nach vorne schauen. Ich habe mich lange Zeit jeden Abend besoffen und mich aufs übelste geprügelt. Als dieser Abschnitt meines Lebens vorbei war, habe ich jede Frau gefickt, die mir über den Weg lief.“
„Damian.“ Ich will das mit den anderen Frauen nicht hören und versuche meinen Blick von ihm abzuwenden. Doch er lässt es nicht zu.
„Ich möchte, dass du weisst, wie ich war, bevor ich dich kennengelernt habe. Mir war alles scheissegal. Meine Freunde, meine Eltern. Einfach alles. Und die Frauen waren ganz einfach ein Mittel zum Zweck. Sie haben mir nichts bedeutet. Ich wollte nur einen schnellen Fick, um zu vergessen.“
„Damian, bitte.“ Ich flehe ihn an aufzhören, doch er fährt unbeirrt fort.
„Als du das allererste Mal in meinem Büro aufgetaucht bist, wollte ich dich. Ich wollte dich auf meinen Tisch legen und ficken. Schnell, hart und tief und dich dann wieder fortschicken.“
Ich starre ihn mit offenem Mund an. Was er hier sagt, passt überhaupt nicht zu dem Menschen, den ich in ihm sehe, den ich kenne.
„In den ersten fünf Minuten unseres Gesprächs glaubte ich noch, dass es bei dir genau gleich sein würde, wie bei den anderen. Aber da habe ich mich restlos getäuscht. Du hast mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Von Anfang an.“
Wir sitzen noch immer auf der Bank, so dass wir uns an der Seite berühren. Halten aber beide die Hände im Schoss gefaltet. Ganz genau darauf bedacht, dem anderen nicht zu nahe zu treten. Beide brauchen einen Moment für sich.
Aus meinem Augenwinkel erkenne ich, wie sich sein Brustkorb in groben Bewegungen hebt und senkt. Wahrscheinlich nicht weniger schnell als meiner. Irgendwie bin ich aufgewühlt und wiederum auch nicht. Es ist schwierig all das zu verdauen, was er mir eben offenbart hat, sowie seine derbe Aussprache bezüglich der Frauen die er hatte und doch bin ich unglaublich erleichtert, dass er endlich all das ausgesprochen hat, was ihn beschäftigt.
Obwohl ich über seine Enthüllungen empört sein müsste, bin ich es nicht. Dass er viele Frauen hatte, konnte ich mir denken. Wie viele es waren, möchte ich lieber nicht erfahren. Seit Beginn unserer Beziehung habe ich mir gewünscht, dass er ehrlich zu mir ist und dass er mir seine Vergangenheit erzählt. Und genau das macht er seit gestern Abend.
Nachdem was er mir anvertraut hat, kann ich mir kaum vorstellen, dass er mir noch irgendwas Schreckliches verheimlicht. Aber ich habe noch ein paar Fragen, auf die ich gerne Antworten hätte und wenn ich ihn nicht jetzt danach frage, wann dann?
„Raus mit der Frage.“
Es überrascht mich immer wieder, wie gut er mich kennt und wie es mir gleichzeitig das Herz erwärmt. Ich lege mir die Worte zurecht und hole tief Atem, bevor ich mit meiner Fragerei beginne. „Wen hast du an Weihnachten besucht?“ So jetzt ist es endlich raus.
Wenn ich ihn nicht genau betrachten würde, würde mir sein Blinzeln gar nicht auffallen, so schwach zucken seine Lider.
„Meine Eltern.“ antwortet er knapp, aber er antwortet.
Ich spüre ganz deutlich, dass da noch mehr dahintersteckt. „Und darum konntest du nicht mit mir telefonieren? Darum musstest du so geheimnisvoll tun?“
„Jede Weihnachten reise ich in die Schweiz, um Helens Familie, meine Schwiegereltern, zu besuchen.“
Sollte ich wütend, enttäuscht oder gar verletzt sein, dass er die Familie seiner verstorbenen Frau besucht? Nein, auf keinen Fall. „Du hättest es mir schon viel früher erzählen sollen. Es hätte vieles einfacher gemacht.“ Wenn ich an die Tage zurückdenke, als wir zusammen in der Schweiz waren, er irgendwo Nahe Zürich und ich in der Ostschweiz, wird mir schwer ums Herz. Nicht gerade selten fühlte ich mich damals verarscht, wütend, verletzt und war eifersüchtig.
„Mir ist klar, dass ich in jenen zwei Tagen nicht nett zu dir war. Aber ich konnte dir einfach nicht sagen, wo ich mich aufhielt. Es war zu früh. Du solltest jedoch wissen, dass du mir jede einzelne Minute gefehlt hast. Ich fand es schrecklich nicht mit dir darüber reden zu können. Trotzdem,“ Er hält kurz inne und stützt den Kopf auf seine Hände. „ich konnte es nicht. Du musstest mir erst den Kopf waschen, bis ich begriffen habe, dass ich dich nicht weiter auf Distanz halten konnte. Es tut mir leid. Vor allem aber bereue ich, dass er dich in die Hände bekam. Das werde ich mir nie verzeihen können.“
Sofort jagt es mir eine Gänsehaut über den Körper, wenn ich an die Attacke von meinem Ex denke. „Es ist nicht deine Schuld.“ Ich ziehe ihm seine Rechte vom Gesicht, damit ich ihn ansehen kann. „Ich wusste, dass ich nicht ohne Warren raus sollte und habe es dennoch getan.“
„Nur, weil ich mich wie ein mieses Arschloch verhalten habe.“
„Vielleicht.“ Ich versuche es mit einem schwachen Lächeln. Ich möchte ihm damit zu verstehen geben, dass ich mit dieser Sache abgeschlossen haben. Jedenfalls so gut ich kann.
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