1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Plötzlich überschlugen sich meine rasenden Gedanken. Eifersucht lähmte meinen kribbelnden Körper, Schweiß rann entlang meiner Wirbelsäule hinunter. Was wäre, wenn sie ihr Herz in der Zwischenzeit bereits jemand anderem geschenkt hatte? Jemand würdigerem. Vielleicht sogar Ragnar. Ihr schien sehr viel an ihm gelegen zu haben.
Es war mehr als falsch auf einen Toten eifersüchtig zu sein. Nur sah das mein wild hämmerndes Herz etwas anders. Grundsätzlich schien mir Ragnar auch ein sehr feiner Typ gewesen zu sein. Jemand, der Prinzessin Reenas Herz verdient gehabt hätte. Obwohl ich den morodekischen Boten kein bisschen gekannt hatte, schien er mir definitiv wie ein treuer Freund und liebevoller Partner. Jemand, der einem nicht von der Seite wich, und alles für die Gesundheit und das Glück des anderen tun würde.
Bilder von den Sekunden vor seinem grausamen Tod schossen mir durch die Gedanken. Trotz der unerträglichen Schmerzen hatten seine Augen weiterhin von seiner unsterblichen Liebe zu seinem wunderschönen, intelligenten und starken Schützling gezeugt. Sein großes Herz hatte bereits Reena gehört. Wie unvorstellbar schmerzhaft es für sie gewesen sein musste, den Mann, der sie stets beschützt hatte, der seit Wochen Seite an Seite alle gewaltsamen Erlebnisse mit ihr gemeinsam durchlebt hatte, sterben zu sehen.
Meine Stimmung war nun endgültig im Eimer. Fehlte nur noch ein abschätziger Kommentar von Ellion oder eine provozierende Herausforderung von Suna. Dann könnte ich mich genauso gut gleich schlafen legen und der katalynischen Prinzessin die ledernen Zügel überlassen. Dieser Tag konnte einfach nicht mehr schlechter werden.
„Wenn du noch länger so finster auf Reenas ungeschützten Rücken starrst, muss ich mir bald Sorgen machen, dass du meiner gerade erst geretteten Nichte etwas antun möchtest. Komm Junge, wir sind bald zu Hause. Unsere Probleme lösen sich nicht einfach so in Luft auf. Außerdem sollten wir versuchen, nicht noch mehr davon einzusammeln.“ Mit einer väterlichen Geste klopfte Tamo mir motivierend auf die Schulter und durchbrach somit auch den letzten Rest meiner eisigen Starre.
Noch etwas neben der Spur sah ich mich um. Ich musste wohl angehalten und auf keine verbalen Zusprüche mehr gehört haben. Alle beobachteten mich. Wobei mich die beiden Schwestern besorgt musterten, Mira mich mit ihrem unergründlichen Blick zu durchbohren schien und Ellion herablassender denn je meinen emotionalen Kampf verurteilte. Nur Onkel Tamo schien sich schon wieder vollends auf die Mission zu konzentrieren.
Ich gab mir innerlich einen Ruck und nahm wieder meine alte, kriegerische Haltung an. Emotionslose Maske, aufrechter Rücken, fester Griff um die abgewetzten Zügel, undurchdringlicher Blick. Mein zu zerbrechen drohendes Herz durfte unserer Gruppe nun nicht zum Verhängnis werden. Ich war ein Nyajamar. Ein morodekischer Krieger. Selbst wenn mir Reena offenbaren würde, dass sie meine Liebe nicht teilte, musste ich für ihre Sicherheit sorgen. Das stand außer Frage. Sie gehörte nun so oder so zur Familie.
„Nje mikae. Nje krüye.“ Meine brummige Stimme war kaum ein Flüstern und doch fühlte sich unser Motto wie ein laut, geschrienes Versprechen an die gesamte Lichte Welt und friedliche Unterwelt an.
Irritiert und gleichzeitig fasziniert sah mich Reena aus großen, runden Augen an. Ich konnte direkt die tausend Rädchen in ihrem schlauen Köpfchen rattern hören, derartig zermalmte sie ihre Erinnerungen nach der wahren Bedeutung dieser zwei kurzen Sätze. Irgendwann schien sie aufgegeben zu haben. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, drehte sie mir wieder ihren Rücken zu und zog den schweren Mantel über uns zurecht.
Lange lauschte ich einfach dem beruhigenden Geräusch von dicken Wassertropfen auf getrockneten Blättern. Erstaunlich, wie etwas derartig Simples, so eine starke Auswirkung auf den momentanen Gefühlszustand haben kann. Nur noch langsam ritten wir durch das sich vor uns öffnende Schluchtenlabyrinth. Ein felsiger Irrgarten in der Neutralen Zone, den die meisten Menschen, die nur etwas Intelligenz aufwiesen, mieden. Und das nicht ohne Grund, schließlich schaffte es kaum jemand wieder lebend heraus.
Für morodekische Boten und die Nyajamar war dieser irreführende Landesabschnitt Teil der abschließenden Prüfung ihrer Ausbildung zum Krieger. Es wurde vorausgesetzt, sich in diesem steinigen Labyrinth gut genug auszukennen, um sich gleichzeitig hier hineinflüchten zu können und bewaffnete Gegner abzuhängen.
Bei dem gewaltigen Anblick der hohen Felswände begann Reena unruhig im Sattel hin und her zu rutschen. Ihr gefiel unsere folgende Aktion ganz und gar nicht. Was auch weitergehend nicht verwunderlich war, wenn man bedachte, was sich über diese Naturgewalt erzählt wurde. Diese Horrorgeschichten wurden schließlich unglaublich ausgeschmückt von den Wanderern weitererzählt. Selbst meine jüngeren Geschwister und ich hatten dem knochigen Wanderer an den aufgeplatzten Lippen gehängt, als dieser seine Reise in die Unterwelt verlagert hatte und sich eines Tages durch unsere gewohnten Gassen schleppte.
„Keine Sorge, als morodekischer Krieger kennt man das irreführende Labyrinth wie seine eigene Hosentasche. Sicheres Terrain“, sagte ich beinahe tonlos in Reenas Ohr.
„Einfacher gesagt als getan. Mir erscheint das Ganze immer noch wie eine ganz, ganz schlechte Idee.“ Ihr war die Nervosität deutlich anzuhören. Ich konnte nur hoffen, dass ihr meine Nähe etwas Geborgenheit schenken würde.
„Sag was!“, überrumpelte sie mich kurz darauf mit ihrer unverständlichen Aufforderung.
Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und musterte das zierliche Mädchen vor mir. Es war weiterhin ein unlösbares Rätsel für sich. „Was soll ich sagen?“
Frustriert schnaufte sie laut aus. „Irgendetwas. Lenk mich ab. Aber mach, dass ich nicht in Panik ausbreche und dann vielleicht die Kontrolle verliere.“ Natürlich. Die Bilder der toten Gul spukten ihr weiterhin unaufhaltsam in ihrem Köpfchen herum. Ich wollte ihr helfen. Helfen, zu vergessen. Sie hatte es nicht verdient, mit einer derartigen Last beladen zu werden.
„Lass mich kurz überlegen.“ Angestrengt suchte ich nach einem unverfänglichen Thema, das keine noch so kleine Verbindung mit dem blutigen Ereignis von heute aufweisen würde. Das Motto, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. „Nie vergessen. Nie versagen.“
Stille. Reena dachte ganz deutlich darüber nach, nur konnte sie keinen logischen Zusammenhang aufdecken. „Was?“ Es schien zu funktionieren. Komplett abgelenkt vom felsigen Irrgarten vergaß sie ihre Angst. Sogar ihre gesamte Körperhaltung schien sich zu lockern.
„Nje mikae. Nje krüye. Das ist Morodekisch und bedeutet so viel wie ‚Nie vergessen. Nie versagen.‘ Ein Versprechen, eine Lebenseinstellung. Das Motto der Nyajamar, der bestausgebildeten Krieger von Morodek. Sozusagen der Leibwächter und Spezialgarde der Fürsten.“ Ich konnte meinen Stolz nicht verbergen. Zwar würde ihr die ganze Bedeutung dieses Titels noch nicht bewusst sein, aber ihr allein schon die Wahrheit über meine kriegerische Identität verraten zu dürfen, war schon genug. Nun musste ich nicht mehr darauf achten, mein verstecktes Land geheim zu halten. Ich konnte ihr jede Kleinigkeit aus meiner Vergangenheit vom ausgehungerten Straßenkind bis zu den lebensgefährlichen Missionen in der Lichten Welt erzählen. Das Mädchen mit den wunderschönen meerblauen Augen, in denen ich mich ausgeschlossen verloren hatte, in deren Unendlichkeit meine eiternden Wunden gepflegt wurden, würde mich nun endlich kennenlernen können. Und vielleicht, ja, nur vielleicht, würde diese wunderschöne Prinzessin mit diesem übermenschlich großen Herzen dieselbe Liebe empfinden wie ich. In diesem Moment war mir mehr als klar, dass ich alles, wirklich alles, für dieses unglaubliche Mädchen tun würde, um sein Herz zu gewinnen.
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