1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Ungünstig. Sehr ungünstig. Reiß dich zusammen. Warum mussten meine Hormone auch nur eine solche Gewalt über meinen menschlichen Körper haben? Ich sollte mich konzentrieren. Jetzt.
„Was meinst du mit ‚sie spürt Essenzen‘?“ Angestrengt versuchte ich, meine piepsige Stimme so leise wie möglich zu halten. Es schien mir äußerst unpassend, unnötig Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Schließlich war ich so oder so schon eine schwerwiegende Last in dieser Mission.
Lorca stieß einen Seufzer aus, worin ich direkt die schwere Last von Verantwortung und Verlusten mitschwingen hörte. „Ich schätze, dass auch du spezielle Fähigkeiten hast. Suna, ich weiß nicht, wie ich das verständlich erklären soll, kann die Lebensenergie von jedem einzelnen Menschen spüren. In diese elektrisch geladenen Ströme eingreifen. Am besten, du fragst sie mal selbst danach. Suna kann das weitaus besser erläutern als ich.“
Nach und nach sickerte die Bedeutung seiner Worte in meinen Verstand. Einerseits glaubte ich zu verstehen, was mir Lorca erzählen wollte, andererseits fühlte ich mich wie vom Pferd gestoßen und links liegen gelassen. Es machte irgendwie auf seltsame Art und Weise Sinn, andererseits war es meilenweit entfernt von logisch.
„Was tun wir jetzt?“ Die einzige Frage, die mir gerade nicht zu unkompliziert schien, um sie deutlich in Worte zu fassen.
„Gute Frage. Das versuchen wir gerade herauszufinden. Leider bietet sich uns hier nicht wirklich ein einladendes Versteck, in dem wir ausharren könnten.“ Schützend legte er seinen linken Arm um meinen Bauch und drückte mich komplett an sich. Die ledernen Zügel umklammerte er beinahe schon krampfhaft. Seine rechte Hand wanderte unaufhaltsam an den abgewetzten Griff seines Schwertes. Lorca würde mich beschützen, das stand außer Frage. Auch die anderen unseres kampfbereiten Trupps würden ihr Leben für das meine geben.
Doch was konnte ich tun? Ich wollte nicht nur zusehen. Ich wollte ihnen helfen.
Wildes Geschrei hallte zwischen den blätterlosen Bäumen hervor. Mindestens sieben maskierte Gestalten rasten auf uns zu. Alle bestens bestückt mit den fiesen Schusswaffen aus der Glasscherben Ebene. Gul. Sie sahen genauso aus, wie die, die in den stinkenden Gassen Aroniens Ragnars Leben beendet hatten. Seelenlose Marionetten eines gefühlskalten Königs. Lebende Tötungsmaschinen.
Panische Angst breitete sich in meinem Körper aus. Lähmte mich. Nur die herzzerreißende Erinnerung an Ragnars Tod ließ mich klar und deutlich denken. Wie von der grellen Sonne geblendet, kniff ich meine Augenlider so fest zu, wie es nur möglich war. Ich konzentrierte mich nur mehr auf eines. Keine neuen Verluste.
Lass es einfach zu. Gib ihr Raum zum Atmen. Deine Sinne werden folgen.
Als würde mein Geist, meine Seele, mir zustimmen, begann alles in mir und um mich zu vibrieren. Farben begannen zu leuchten, Pflanzen sich zu verformen, der weiche Untergrund sich aufzulösen und die Luft um uns verdichtete sich zu einem tödlichen Nebel. Es war, als wüsste mein Verstand, was zu tun war. Ich traute mich nicht, die Augen zu öffnen. So nahm ich nur das schmerzerfüllte Geschrei wahr.
Erst als der letzte qualvolle Laut erstickt war, begann ich vorsichtig meine Augen zu öffnen. Was sich mir nun offenbarte, ließ mich meinen Atem anhalten. Alles, was sich mein Kopf noch wenige Sekunden vorher ausgemalt hatte, Farben, Formen, verblasste langsam. Die schwarz gekleideten Gul lagen verrenkt am Boden. Ihre grausigen Masken waren teilweise zur Seite gerückt und gaben einen Einblick auf die schäumenden Münder und rot geäderten Augen. Vergiftet.
Tamo, Lorca und Ellion sahen geschockt auf die leblosen Körper unserer Feinde, während mich Suna nur nachdenklich musterte. Natürlich war mir irgendwie bewusst gewesen, dass ich dieses grausame Schauspiel verursacht hatte, dennoch konnte ich es nicht wirklich glauben. Ich war keine Mörderin. Doch war es nicht genau das, was ich wollte? Ich wollte helfen. Meine Familie beschützen.
„Krass“, kam es plötzlich aus Ellions Mund. Seine aufgeplatzten Lippen formten ein verschmitztes Lächeln als er mir anerkennend zunickte.
„Tja, dann wäre das wohl auch erledigt“, sprach Suna so sachlich wie möglich in die Runde, doch ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Mitgefühl. Sie wusste, wie ich mich jetzt gerade fühlte.
Die Leere war kaum aushaltbar. Es fühlte sich an, als hätte diese magische Illusion alle Gefühle aus meinem lebenden Körper herausgesaugt und ließ nun einen füllbaren Raum für Neues über. Als wäre ich ein ausgetrocknetes Stück Erde, das nur darauf warten würde, dass die harte Trockenzeit ein Ende nahm und endlich wieder lebenspendende Wassertropfen mein Angesicht küssen würden.
Suna kam in schnellen Schritten an meine Seite und legte tröstend ihre warme Hand auf meine angespannte Schulter. Ich war ihr unendlich dankbar. Egal, was sie gerade mit mir anstellte, es half. Ein sanftes Vibrieren strömte über ihre Fingerkuppen durch meine staubige Kleidung und schwärmte in meinem gesamten Körper aus. Es erfüllte jede winzige Zelle mit übernatürlicher Energie und löschte die alles schluckende Leere aus.
„Es kann sehr beängstigend sein, zu sehen, was man im Stande ist, zu tun. Doch man gewöhnt sich daran. Lernt damit umzugehen, es zu kontrollieren. Und außerdem hast du jetzt uns. Wir werden dir alle helfen.“ Ich wollte ihr so gern glauben. Nur leider verstörte mich der grausige Anblick der toten Gul in einem so unbeschreiblichen Ausmaß, dass ich glaubte, selbst sterben zu wollen. Nie würde ich jemandem einen derartig schmerzhaften Tod wünschen und nun war ich höchstpersönlich schuld an einem solchen Schauspiel. Wie sollte man mit dieser abartigen Last nur leben können?
„Gib nicht dir die Schuld. Sie hätten uns sonst getötet. Glaube mir, das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen“, versuchte mich Lorca nun ebenfalls aus meiner Selbstabscheu herauszuziehen.
Jemand seufzte zutiefst erschöpft hinter uns auf. Doch es war mir egal, wie ich auf sie gerade wirkte. Sollen sie mich ruhig für ein verletzliches kleines Häufchen Elend halten. Ich hatte nie darum gebeten, an kriegerischen Verfolgungen teilzunehmen. Töten entsprach schlichtweg nicht meinem natürlichen Wesen.
Zwei starke Arme griffen nach meinen hängenden Schultern und schüttelten mich kräftig durch. Alles in mir geriet ins Schwanken und wurde wieder neu platziert. Stück für Stück erlangte ich meine verlorene Selbstbeherrschung wieder zurück.
„Reena, jetzt höre mir einmal zu. Es ist mehr als in Ordnung sich danach nicht wohl in seiner eigenen Haut zu fühlen. Töten sollte nie eine Selbstverständlichkeit oder ein Vergnügen werden. Man sollte sich immer bewusst sein, was es heißt, ein Leben auszulöschen. Einer atmenden Seele ihren Körper zu rauben. Dennoch muss das Leben weitergehen. Lass dich nicht davon runterziehen. Lass es dich stärker machen, ein härteres Schutzschuld um dich selbst errichten. Gib dich nicht auf. Es war notwendig.“ Onkel Tamo sah mich wild funkelnd an. Ich fühlte mich so verstanden. Er berührte etwas tief in mir. Reiß dich zusammen! Komm schon! Nickend ließ Tamo von mir ab. Er musste an meiner aufrechteren Haltung erkannt haben, dass ich seine Worte verstanden hatte.
„Geht es wieder?“, fragte der morodekische Fürst nun etwas sachlicher. Wir mussten uns wieder auf unsere Mission konzentrieren.
„Ja, ich glaube schon“, gab ich noch etwas unsicher von mir. Jeder musste das Zittern in meiner piepsigen Stimme vernommen haben, nur waren alle Anwesenden so freundlich, um es geflissentlich zu ignorieren.
„Also gut, dann schauen wir mal, dass wir von hier verschwinden. Das werden sicher nicht die Letzten gewesen sein, die uns noch auflauern werden. Reena, kannst du reiten?“ Tamo schwang sich elegant auf den Rücken seines grasenden Pferdes und streckte kurz darauf seine muskulöse Hand nach Mira aus, welche die ganze Zeit schweigend im Hintergrund gestanden hatte.
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