1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 „Ähm, ja, kann ich.“ Etwas überfordert von allem und jedem, nahm ich Lorcas ausgestreckten Arm entgegen und ließ mich von ihm ebenfalls hochziehen. Gespannt wartete ich auf die Antwort. Was schwebte dem Anführer wohl im Kopf herum?
„Perfekt. Wir werden, wenn alles nach Plan verläuft, zwei bis drei Tage durchreiten und nur für menschliche Bedürfnisse anhalten. Reiter werden abgewechselt und der jeweils andere wird schlafen.“
3. Kapitel
Lorca
Behutsam legte ich meinen weichen Mantel um die schlafende Prinzessin. Lange hatte sie schweigend vor mir gesessen und die vorbeiziehende Landschaft in sich aufgesaugt. Ich konnte deutlich spüren, wie sie ihre mit Schuldgefühlen vollgefressenen Gedanken wach hielten. Doch die rasende Magie, die uns noch Stunden zuvor wortwörtlich den Arsch gerettet hatte, hatte Reena so viel Energie geraubt, dass sie schlussendlich den Kampf gegen ihre bleischweren Augenlider aufgeben musste und schläfrig gegen meine Brust gesunken war.
Nichts hatte sie seither aufwecken können. Weder das empörte Geschrei von Mira, als sie Ellion dabei erwischt hatte, dass er sich nicht umgedreht hatte, während sie ihr Geschäft erledigen wollte, noch der anhaltende Nieselregen, der durch den frostigen Wind zu einer Plage geworden war. Reena musste wirklich erschöpft bis in die Knochen gewesen sein und ich war mehr als froh, ihr die Sicherheit schenken zu können, sich richtig auszuruhen.
Tief hinter der schwarzen Kapuze versteckt, sah ich gerade noch genug, um die nahe Umgebung neben Tamo und Mira zu erkennen. Normalerweise wäre ich dadurch eine leichte Beute für jegliche Angreifer. Schließlich würde ich ihr Heranschleichen nur mehr im letzten Moment erkennen. Zu unser aller Glück befand sich genau aus diesem Grund auch Suna in unserer Mitte. Sie würde jede herannahende Person anhand ihrer fließenden Lebenskraft erspüren und uns schon weit im Vorhinein warnen können.
Definitiv ein angenehmer Pluspunkt jemanden so Mächtigen in den eigenen Reihen wissen zu dürfen. Für die gegnerische Seite immer wieder ein schwerer Schlag. Noch dazu wusste kaum jemand von den magischen Fähigkeiten dieser Schwestern Bescheid und wenn ich mich nicht täuschte, würde der verschollene Drillingsbruder auch noch so manch eine Überraschung in sich versteckt halten.
So gesehen, dürfte sich uns dann niemand in den Weg stellen können. Friede könnte wieder unter den Menschenvölkern herrschen. Nur leider gab es immer wieder zu machtgierige und bösartige Kreaturen, die sich ihre eigenen Schlupflöcher bohrten und die Welt ins Verderben stoßen wollten. Dramatisch. Zum Teufel nochmal. Seit wann war ich denn so theatralisch geworden? Das war doch sonst immer Corvins Part gewesen, als wir zusammengekuschelte Straßenratten um etwas Brot und Tee gebettelt hatten. Die reichlich ausgeschmückten Fantasien meines kleinen Bruders hatten uns des Öfteren eine etwas erträglichere Unterkunft beschert.
„Brrrr.“ Beinahe wäre ich in Onkel Tamo hineingeritten. Mit erhobener Hand und wachsamen Blick hatte er sein braunes Pferd angehalten. Mit einem sanften Druck gab ich meinem treuen Reittier zu verstehen, sich neben unseren Anführer zu platzieren. Auch meine Schwester und Ellion wagten sich nach vorne. Ein kurzer Blick in Sunas fragendes Gesicht bestätigte meine Annahme, dass kein Grund zur Sorge bestand. Zumindest nicht, was gegnerische Krieger betraf. Dieser kleine Stopp war auf Onkel Tamos Mist gewachsen und ich würde zu gerne wissen, welche Gründe es dafür gab.
„Irgendwelche auffälligen Energien in der Nähe?“ Die Frage war ganz eindeutig an Suna gerichtet. Niemand sonst hatte ein Radar für menschliche Energieströme in seinem schlauen Köpfchen. Die Einzige, die hierbei noch infrage käme, wäre unsere Lichte Prinzessin, die derzeit noch tief und fest in ihrem seelenruhigen Schönheitsschlaf schlummerte und wahrscheinlich sowieso keine Ahnung hatte, wie sie ihre Magie kontrollieren könnte. Was nicht weiter böse gemeint war. Es war bloß ein Fakt. Schließlich hatte auch Suna ihre Trainingszeit benötigt, um ihre übermenschliche Macht uneingeschränkt in Anspruch nehmen zu können.
Angestrengt kniff meine Schwester die wunderschönen Augen fest zusammen, um sich vollends auf das Erspüren der Energieströme zu konzentrieren. Es waren kaum ein paar Sekunden verstrichen, als sie sie wieder öffnete und Tamo ernst ansah.
„Niemand in unserer Nähe“, antwortete sie schließlich mit fester Stimme.
„Gut. Dann werden wir jetzt hinabsteigen. Wir haben uns lang genug auf feindlichem Boden befunden. Zeit, nach Hause zurückzukehren und unsere Leute zu warnen.“ Auf Tamos Zeichen hin, reihten wir uns wieder hintereinander ein und folgten unserem Fürsten zum wohl versteckten Eingang der Unterwelt. Mein Herz schlug in rasendem Tempo gegen meine Rippen und pumpte Unmengen an dickflüssigem Blut durch meine Venen. Es fühlte sich so unwirklich an. Mein Verstand wollte einfach nicht verstehen, dass wir es geschafft hatten. Wir hatten unsere zum Scheitern verurteilte Mission gemeistert. Leider mussten wir etliche Verluste dazuzählen, aber zumindest konnte ich behaupten, dass meine engere Familie überlebt hatte.
Unruhige Bewegungen krochen in Reenas schläfrigen Körper hinein. Wie von einer Tarantel gestochen, setzte sie sich kerzengerade auf, wobei sie dabei den wärmenden Mantel von sich schob und dem kalten Regen ausgesetzt wurde. Verwirrt, beinahe schon panisch, blickte sie sich um und rieb sich fröstelnd die bereits feuchten, anklebenden Ärmel. Ich wollte sie wieder näher zu mir ziehen, doch ich war mir nicht sicher, ob das angebracht war. Schließlich war ich immer noch auf irgendeine Art und Weise ein Fremder. Nur ein bekanntes Gesicht. Dieser Gedanke schürte mir die Kehle zu. Ich wollte mehr für sie sein als ein vertrauenswürdiger Geist aus dem vergangenen Sommer.
Nach kurzer Zeit hatte sie alle Anwesenden genug analysiert, um keine Gefahr zu schnuppern. Weitaus entspannter kuschelte sie sich wieder an meine Brust und zog meinen warmen Mantel über sich zurecht. Mitten in der Bewegung hielt sie dann inne. Fragend drehte sie sich zu mir um. Ihre schüchternen Augen suchten die meinen. Als dann auch ihre Wangen einen rötlichen Ton annahmen, musste ich über ihre unschuldigen Art lächeln.
„Keine Sorge, du hast vorhin schon an meiner Schulter gesabbert, mach es dir ruhig wieder gemütlich.“ Ich genoss es, wie ihr meine Worte noch mehr peinliche Röte ins Gesicht zauberten. Reena war einfach zu süß. Und dennoch kannte ich auch die rebellische, ehrliche Art an ihr, die ihr nicht erlaubte, ein Menschenleben ohne schlechtes Gewissen auszulöschen. Schließlich hatte sie sich auch um mich gekümmert, wie ich als der geflohene Feind vor ihrer Hauptstadt im Sterben lag. Ich hatte zwar keine Ahnung, ob Prinzessinnen in Katalynia eine vernünftige Kampfausbildung erhalten, was ich auf jeden Fall stark bezweifelte, trotzdem fand ich es mehr als mutig, einem fremden, verfolgten Krieger zu helfen.
„Bilde dir nur jetzt ja nichts ein. Nur weil ich dich unbewusst angesabbert habe, schulde ich dir noch lange nichts.“ Leicht eingeschnappt drehte sie ihr errötetes Gesicht, das nun mehr einer reifen Tomate glich, nach vorne. Sie wand sie aus dieser peinlichen Situation wie ein Huhn kurz vor dem Schlachten. Nur mit Mühe konnte ich mein belustigtes Lachen zurückhalten. Was mir nur leider auch nicht ganz zu gelingen schien. Schlussendlich endete ich in einer halb prustenden, halb erstickenden Hustenattacke. Wie sagt man so schön: ‚Die kleinen Sünden strafen die Götter zuerst.‘
„Schön, dass ich dich so wunderbar unterhalte.“ In Reenas Stimme schwang leichter Missmut mit. Mit ungutem Schuldgefühl in der Magengrube zwang ich mich, dem stechenden Hustenreiz nicht mehr nachzugeben. Schließlich wollte ich ihr Vertrauen erlangen. Zu gerne würde ich wieder dieses unglaubliche Glitzern in ihren meerblauen Augen sehen. Diese ungestüme Leidenschaft, ihre ungeteilte Liebe. Oder war ich einfach nur ein von den flatternden Schmetterlingen geblendeter Narr, der sich das alles damals eingebildet hatte.
Читать дальше