1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 „Verheiratet?“
Ich musste lachen. Eine Freundin hatte einmal Urlaub in Brasilien gemacht. Sie hatte mir erzählt, dass jede zweite Frage der Brasilianer dem Familienstand galt. Ich hatte es ihr nicht geglaubt. „Sind Sie es?“, hakte er erneut nach.
„Du kannst gerne das Sie weglassen.“
„Okay. Möchtest du etwas essen?“
Eigentlich hatte ich keinen Hunger. Mein Bedürfnis nach Schlaf war stärker als jedes andere sterbliche Verlangen.
Der Professor nahm mir die Entscheidung ab. „Schlaf wäre ihr wohl lieber, aber mit vollem Bauch schläft es sich besser. Vertrauen Sie einem ausgedörrtem Wüstenkundigen.“, sagte er und zwinkerte mir grinsend zu.
Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln. Der Professor gehörte zu jenen Menschen, die jedem ein Schmunzeln entlocken konnten, egal ob die Situation ernst oder ausgelassen war.
„Hiermit bist du überstimmt! Habt ihr noch irgendwelche Koffer?“
Schlagartig sackte ich in mir zusammen. Mein Gepäck. Ich hatte es vollkommen vergessen und das Schlimmste war, dass es noch vom Förderband geholt werden musste.
„Einen Rucksack.“ Seufzend sah ich mich um, in der Hoffnung ein Schild zu entdecken, welches mir verriet, wo es lang ging.
„Wartet hier, ich hole ihn.“ Aleandro verschwand geschmeidig in der Menge, ehe ich ihm hinterherrufen konnte. Er wusste doch überhaupt nicht, wie mein Rucksack aussah. Hilflos starrte ich auf jene Stelle, wo der Brasilianer von dem Menschengedränge verschluckt worden war. „Er ist nett.“
„Ein guter Mann, leider etwas leichtfüßig gegenüber dem schönen Geschlecht.“
Eine schnatternde Frau, welche mehrere Kinder anführte, bahnte sich einen Weg genau in unsere Richtung. Sie drehte sich immer wieder um und brüllte ihrer Folgschar scharfe Worte zu. Die Anstrengung, den hallenden Lärm des Flughafens zu übertönen, machte sie blind für die Umgebung. Sie wäre wohl in mich hineingerannt, wäre ich nicht auf die Seite gesprungen. Was zur Folge hatte, dass ich in den Armen des Professors landete. Die fremdländische Frau sah mich im Vorbeigehen böse an. Es war ihr anzusehen, dass sie mit mir den Kampf aufnehmen würde, sollte ich es wagen, mich über ihre Eisbrechermethode zu beschweren.
Aufgelöst sah ich ihr und den Kindern nach. Erst als sie zwischen der Menschenmenge verschwunden waren, wagte ich es, den Schutz des Professors wieder zu verlassen. „Wie alt ist Aleandro eigentlich? Ehrlich gesagt, habe ich angenommen, dass Ihr Partner etwas älter wäre.“
„Sein Vater ist unser Sponsor. Vor etwa einem Monat kam er so zum Spaß nach Ägypten, um die Ausgrabungsstätte zu besuchen. Er war derart fasziniert von der Arbeit, dass er unumwunden nach einer Schaufel verlangte. Ich versuchte ihn abzuwimmeln, indem ich ihm begreiflich zu machen versuchte, dass wir mit erheblich kleinerem Werkzeug hantieren würden. Er wollte einfach nicht hören, daher übertrug ich ihm mühsame, kaum lohnende, körperliche Arbeiten. Allerdings entpuppte er sich keineswegs als das klassische Millionärssöhnchen, im Gegenteil. Nach einer Woche buddelte er nur noch mit bloßen Händen, aus Angst er könnte irgendetwas kaputt machen. Er kam mit den Entbehrungen, welche sich durch die Ausgrabungsstätte ergaben, dermaßen gut zurecht, dass ich ihm das Angebot unterbreitete, den Ausgrabungen bis zum Schluss beizuwohnen. Er ist ganz versessen auf diese Arbeit. Selbst als er von einem Skorpion gestochen wurde, weigerte er sich abzureisen. Sein ganzer Kommentar darauf lautete, dass es in Brasilien weit hässlichere und giftigere Geschöpfe als Skorpione gäbe.“
„Klingt nach einem Abenteurer.“
„Warten Sie erst einmal ab, bis Sie Justin kennengelernt haben.“
„Ich kann es kaum erwarten.“ Sarkasmus ließ mich meine Unterlippe nach vorne schieben, so dass ich einen schmollenden Eindruck erweckte.
„Was kannst du nicht erwarten?“ Aleandro tauchte breit grinsend wieder auf, an seiner Schulter hing tatsächlich mein Gepäckstück.
Verblüfft riss ich die Augen auf. „Woher wusstest du...?“
„Bescheidene Geheimnisse machen geheimnisvoll.“ Augenzwinkernd unterbrach er mich mitten im Satz, dabei lächelte er so charmant, dass mein Herz einen kleinen Hüpfer vollführte.
Beinahe erschrocken rief ich mich zur Ordnung. Was sollte dieser Mist? Da treffe ich den ersten gleichaltrigen und halbwegs gutaussehenden Mann und schon hatte ich nichts Besseres zu tun als mich seinem Charme hinzugeben. Verärgert über meine Flatterhaftigkeit griff ich nach dem Gepäck.
„Schöne Frau, du wirst doch einem Gentleman nicht seiner Zuvorkommenheit berauben? Natürlich trage ich deinen Rucksack für dich.“
Im blinden Vertrauen wir würden ihm folgen, drehte Aleandro sich um und bahnte sich einen Weg zum Ausgang. Professor Bachmann packte erneut meinen Ellbogen und zog mich wie ein Kleinkind hinter sich her.
Vor dem Flughafen flaute der Lärm nicht im Geringsten ab, im Gegenteil, er schwoll an. Taxifahrer schrien zusammen mit Hotelwerbern um die Wette und versuchten, jeden auf sich aufmerksam zu machen, auch wenn dieser es gar nicht wünschte. In der Zeit, die wir vom Ausgang zum Jeep brauchten, wurden mir mehrere abgenutzte Prospekte von verschiedenen Hotels der Stadt und Umgebung in die Hände gedrückt, welche ich kurzerhand im nächsten Papiereimer ablud. Ich hatte diesem noch nicht ganz den Rücken zugekehrt, da wurden die Prospekte schon wieder herausgeangelt und dem nächstbesten Touristen aufgezwungen.
Aleandro wuchtete meinen Rucksack auf die vordere Sitzreihe des Jeeps, hielt mich an vorne Platz zu nehmen und ließ schon den ersten Fluch auf den Verkehr ab, noch ehe er sich hinters Steuerrad geschwungen hatte. Professor Bachmann keilte mich zwischen sich und dem Brasilianer ein, indem er sich zu mir auf den Beifahrersitz quetschte. Hilflos blickte ich zu unserem Fahrer, dieser grinste entschuldigend.
„Sorry, aber die Rücksitze sind vollgepackt mit Gerätschaften und Ausrüstung.“
„Was ist mit der Ladefläche?“
„Verbandsmaterial, Medizin und ein persönliches Zelt für dich. Immerhin wirst du die einzige Frau im Lager sein. Ein Mannschaftszelt kann man dir nicht zumuten.“ Mit einem hastigen Blick auf mich setzte er eine entschuldigende Miene auf. „Tut mir leid, es ist nicht persönlich gemeint. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du deine Liege gleich neben meiner aufstellen können. Die Idee mit der Geschlechtertrennung kam von Professor Bachmann.“
„Wofür Sie mir noch sehr dankbar sein werden, Franziska. Aleandro teilt sein Zelt mit Justin. Ich kann eine Gazelle nicht in den Käfig eines Löwen und einer Hyäne sperren.“
„Ich frage jetzt lieber nicht, wer von uns beiden der Aasfresser ist. Aber ich muss Sie enttäuschen, Professor. Justin und ich haben uns getrennt.“ Lachend zwinkert er mir zu. „Ich wäre also wieder frei.“
Ich konnte nicht anders, ich musste dieses freche Grinsen einfach erwidern. Der Brasilianer nahm es strahlend zur Kenntnis. Mit einem letzten Blick auf mich startete er den Jeep und legte den Gang ein. Es war, als würden die bleierne Hitze, die Anstrengung des Atmens mit einem Schlag von mir genommen. Ich fühlte mich so frei – so voller Leben wie noch nie, dass ich einfach nicht anders konnte. Lachend funkelte ich den Professor an, dieser lächelte schelmisch zurück. Tiefe Dankbarkeit überflutete mich, in diesem Moment hätte ich diesen Mann küssen können. Mein Herz fühlte sich zu ihm hingezogen und hätte er etwas von mir gefordert, ich hätte alles für ihn getan. Lächelnd suchte ich nach seiner Hand und drückte sie fest. Der Professor tätschelte sachte meinen Arm, während seine Augen einen beinahe liebevollen Ausdruck annahmen.
Aleandro fuhr in einem wilden Zickzack durch Kairos Straßen, hupte und fluchte wie ein ausgekochtes Waschweib, nahm weder auf Esel, Fahrradfahrer noch Fußgänger Rücksicht. Sein Fahrstil hatte zur Folge, dass wir derart oft verflucht wurden, dass ich mich bekreuzigte und den Allmächtigen anflehte, uns vor den alten Göttern Ägyptens zu schützen. Meine Gebete wurden erhört. Kein Blitz zuckte vom Himmel, der uns im Auto zerschmetterte, keine Heuschreckenplage raste über unsere Köpfe hinweg und kein kriegerischer Pharao erhob sich aus seinem Grab, um uns zu zermalmen. Vielleicht rettete uns auch Aleandros leichtsinniges Geschick mit dem Auto.
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