„Zweimal im letzten halben Jahr.“
„Wie lange dauern diese Störungen an?“
„Unterschiedlich. Von einem Tag bis zwei Stunden war bisher alles dabei.“
„Hatten Sie währenddessen irgendwelche Atmungsstörungen? Verdauungsprobleme?“
„Nein, es betrifft nur Arme und Beine.“
Professor Bachmann lehnte sich nach vorn, packte meine Handgelenke und zwang mich so, den hängenden Kopf zu heben. Seine Augen wirkten derart mitleidig, dass ich auf Anhieb ein ungutes Gefühl hatte. „Was hat diese Anfälle ausgelöst?“
„Ich war zu Ihnen sehr offen, Professor. Bisher habe ich mit niemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit meinem Mann.“
Professor Bachmann ließ mich los und lehnte sich wieder zurück. „Was uns gleich zur nächsten Frage bringt. Haben Sie sich von ihm scheiden lassen?“
„Mutter hat Ihnen wohl alles erzählt!“, giftete ich, ließ den Kaffeebecher los und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Ja, hat sie und falls es Sie beruhigt, ich habe nicht mit ihr geschlafen, obwohl sie eine sehr schöne Frau ist.“
Seufzend griff ich wieder nach meinem kalt gewordenen Kaffeebecher und drehte ihn in den Händen. Dabei stierte ich auf die unansehnliche Brühe, welche sich bedenklich dem Ende zugeneigt hatte. „Jan möchte sich nicht scheiden lassen. Ich habe ihm versprochen, noch einmal über alles nachzudenken. Wahrscheinlich bin ich einfach nur zu feige es auf einen Streit ankommen zu lassen.“, gab ich zerknirscht zu.
„Aber Sie sind ungebunden!“
„Ich frage ihn nicht um Erlaubnis, wenn Sie das meinen.“
Mit einem Schlag wirkte der Professor sehr zufrieden. Er lehnte sich wieder lächelnd zurück, dabei hakte er seine Finger auf der Tischkante ein und lächelte aufmunternd. Alles in allem schmunzelte der Professor sehr gerne, was wohl seine vielen Lachfältchen in seinem Gesicht erklärte. „Dann bleibt nur noch zu klären, wann Sie Zeit hätten, um mit mir nach Ägypten zu reisen.“
Schmerzlich grinsend schüttelte ich meinen Kopf. „Ich kann Sie nicht begleiten. Die motorischen Ausfallerscheinungen können mich jederzeit überfallen. Ich glaube nicht, dass aufregende Funde mir guttun würden.“
„Gehe ich richtig in der Annahme, dass die erste Ausfallerscheinung ausgelöst wurde, als Sie sich Gedanken über eine eventuelle Scheidung machten?“ Erschrocken schloss ich meine Augen, eine Geste, um den Professor abzuschrecken. Jedoch sprach er unbeeindruckt weiter: „Das zweite Mal, passierte es, als Ihr Mann bei Ihnen auftauchte, nachdem Sie ihm schriftlich mitgeteilt hatten, dass Sie die Scheidung einreichen würden. War es so?“ Den Tränen nahe richtete ich mich in meinem Stuhl auf und versuchte, einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen. „Frau Keller, ich glaube nicht, dass Ihr Körper Sie bei einer freudigen Aufregung verraten würde. Und ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand oder irgendetwas Sie zu einer bewegungsunfähigen Puppe macht. Kommen Sie mit mir nach Ägypten und verwirklichen Sie Ihre Träume.“
Ich zwang mich ruhiger zu atmen. Tausende von Emotionen schlugen wie eine Flutwelle über mir zusammen, so dass ich kaum in der Lage war, diese zu interpretieren. Nur ein Gefühl konnte ich hundertprozentig filtrieren: Angst! „Es tut mir leid, Professor. Ich glaube nicht, dass ich die Richtige für diesen Job bin.“ Ich versuchte, meine Stimme nicht zittern zu lassen. Die Angst kroch wie eisige Klauen an mir hoch. Ich bekam weniger Luft und irgendwie bemerkte ich auch, dass die Welt um mich herum grauer wurde. Die Farben verblassten und hinterließen eine wüstenhafte Düsternis in mir. Am liebsten hätte ich geweint, aber ich konnte es nicht.
Der Professor nahm seine Finger von der Tischkante. So wie seine Stimme, so senkte sich auch sein Blick. „Schade, denn genau das hat mir Justin prophezeit. Er diktierte mir sogar Wort für Wort Ihre Ausrede.“
„Wer ist Justin?“ Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte bei dieser Frage geschnieft.
„Justin Schreiber, der deutsche Journalist, der Ihre Thesen im Internet veröffentlicht hat.“
Blinzelnd vertrieb ich die Düsternis in mir, um das eben Gesagte zu hinterfragen. „Was hat er mit Ihrer Ausgrabung zu tun?“
Bachmanns Miene verzog sich leicht. Sein Tonfall ließ sich durchaus in der Kategorie angewidert einteilen. „Ein penetranter Kerl, unausstehlich und verbissen wie eine Zecke. Irgendwie hat er Wind von meinem Projekt bekommen. Er tauchte aus dem Nichts auf und lässt sich nicht mehr abwimmeln. Andererseits ist er eine große Hilfe, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Er hat archäologische Grundkenntnisse und unterstützt uns bei den Ausgrabungen.“
„Zweifellos, um die ersten Sensationsfotos schießen zu können.“
„Mit Sicherheit, aber er ist ein verdammt guter Fotograf. Als uns eine Serie von Aufnahmen abhandenkam, hat er uns seine zur Verfügung gestellt. Es waren erstklassige Bilder, teilweise besser als unsere eigenen. Mittlerweile fotografiert ausschließlich er.“
„Sie scheinen ihn dennoch nicht zu mögen.“
Professor Bachmann zwinkerte mir schelmisch zu. „Habe ich das etwa gesagt?“ Seine Miene wurde wieder ernst. „Fakt ist, dass er uns mit den Fotografien sehr unterstützt.“
„Sind sonst noch irgendwelche Journalisten vor Ort?“
„Ein Italiener. Im Gegensatz zu Justin ein Waschlappen. Mich wundert nur, dass die Amerikaner oder die Polen noch nicht Wind von der Sache bekommen haben. Normalerweise sind sie die Ersten, die auf einer Ausgrabungsstätte anrücken.“
„Was Sie natürlich sehr bedauern.“
Der Professor lachte laut heraus. „Frau Keller ...“
„Habe ich es mir doch gedacht!“
Eine wütende Stimme ließ mich wie von der Tarantel gestochen vom Stuhl hochschnellen. Mein Chef! Sein Gesicht wie immer tadelnd und missbilligend gefurcht, die Augen wie stets kalt und ungnädig auf mich gerichtet. Ich hasste seinen grauen Anzug, ich verabscheute seine herabschauende Haltung und noch viel mehr verachtete ich seine dünnen widerlichen Lippen, die verächtlich zusammengepresst waren. Doch am meisten widerte mich sein betont langsames Sprechen an. „Herr Miller ...“
Ohne es zu wollen, zog ich meinen Kopf ein, als seine kalte Stimme über mich drüberfuhr.
„Das ist nun schon das fünfte Mal in diesem Monat, dass ich Sie dabei erwische, wie Sie Ihre Mittagspause überziehen. Es waren bereits sieben Studenten bei mir, die sich massiv über Sie beschwert haben. Sie werden jetzt augenblicklich zu Ihrer Arbeit zurückkehren. Hüten Sie sich, heute pünktlich Feierabend zu machen. Wenn wieder Ordnung in Ihrer Abteilung herrscht, werden Sie mich in meinem Büro aufsuchen. Bitte scheuen Sie keine späte Stunde, ich werde extra für Sie Überstunden machen.“ Drohend hob er den Zeigefinger.
Panisch schloss ich die Augen, als ich es doch tatsächlich schaffte, meinem Vorgesetzten zu widersprechen. „Ich habe die Mittagspause noch nie überzogen.“
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Werden Sie nicht frech, ansonsten könnte ich mir überlegen Sie hinauszuwerfen.“
Wenn mich etwas mutig werden ließ, dann der Gedanke von Ungerechtigkeit oder übler Nachrede. Zitternd ballte ich die Hände, drückte meinen Rücken durch und starrte ihm direkt in die Augen. Betont langsam erklärte ich: „In der Regel arbeite ich während der Mittagspause.“
„Erzählen Sie keinen Unsinn.“ Er machte eine abfällige Handbewegung. „Ich habe Sie höchstpersönlich fünfmal erwischt.“
Vergessen war meine Angst, vergessen meine Unterwürfigkeit und vergessen war meine Abscheu vor diesem Menschen. Meine Stimme überschlug sich beinahe vor Zorn. „Wenn Sie eine Minute abgewartet hätten und nicht jedes Mal zum Direktor gerannt wären, um mich anzuschwärzen, dann hätten Sie zweifellos festgestellt, dass ich mir nur schnell ein Sandwich oder einen Kaffee geholt habe.“
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