»Vater, geben Sie ihm meinen Betschemel. Den habe ich oft mit Tränen benetzt, wenn ich den Himmel um Kraft bat, den Geliebten zu vergessen, dessen Liebe ich nicht verdiente! Was das Asyl für Waisen und verlassne Mädchen anbetrifft, so wünsche ich, mein Vater –«
Hier brach Rudolfs Brief ab und enthielt nur noch die fast unleserlichen Worte: »Murph wird dieses Schreiben beenden – ich habe nicht die Kraft dazu – o des dreizehnten Januar!«
Der Schluß des Briefes, von Murph geschrieben, lautete:
Gnädige Frau!
Auf Befehl Seiner Hoheit beende ich diesen traurigen Bericht. Die beiden Briefe unsers gnädigen Herrn haben Sie ja schon auf die Nachricht vorbereitet, die ich zu melden habe. Es sind wohl drei Stunden seitdem her, daß der gnädige Herr schrieb und ich im Zimmer nebenan wartete, um die Briefe sogleich durch Eilboten abzuschicken. Plötzlich kam die Prinzessin Juliane mit verstörter Miene herein. »Sir Walter.« sagte sie, »Seine königliche Hoheit muß etwas Schreckliches erfahren. Bereiten Sie ihn, darauf vor. Aus Ihrem Munde trifft es ihn vielleicht minder schwer.«
Ich begriff, was geschehen war, und hielt es in der Tat für ratsam, die Botschaft selber zu bestellen. Die Prinzessin hatte mir mitgeteilt, Amalie läge im Sterben und Seine Hoheit müsse sich beeilen, wenn er noch ihre letzten Seufzer hören wolle. Ich eilte zu Seiner Hoheit hinein, der die Kunde schon von meinem Gesicht ablas und mit mir ins Kloster eilte.
Prinzessin Amalie war in ihre Zelle gebracht worden. Eine Schwester wachte bei ihr. David war gerufen worden und hatte vergebens versucht, die verlöschenden Lebensgeister zu wecken. Er muhte einsehen, daß menschliches Können hier nichts mehr zu verrichten imstande sei. Die Prinzessin hatte die Sterbesakramente empfangen, als Seine Hoheit eintrat. Ein schwacher Schimmer von Bewußtsein war ihr noch geblieben – in den über der Brust gefalteten Händen hielt sie die Ueberreste ihres kleinen Rosenstocks.
Der gnädige Herr stürzte zu ihrem Bette hin, fiel auf die Knie und schluchzte: »Mein Kind! mein Kind!« – Prinzessin Amalie hörte ihn, öffnete die Augen, erkannte ihn, lächelte und antwortete mit kaum vernehmlicher Stimme: »Mein guter, lieber Vater, verzeih mir – auch Heinrich – auch du, meine teure zweite Mutter! Verzeiht mir alle!«
Dies waren ihre letzten Worte. – Eine Stunde noch schwebte sie sanft zwischen Leben und Tod – dann war sie hinüber. Der gnädige Herr sprach kein Wort – sein Schweigen war entsetzlich – er drückte ihr die Augen zu, küßte sie mehrmals, entzog ihren kalten Händen die Ueberreste des Rosenstockes und ging hinaus. Ich folgte ihm, er kehrte in das Haus vorm Kloster zurück, zeigte mir den begonnenen Brief und sagte nur: »Ich kann nicht weiter» schreiben. Mein Kopf droht zu springen. Schreibe du der Großherzogin, daß sie keine Tochter mehr hat.«
Das habe ich nun hiermit getan, doch nun möge mir als dem ältesten Diener des gnädigen Herrn auch erlaubt sein, die Bitte hinzuzufügen, die dringende Bitte: Kommen Sie so schnell wie nur irgend möglich zurück! Nur Ihre Anwesenheit kann unsern gnädigen Herrn vorm Wahnsinn erretten!
Damit ist mein trauriges Amt erfüllt. Empfangen Sie die Versicherung meiner Ehrfurcht und Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu verbleiben
Eurer Königlichen Hoheit gehorsamster Diener Walter Murph.
Am Vorabend des feierlichen Trauergottesdiensts für Prinzessin Amalie traf Clemence mit ihrem Vater in Gerolstein ein, und Rudolf war am Begräbnis seiner Tochter, der armen Marienblume, nicht allein.
Ende.