„Was hätte er thun sollen?“ rief die Wirthin. „Weißst Du nicht selbst, Hollister, daß die Bestie, welche er ritt, nicht sonderlich geeignet war, von einem Felsen zum andern zu springen, obgleich sie so rührig war, als wie ein Eichhörnchen? Doch was nützt es, davon zu reden, da er schon so lange heimgegangen! Ich wollte nur, daß er es erlebt hätte, das wahre Licht zu sehen; aber eine brave Seele, die im Kampf für die Freiheit im Sattel starb, muß doch auch Gnade finden. Wenn sie ihm und so manchen Tapfern, der wie er starb, nur nicht einen so armseligen Grabstein gesetzt hätten! Aber das Schild ist sehr ähnlich und ich will es erhalten, so lang der Schmied noch einen Hacken machen kann, um ihn zu tragen — allen Kaffeehäusern zwischen hier und Albany zum Trotze.“
Wir können nicht sagen, auf welche Abschweifungen diese Unterhaltung das würdige Paar noch geführt haben würde, wenn nicht die Männer vor der Thüre dem Abstampfen des Schnees von ihren Füßen plötzlich ein Ende gemacht hätten und in die Wirthsstube getreten wären.
Es vergingen zehn oder fünfzehn Minuten, bis sich die verschiedenen Individuen, welche Erbauung geben oder holen wollten, vor den Feuern des kühnen Dragoners niedergelassen und so ziemlich alle Bänke der Gaststube besetzt hatten. Die behaglichste Ecke des Zimmers nebst einem hochlehnigen hölzernen Canapee hatte Doctor Todd mit einem schmutzig aussehenden, schäbig-gentilen jungen Mann eingenommen, der fleißig Taback schnupfte, einen Rock von ziemlich modischem Schnitte trug und oft eine große silberne Uhr, die an einer Haarkette hing und mit einem silbernen Schlüssel versehen war, herauszog: er schien so ziemlich zwischen den Handwerkern in seiner Nähe und einem wirklichen Mann von Stande die Mitte zu halten.
Mehrere braune Krüge mit Cyder oder Bier wurden zwischen die Feuerböcke gesetzt und unter den Gästen bildeten sich kleine Gruppen, sobald einer einen Vortrag hielt oder die Flüssigkeit ihre Runde machte; denn Niemand hatte ein besonderes Glas, wie denn auch überhaupt für jede Gattung von Getränk nur ein einziges Gesätz für nöthig erachtet wurde; das Glas oder der Krug ging daher von Hand zu Hand, bis die Reihe zu Ende war oder eine gewisse Achtung vor den Rechten des Festgebers die Neige des Trankes dem wieder zuschob, welcher denselben bezahlt hatte.
Gewöhnlich wurden dabei Toaste getrunken und hin und wieder versuchte einer, der von der Natur vorzugsweise mit Witz bedacht zu seyn vermeinte, seine Dankgefühle in Phrasen auszudrücken, wie zum Beispiel: „Er hoffe, daß der Festgeber es weiter bringen möge, als sein Vater,“ oder „er möge leben, bis alle seine Freunde ihm den Tod wünschten;“ während sich die bescheideneren Zechgenossen begnügten, mit gravitätischem Ernste auf „gut Glück,“ oder einen anderen gleich kurzen und inhaltsreichen Wunsch zu trinken. Stets wurde aber der invalide Wirth aufgefordert, die Sitte der königlichen Mundschenke nachzuahmen und das Glas, welches er präsentirte, vorher zu kosten — eine Aufforderung, welcher er gewöhnlich dadurch willfahrte, daß er seine Lippen benetzte, nachdem er zuvor den Toast: „was wir hoffen“ ausgebracht hatte, bei welch' klüglichem Ausweg es dem Gutdünken der Gäste überlassen blieb, den umfassenden Wunsch nach eigenem Sinne zu deuten. Während dieses Treibens war die Wirthin emsig beschäftigt, eigenhändig die von ihren Kunden verlangten Getränke zu mischen, wobei sie hin und wieder einen der Dorfbewohner, welcher sich dem Verschlage näherte, grüßte und sich nach dem Befinden seiner Familie erkundigte.
Als endlich der Durst der Gäste einigermaßen gestillt war, gewann das Gespräch einen mehr allgemeinen Charakter, wie er gerade für die Stunde paßte. Der Arzt nebst seinem Gefährten, einem der zwei Advokaten des Dorfes — die man am meisten für geeignet hielt, das Wort zu führen, waren die Hauptsprecher, obgleich sich auch hin und wieder Herr Doolittle, welchen man nur in dem beneidenswerthen Punkte der Erziehung als Jenen nachstehend betrachtete, eine Bemerkung erlaubte. Ein allgemeines Stillschweigen trat ein, als der Rechtsgelehrte folgendermaßen begann:
„Dem Vernehmen nach, Doctor Todd, habt Ihr diesen Abend eine wichtige Operation vorgenommen, indem Ihr Lederstrumpfs Sohne einen Hirschposten aus der Schulter schnittet?“
„Ja. Sir,“ erwiederte der Andere, indem er seinen kleinen Kopf mit einer wichtigthuenden Miene erhob. „Ich hatte ein derartiges kleines Geschäft bei dem Richter; doch will es nicht viel heißen. Ein anderes wäre es gewesen, wenn der Schnß durch den Körper gegangen wäre. Die Schulter ist kein zum Leben unbedingt nöthiger Theil, und ich denke, der junge Mann wird bald wieder gesund seyn. Ich wußte jedoch nicht, daß der Patient ein Sohn von Lederstrumpf ist, denn ich hörte nie, daß Natty ein Weib hatte.“
„Das folgt auch nicht nothwendig daraus,“ entgegnete der Andere, indem er sich mit einem pfiffigen Blinzeln umsah. „Ich denke, Ihr wißt, daß es so eine Art Ding gibt, was der Jurist einen filius nullius nennt?“
„Sagt uns das in gutem königlichem Englisch, Mann,“ rief die Wirthin. „Für was soll es gut seyn, in einem Zimmer ehrlicher Christenmenschen indianisch zu sprechen, und wenn es sich auch nur um einen armen Jäger handelte, der nicht viel besser ist als die Wilden selbst? Doch dürfen wir hoffen, daß die Missionäre seiner Zeit die armen Teufel bekehren, wo dann wenig darauf ankömmt, von welcher Farbe ihre Haut ist, oder ob sie Wolle oder Haare auf dem Kopfe tragen.“
„Es ist lateinisch, nicht indianisch, Frau Hollister,“ entgegnete der Rechtsgelehrte, indem er sein pfiffiges Blinzeln wiederholte, — „und Doctor Todd versteht lateinisch, — wie wollte er sonst die Aufschriften auf seinen Apothekerbüchsen und Schibladen lesen? Nein, nein, Frau Hollister, der Doctor versteht mich — nicht wahr, Doctor?“
„Hem — nun, ich vermuthe, daß ich nicht weit davon bin,“ versetzte Elnathan, indem er sich mühte, den Gesichtsausdruck des andern nachzuahmen. „Lateinisch ist eine wunderliche Sprache, meine Herren, — und ich will wetten, es ist nicht einer in dem Zimmer, Squire Lippet ausgenommen, welcher glauben könnte, daß ,Far. Av.‘ Habermehl bedeutet.“
Nun kam die Reihe, ob dieser Zurschaustellung von Gelehrsamkeit verlegen zu werden, an den Advokaten; denn obgleich er auf einer der öffentlichen Universitäten promovirt hatte, so war er doch etwas verblüfft über den von seinem Gefährten gebrauchten Ausdruck. Indeß war es gefährlich, in einem öffentlichen Wirthshause und vor so vielen seiner Clienten, den Anschein zu gewinnen, als werde er an Gelehrsamkeit übertroffen, weßhalb er die beste Miene zu der Sache machte und in ein schlaues Gelächter ausbrach, als stecke irgend ein guter Witz darunter, der nur von dem Arzte und ihm selbst verstanden werde. Die Zuhörer wechselten indessen Blicke des Beifalls, und Ausdrücke, wie: „Versteht sich auf Sprachen,“ und „ja wenn's Einer weiß, so muß es Squire Lippet wissen,“ ließen sich als Zoll der Bewunderung in den verschiedenen Theilen des Zimmers vernehmen. So ermuthigt, erhob sich der Rechtsgelehrte von seinem Stuhl, wandte den Rücken dem Feuer zu, faßte die Trinkgesellschaft in's Auge und fuhr fort:
„Nun, mag er jetzt Natty's Sohn oder der Sohn von Niemand seyn — ich hoffe wenigstens, daß der junge Mann die Sache nicht beruhen lassen wird. Wir leben in einem Lande der Gesetze, und da möchte ich doch sehen, ob das Gericht der Ansicht ist, daß ein Mann, der hunderttausend Morgen Landes besitzt oder zu besitzen vorgibt, mehr Recht hat, auf seinen Nebenmenschen zu schießen, als ein anderer. Was haltet Ihr davon, Doctor Todd?“
„O, Sir.“ entgegnete der Doctor, „ich bin, wie bereits gesagt, der Ansicht, daß die Verletzung keinen lebensgefährlichen Theil getroffen hat. Auch wurde die Kugel bald ausgezogen, und die Schulter, wie ich wohl behaupten darf, gut verbunden; ich glaube daher nicht, daß die Sache so gefährlich ist, als sie hätte werden können.“
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