Der junge Jäger stellte diese Beobachtungen an, während die Gesellschaft vor dem lustigen Feuer Platz nahm, was eine Unterbrechung des Gespräches zur Folge hatte. Sobald aber Alle sich's bequem gemacht und Luise das dünne verblichene Seidenkleid und den Strohhut, der allerdings mehr zu ihrem bescheidenen edlen Antlitze, als für die rauhe Jahreszeit paßte, abgelegt und gleichfalls einen Stuhl zwischen ihrem Vater und dem Jüngling genommen hatte, begann der Erstere auf's Neue:
„Ich hoffe, mein junger Freund, daß die Erziehung, welche Sie erhielten, die meisten jener rachsüchtigen Grundsätze ausgerottet hat, welche Sie wohl Ihrer Abkunft verdanken mögen; denn wenn ich John's Ausdrücke recht verstehe, so strömt einiges von dem Blute des Delawarenstammes in Ihren Adern. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, denn weder die Farbe, noch die Abkunft gibt ein Verdienst, und ich weiß nicht, ob nicht diejenigen, die dem Blute nach den ursprünglichen Eigenthümern dieses Bodens entsproßten, das beste Recht haben, diese Berge mit leichtem Gewissen zu betreten.“
Mohegan wandte sich feierlich und mit den ausdrucksvollen Geberden eines Indianers zu dem Sprecher und entgegnete:
„Vater. Du hast den Sommer Deines Lebens noch nicht zurückgelegt; Deine Glieder sind jung. Geh' auf den höchsten Berg und blick', um Dich. Alles, was du siehst, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, von den Hauptwassern der großen Quelle bis dahin, wo sich der gekrümmte Fluß [Susquehannah heißt übertragen ,gekrümmter Fluß, ‘ wie überhaupt hannah oder hannock in vielen Dialecten der Eingeborenen einen Fluß bedeutet. So finden wir weiter südlich in Virginien einen Rappehannock.] in den Bergen verbirgt, ist sein. Er stammt aus dem Blute der Delawaren und sein Recht ist stark. Aber der Bruder von Miquon ist gerecht.
Er wird das Land in zwei Theile schneiden, wie es der Fluß in den Niederungen thut, und wird zu dem ,jungen Adler‘ sagen: ,Kind der Delawaren, nimm es — behalte es, und sey ein Häuptling in dem Lande Deiner Väter.‘ “
„Nimmermehr.“ rief der junge Jäger mit einer Heftigkeit, welche die gespannte Aufmerksamkeit plötzlich vernichtete, womit der Geistliche und seine Tochter dem Indianer zuhörten. „Der Wolf des Waldes ist nicht gieriger auf seine Beute, als dieser Mann nach Gold und doch ist sein Schleichen nach dem Besitz so leise, als die Bewegung der Schlange.“
„Gott bewahre Dich, Gott bewahre Dich, mein Sohn,“ unterbrach ihn Herr Grant. „Solche ungestüme Leidenschaftlichkeit darf man nicht aufkommen lassen. Die zufällige Beschädigung, die Dir von dem Richter Temple zugefügt wurde, hat das Gefühl der Kränkung wegen Beeinträchtigung Deines Erbes gesteigert. Aber vergiß nicht, daß die eine unabsichtlich war, und die andere eine Wirkung des politischen Wechsels ist, welcher in seinem Laufe den Stolz von Königen demüthigte, und mächtigen Nationen den Untergang gebracht hat. Wo sind nun die Philister, die so oft die Kinder Israels ihr Joch fühlen ließen? Wo ist die Stadt Babylon, die in Ueppigkeit und Lastern schwelgte, und sich in ihrem Stolze die Königin der Völker nannte? Erinnere Dich der Bitte in unserer heiligen Litanei, in der wir die Allmacht anflehen — ,daß es ihr gefallen möge, unsern Feinden, Verläumdern und Verfolgern zu vergeben, und ihre Herzen umzuwenden‘. Das Unrecht, das den Eingeborenen zugefügt wurde, hat Richter Temple mit einem ganzen Volke gemein, und was Deinen Arm anbelangt, so wird er bald wieder die frühere Kraft besitzen.“
„Dieser Arm?“ wiederholte der Jüngling, indem er mit heftiger Aufregung im Zimmer auf und ab schritt. „Glauben Sie, Sir, ich halte den Mann für einen Mörder? — O nein, er ist zu schlau und zu feige zu solch einem Verbrechen. Aber mag immerhin er und seine Tochter in seinem Reichthum schwelgen — der Tag der Vergeltung bleibt nicht aus. — Nein, nein, nein,“ fuhr er ruhiger auftretend fort — „nur Mohegan konnte auf die Vermuthung kommen, daß die Verletzung absichtlich geschah; doch diese Kleinigkeit ist nicht werth, daß ich weiter daran denke.“
Er setzte sich, stemmte die Arme auf seine Kniee und verbarg sein Gesicht mit den Händen.
„Es ist das erbliche Ungestüm der Leidenschaft eines Eingeborenen, mein Kind,“ sagte Herr Grant leise zu seiner Tochter, welche sich entsetzt an seinen Arm geklammert hatte. „Er hat, wie du hörtest, indianisches Blut in den Adern, und weder die Macht der Erziehung, noch die Vortheile unserer ausgezeichneten Liturgie sind im Stande gewesen, das Uebel mit der Wurzel auszurotten. Doch kann Sorgfalt und Zeit noch viel für ihn thun.“
Obgleich der Geistliche leise gesprochen hatte, so war er doch von dem Jüngling nicht unbeachtet geblieben, denn er erhob jetzt sein Haupt und fuhr, mit einem unbestimmten Lächeln in seinen Zügen, ruhiger fort:
„Sie brauchen sich weder durch die Wildheit meines Benehmens noch durch die Rauhheit meines Aeußern beunruhigen zu lassen, Miß Grant. Eine Leidenschaftlichkeit hat mich hingerissen, die ich hätte unterdrücken sollen, und ich muß sie mit Ihrem Vater dem Blute beimessen, das in meinen Adern fließt, obgleich ich meinem Stamme deßhalb keinen Vorwurf machen will, denn es ist das einzige mir verbliebene Erbe, dessen ich mich rühmen kann. Ja, ich bin stolz auf die Abkunft von einem Delawarenhäuptling, von einem Krieger, der der menschlichen Natur zur Ehre gereichte. Der alte Mohegan war sein Freund und der Zeuge seiner Tugenden.“
Herr Grant nahm jetzt das Gespräch auf, und als er den jungen Mann ruhiger und den betagten Häuptling aufmerksam fand, so erging er sich in einer weiten theologischen Erörterung über die Pflicht der Vergebung. Die Unterhaltung dauerte über eine Stunde, bis endlich die Gäste aufstanden und sich auf's freundlichste verabschiedeten. An der Thüre trennten sie sich und Mohegan schlug den Weg nach dem Dorfe ein, während der Jüngling dem See zuging. Der Geistliche blieb vor seinem Hause stehen und sah der dahingleitenden Gestalt des alten Häuptlings nach, der sich mit einer für seine Jahre erstaunlichen Geschwindigkeit in dem tiefen Pfade hinbewegte; sein schwarzes, starres Haar war noch über dem durch die Wollendecke gebildeten Ballen sichtbar, der sich bisweilen in dem Silberlichte des Mondes kaum von dem Schnee unterscheiden ließ. An der hintern Seite des Hauses befand sich ein Fenster, welches sich nach dem See hin öffnete; und hier wurde Luise von ihrem Vater gefunden, wie sie aufmerksam in der Richtung der östlichen Berge nach irgend einem Gegenstand blickte. Er näherte sich ihr und bemerkte die Gestalt des jungen Jägers in der Entfernung von einer halben Meile, wie sie mit großen Schritten über das weite Schneefeld, welches das Eis bedeckte, gerade nach der Stelle hinstreifte, wo, wie er wußte, Lederstrumpfs Wohnung am Rande des Sees unter einem Felsen lag, dessen Gipfel mit Fichten und Tannen bedeckt war. Im nächsten Augenblick verloren sich die Umrisse des Fremden in dem Schatten überhängender Bäume und kamen nicht wieder zum Vorschein.
„Es ist wunderbar, wie lange sich die Neigungen des Wilden in diesem merkwürdigen Geschlechte fortpflanzen,“ sagte der gute Geistliche; „aber wenn er fortfährt, wie er angefangen, so wird er dennoch zuletzt Herr darüber werden. Erinnere mich daran, Luise, daß ich ihm bei seinem nächsten Besuche die Predigt ,gegen die Gefahren des Götzendienstes‘ leihe.“ '
„Gewiß, lieber Vater, Sie glauben nicht, daß er je zu der Gottesverehrung seiner Vorfahren zurückkehrt?“
„Nein, mein Kind,“ entgegnete der Diener der Kirche, indem er seine Hand mit einem liebevollen Lächeln auf ihre gelben Locken legte; „sein weißes Blut schon würde das verhindern; aber es gibt auch noch einen andern Götzendienst — den unserer Leidenschaften.“
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