Bei diesen Worten bog er in eine kleine Versenkung des Pfades nach einem der kleinen Bäche ein, welche ihr Wasser in den See ergoßen, und als er sich umwandte, um nach seiner Tochter zu sehen, bemerkte er, daß der Jüngling vorgetreten war und ihr den Arm gerreicht hatte. Sobald sie Alle wohlbehalten auf der andern Seite standen, stieg er an dem Ufer wieder hinan und setzte sein Gespräch fort.
„Es war nicht Recht, mein lieber Herr, es war unter keinen Umständen Recht, solche Gefühle aufkommen zu lassen; am allerwenigsten aber in einem Falle, wo von keiner absichtlichen Beschädigung die Rede seyn konnte.“
„Es ist etwas Gutes in den Worten meines Vaters,“ sagte Mohegan, indem er stehen blieb und dadurch auch diejenigen, welche ihm nachfolgten, zum Haltmachen nöthigte; „denn ebenso spricht Miquon. Der weiße Mann mag ihm, wie ihm seine Väter gesagt haben; aber der junge Adler hat das Blut eines Delawarenhäuptlings in seinen Adern; es ist roth und der Flecken, den es macht, kann nur durch Blut eines Mingo ausgelöscht werden.“
Herr Grant wurde durch die Unterbrechung des Indianers so überrascht, daß er sich umwandte und den Sprecher ansah. Seine milden Züge waren auf das stolze und wilde Antlitz des Häuptlings gerichtet und sprachen das Entsetzen aus, welches er fühlte, als er eine solche Ansicht aus dem Munde eines Mannes vernahm, der sich zu der Religion seines Heilandes bekannte. Er erhob die gefalteten Hände und rief:
„John, John! ist das die Religion, die Du von den Herrnhutern gelernt hast? Doch nein — ich will mir keine solche lieblose Voraussetzung erlauben. Sie sind fromme, sanfte und milde Leute, und würden solche Leidenschaften nicht dulden, — ,ich aber sage Euch, liebet Eure Feinde; segnet die, so Euch fluchen; thut Gutes denen, die Euch hassen, und betet für die, welche Euch beleidigen und verfolgen‘! — Dieß ist das Gebot Gottes, John, und wer sich nicht Mühe gibt, demselben nachzukommen, wird das Reich der Seligen nicht schauen.“
Der Indianer hörte dem Geistlichen mit Aufmerksamkeit zu; die ungewöhnliche Gluth seines Auges sänftigte sich allmählig, und seine Gesichtsmuskeln nahmen die gewöhnliche Ruhe wieder an; dann aber schüttelte er leicht das Haupt, winkte Herrn Grant mit Würde, weiter zu gehen, und folgte selbst schweigend nach. Die Aufregung veranlaßte den Geistlichen, mit ungewöhnlicher Schnelle in dem tiefen Pfade fortzueilen, und der Indianer hielt, augenscheinlich ohne daß es ihn Anstrengung kostete, gleichen Schritt mit ihm; der junge Jäger aber bemerkte, als bereits ein kleiner Zwischenraum zwischen den beiden Vordern und den Folgenden lag, daß das Mädchen nicht nachzukommen vermochte, weßhalb er ihr seinen Beistand anbot.
„Sie sind ermüdet, Miß Grant,“ sagte er. „Man gleitet auf dem Schnee leicht aus, und Sie sind nicht im Stande, es uns Männern gleich zu thun. Ich bitte, treten Sie ein wenig auf die Seite und nehmen Sie den Beistand meines Armes an. Jenes Licht dort kommt, wie ich glaube, aus dem Hause Ihres Vaters; aber es scheint noch ziemlich weit entfernt zu seyn,“
„Ich kann noch recht gut gehen,“ erwiederte sie mit leiser, bebender Stimme; „aber das Benehmen des Indianers hat mich erschreckt. Ach, sein Auge war fürchterlich, als er es gegen den Mond erhob, während er mit meinem Vater sprach. Doch, ich vergesse, Sir, daß er Ihr Freund und seinen Reden nach zu schließen, vielleicht Ihr Verwandter ist; und doch habe ich keine Angst vor Ihnen.“
Der junge Mann trat auf die Schneerinde, welche fest genug war, um sein Gewicht zu tragen und veranlaßte seine Gefährtin mit sanfter Gewalt, ihm zu folgen. Er legte ihren Arm in den seinigen, nahm die Mütze von seinem Kopfe, so daß die dunkeln Locken in reichen Ringeln um seine offene Stirne wallten, und ging mit einer Miene selbstbewußten Stolzes neben ihr her, als wolle er sie auffordern, die Gedanken in seinem Innersten zu lesen. — Luise warf nur einen verstohlenen Blick auf den Jüngling und schritt, gestützt von seinem Arme, rasch und ruhig voran.
„Sie kennen die Eigenthümlichkeiten dieses Volkes nur wenig, Miß Grant,“ sagte er, „sonst würden Sie wissen, daß Rache dem Indianer als eine Tugend gilt. Man hat sie von Kindheit auf gelehrt, es für eine Pflicht zu halten, jede Unbild zu vergelten, und nichts als die höheren Ansprüche der Gastfreundlichkeit kann gegen ihre Rache schützen, wenn die Macht dazu in ihre Hand gegeben ist.“
„Aber Sie sind doch nicht zu so unheiligen Grundsätzen erzogen worden?“ entgegnete Miß Grant, indem sie unwillkürlich ihren Arm aus dem seinigen zog.
„Für Ihren vortrefflichen Vater bedürfte es keiner andern Antwort, als daß ich in dem Schooß der Kirche erzogen wurde, aber gegen Sie will ich hinzufügen, daß mir die Lehre von der Vergebung tief und nachdrücklich durch das Leben selbst eingeschärft wurde. Ich glaube, daß mir in dieser Hinsicht nur wenig vorgeworfen werden kann, und ich will mir Mühe geben, auch dieses Wenige noch zu vermindern."
Er hatte bei diesen Worten Halt gemacht und ihr auf's Neue seinen Arm angeboten, den sie auch, sobald er geendet, ruhig hinnahm und weiter ging. Herr Grant und Mohegan hatten inzwischen die Thüre der Pfarrwohnung erreicht, und harrten nun an der Schwelle ihrer nachkommenden Begleiter. Der erstere war eifrig bemüht, durch seine Gründe die üblen Neigungen zu vertilgen, die er eben bei dem Indianer entdeckt hatte, während der letztere in tiefer Aufmerksamkeit zuhörte. Sobald die Dame und der junge Jäger anlangten, traten sie in das Gebäude.
Das Haus lag vom Dorfe ab in der Mitte eines Feldes, aus dessen weißer Fläche Baumstümpfe mit fast zwei Fuß hohen Schneekappen hervorragten. Kein Baum, kein Gesträuch war in der Nähe und das Haus gewährte äußerlich jenen unlieblichen Anblick, den man gewöhnlich bei den hastig errichteten Häusern eines neu angebauten Landes wahrnimmt. Für den uneinladenden Eindruck der Außenseite boten jedoch zum Glück die ausgesuchte Nettigkeit und die behagliche Wärme im Innern einen hinreichenden Ersatz.
Sie traten in ein Gemach, das sich ganz zu einem Wohnzimmer eignete, obgleich der große Kamin nebst dem dabei befindlichen Küchengeräthe verrieth, daß es hin und wieder auch zu wirthschaftlichen Zwecken dienen mußte. Die lodernde Flamme des Herdes machte das Licht, welches Luise aufsteckte, unnöthig, da sie hinreichte, die sparsame Möblirung des Zimmers gewahr werden zu lassen. Der Boden war in der Mitte mit einem aneinander gestückten Teppich belegt — ein Artikel, der damals im Innern des Landes häufig in Anwendung gebracht wurde und auch noch heut zu Tage nicht selten zu finden ist — so daß nur in den Ecken des Zimmers die ungemein reinlich gehaltenen Dielen sichtbar waren. Der Thee- und Arbeitstisch nebst einem altmodischen Mahagonibücherschrank bekundeten, daß die Insassen den bessern Ständen angehörten, obgleich die Stühle, der Speisetisch und das übrige Möbelwerk von der einfachsten und wohlfeilsten Art waren. An den Wänden hingen ein Paar Handzeichnungen und Stickereien, von denen die letzteren mit großer Zierlichkeit, obgleich nicht nach den besten Mustern, ausgeführt waren, während erstere nach Anlage und Vollendung Vieles zu wünschen übrig ließen. Eine der Stickereien zeigte auf einem Hintergrunde, in welchem sich eine gothische Kirche blicken ließ, ein über einem Grabmale weinendes Frauenzimmer. An dem Grabmale befanden sich nebst den Geburts- und Todestagen die Namen mehrerer Individuen, welche alle Grant hießen. Ein flüchtiger Blick darauf reichte zu, den jungen Jäger über die Familienverhältnisse des Geistlichen zu belehren, denn er entnahm daraus, daß Herr Grant Wittwer war und daß das unschuldige schüchterne Mädchen, welches er herbegleitet, ihre fünf Geschwister überlebt hatte. Das Bewußtseyn, wie sehr das Glück dieser beiden demüthigen Christen auf ihrer gegenseitigen Liebe und Anhänglichkeit beruhe, erhöhte den Zauber der zarten und innigen Aufmerksamkeit, welche die Tochter dem Vater weihte.
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