„Aber, Sir, ich kann nicht ohne einen Theil des Hirsches gehen,“ versetzte der Jüngling, augenscheinlich mit seinen Gefühlen kämpfend. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich das Wildpret für mich selber brauche.“
„Oh, auf das sind wir gerade nicht sehr versessen,“ erwiederte Richard. „Der Richter wird Euch morgen das ganze Thier bezahlen und Remarkable kann Euch alles davon wieder mitgeben bis auf den Ziemer. So könnt Ihr Euch, meine ich, im Ganzen für einen sehr glücklichen jungen Mann halten; Ihr habt einen Schuß erhalten, ohne dadurch zum Krüppel zu werden; Eure Wunde wurde hier in den Wäldern so gut, wo nicht besser verbunden, als es in dem Spital von Philadelphia der Fall gewesen wäre; Ihr habt Euren Hirsch zu gutem Preise verkauft, und dürft doch den größten Theil desselben nebst der Haut behalten. Marky, sagt Tom, er soll ihm die Haut auch geben. Wenn Ihr sie mir morgen wieder bringt, so zahle ich Euch einen halben Dollar oder meinetwegen auch drei Schillinge und sechs Pence dafür; ich brauche eben eine solche Haut zu dem Reitkissen, das ich für Base Elisabeth zu machen gedenke.“
„Ich danke Ihnen, Sir, für Ihre Freigebigkeit wie ich auch dem Himmel dafür dankbar bin, daß ich nicht zu größerem Schaden kam. Sie behalten sich aber gerade jenen Theil des Thieres vor, den ich für meinen eigenen Gebrauch wünsche. Ich muß den Ziemer selbst haben.“
„Muß?“ wiederholte Richard; „Muß ist eine harte Nuß, noch härter, als die Geweihe des Bocks.“
„Ja muß“, entgegnete der Jüngling, indem er sein Haupt stolz erhob, als wolle er den sehen, der es wage, seine Rechte zu schmälern; er traf indeß dabei auf den erstaunten Blick Elisabeths, und fuhr nun mit mehr Milde fort: „das heißt, wenn ein Mann das Recht hat, Besitz von dem zu nehmen, was er erlegte, und er durch das Gesetz indiesem seinem Eigenthumsrechte geschützt wird.“
„Doch das Gesetz schützt Dich,“ sage Richter Temple mit einer Miene, in der sich Kränkung mit Ueberraschung mengte. „Benjamin, sorge dafür, daß der ganze Hirsch auf den Sleigh gebracht und dieser junge Mann nach Lederstrumpfs Hütte geführt wird.
„Aber Du hast doch wohl einen Namen, junger Mann, und ich werde Dich wieder sehen, um den Schaden, den ich Dir zugefügt, ausgleichen zu können?“
„Ich heiße Edwards,“ entgegnete der Jäger. „Oliver Edwards. Ich bin leicht zu sehen, denn ich wohne in der Nachbarschaft und scheue mich nicht, mein Gesicht zu zeigen, da ich nie Jemanden ein Leides gethan habe.“
„Das Leid erfuhr Euch von uns,“ sagte Elisabeth; „und das Bewußtseyn, daß Ihr unsern Beistand ablehnt, muß meinem Vater sehr schmerzlich fallen. Es würde ihn freuen. Euch morgen zu sehen.“
Der junge Mann sah die Sprecherin an, bis sein ernster Blick ihr das Blut nach den Schläfen trieb; dann verbeugte er sich, als ob er sichjetzt erst gesammelt hätte, senkte das Auge gegen den Boden und erwiederte:
„So will ich denn morgen den Richter Temple besuchen, und inzwischen das Anerbieten des Sleighs als ein Zeichen der Freundschaft annehmen.“
„Freundschaft?“ wiederholte Marmaduke. „Der Beschädigung, die ich Euch zufügte, lag keine böse Absicht zu Grunde, junger Mann, und Ihr hättet einen solchen Gedanken nicht von ferne aufkommen lassen sollen.“
„Vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unsern Schuldigern,“ bemerkte Herr Grant; „das sind Worte, die uns der göttliche Meister selbst empfahl, und sie sollten für seine demüthigen Jünger stets eine goldene Regel bleiben.“
Der Fremde blieb noch einen Augenblick in Gedanken verloren stehen; dann blickten seine dunkeln Augen etwas wild in der Halle umher, er verbeugte sich tief gegen den Geistlichen und entfernte sich aus dem Saale mit einer Miene, die an kein Zurückhalten denken ließ.
„Sonderbar, daß ein so junger Mensch so unversöhnliche Gefühle in seinem Innern birgt,“ begann Marmaduke, als sich die Thüre hinter dem Fremden schloß; „doch der Schmerz ist noch zu neu, und das Gefühl für die ihm zugefügte Beschädigung zu frisch, um ihn nicht aufgeregter zu lassen, als es bei kälterer Ueberlegung der Fall wäre. Ich zweifle nicht, daß man morgen, wenn er wieder herkömmt, eher mit ihm sprechen kann.“
Elisabeth, an welche diese Worte gerichtet waren, gab keine Antwort, sondern ging langsam und mit zur Erde gesenkten Blicken die Halle hinauf, während Richard, sobald der Fremde verschwunden war, laut mit seiner Peitsche knallte und ausrief:
„'Duke, ich bewundere Deine Selbstbeherrschung, aber ich für meinen Theil hätte wegen des Ziemers das Gesetz in Anspruch genommen, ehe ich ihn dem Kerl hingegeben hätte. Gehören Dir die Berge nicht eben so gut, als die Thäler? Sind nicht die Wälder Dein Eigenthum? Welches Recht hat dieser Bursche, oder welches Recht hat Lederstrumpf, ohne Deine Erlaubniß in Deinen Forsten zu schießen? Hörte ich doch von einem Gutsbesitzer in Pennsylvanien, der einen unberufenen Jäger mit eben so wenig Umständen aus seinem Bann fortjagte, als ich etwa den Benjamin ein Stück Holz in den Kamin legen heiße. Apropos, Benjamin, seht, wie der Thermometer steht. — wenn nun ein Mann das Recht hat, dieß auf einem Grundbesitz von hundert Morgen zu thun, um wie viel mehr muß dieß nicht der Fall seyn bei dem Besitzer eines Grundes von sechzigtausenden? — was sage ich — nein von hunderttausenden, denn so viele sind es, mit Einschluß des letzten Ankaufs. Unser Mohegan da mag vielleicht ein Recht haben, weil er ein Eingeborner ist; der alte Knabe thut aber mit seiner Büchse wenig Schaden. Wie wird es in Frankreich gehalten, Monsieur Le Quoi? Laßt Ihr dort auch Jedermann über Eure Felder laufen und das Wild wegschießen, so daß wenig oder nichts für die Jagd des Grundbesitzers bleibt?“
„ Eh diable, non, Monsieur Dihk, “ versetzte der Franzose, „wir geben en France , keine Freiheit, ausgenommen die Dames .“
„Ja, ja, den Damen, ich weiß es,“ versetzte Richard; „das ist Euer Salisches Gesetz. Ich lese Bücher aller Art — über Frankreich, England, Griechenland und Rom. An 'Duke's Stelle würde ich aber gleich morgen Placate ausstecken, welche allen Personen die Jagd auf meinen Gütern, oder jede Versündigung an meinen Forsten verböte. In einer Stunde wollte ich ein solches Verbot geschrieben haben; das müßte der Sache auf einmal ein Ziel setzen.“
„Richard,“ sagte Major Hartmann kaltblütig, indem er die Asche seiner Pfeife in den zu seiner Seite stehenden Spucknapf ausklopfte, „ich habe nun schon fünfundsiebenzig Jahre unter den Mohawks und in den Wäldern gelebt; aber man verkehrt weit leichter mit den Teufeln, als mit den Jägern. Sie sind stets mit ihrer Waffe versehen, und eine Büchse gilt ihnen mehr als ein Verbot.“
„Ist Marmaduke nicht ein Richter?“ rief Richard unwillig. „Was nützt es ein Richter zu seyn, oder einen Richter zu haben, wenn man sich nicht an Gesetze und Verbote kehrt? Hole der Henker den Kerl! Ich hätte gute Lust, ihn morgen, vor Squire Doolittle, gerichtlich zu belangen, weil er sich an meinen Grauschimmel vergriffen! Was scheere ich mich um seine Büchse? Ich kann auch schießen und habe oft und vielmal einen Dollar auf fünfzig Ruthen getroffen.“
„Aber noch weit öfter ihn verfehlt, 'Duke,“ fiel der Richter heiter ein. „Doch, wenden wir uns jetzt unserem Nachtessen zu, das, wie ich aus Remarkable's Physiognomie entnehme, bereit ist. Monsieur Le Quoi, Miß Temple hat ein Recht auf Ihren Dienst. Willst Du den Zug anführen, liebes Kind?“
„ Ah! ma chère Demoiselle, comme je suis enchanté! “ sagte der Franzose, „ Il ne manque que les dames de faire une paradis de Templeton. “
Herr Grant und Mohegan blieben in der Halle, während der Rest der Gesellschaft sich nach dem Speisezimmer begab, Benjamin ausgenommen, der artigerweise den Nachtrab hinter dem Geistlichen bilden und den Indianer die Hausthüre öffnen wollte.
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