Wir haben des Taufnamens dieses alten Häuptlings bereits erwähnt; in seinem Verkehr mit Natty aber, der in der Sprache der Delawaren geführt wurde, pflegte er sich gewöhnlich Chingachgook zu nennen, was in unsere Sprache übertragen „die große Schlange“ bedeutet. Er hatte sich in seiner Jugend diesen Namen durch die Behendigkeit und Tapferkeit erworben, welche er in den Kriegen an den Tag legte; doch als sich seine Stirne mit der Zeit zu furchen begann und er allein als der letzte von seiner Familie dastand, gab ihm sein Stamm, das heißt die wenigen Delawaren, welche noch an den Ufern ihres heimathlichen Stromes weilten, die an schmerzlichen Erinnerungen so reiche Benennung „Mohegan“. Vielleicht fühlte sich aber das Herz dieses Waldbewohners zu tief bewegt bei dem Klange eines Namens, der ihm nur den Untergang seiner Nation ins Gedächtniß rief, denn er bediente sich desselben selten — eigentlich nie, ausgenommen bei besonders feierlichen Anlässen; die Ansiedler hatten jedoch, der christlichen Sitte gemäß, seinen Taufnamen mit seinem Nationalnamen vereinigt, und so war er allgemein als John Mohegan, oder im vertraulicheren Verkehre als Indianer John bekannt.
In Folge seiner langen Verbindung mit den Weißen hatte Mohegan's Lebensweise eine Mischung von Civilisation und dem Urzustande des Wilden angenommen, obgleich der Letztere sicher entschieden vorherrschend blieb. Wie alle seines Volkes, welche unter den Anglo-Amerikanern wohnten, war er mit neuen Bedürfnissen bekannt geworden, und sein Anzug bestand aus einem Gemenge seiner Nationaltracht und der europäischen Sitten. Ungeachtet der draußen herrschenden schneidenden Kälte war sein Haupt unbedeckt, aber eine Masse langer, schwarzer, grober Haare bedeckte den Kopf, die Stirne und sogar die Wangen, so daß Jemand, der den Mann früher gekannt hatte, wohl auf die Vermuthung kommen konnte, er begünstige diese Fülle, damit sie ihm als Schleier diene, um die Scham einer edlen Seele, welche um den entschwundenen Ruhm trauert, zu verbergen. Die Stirne, soweit sie gesehen werden konnte, erschien stolz, breit und edel; die Nüstern der langen römisch geschnittenen Nase dehnten sich noch in seinem siebenundsiebzigsten Jahre mit derselben Freiheit aus, die man an dem Jüngling gewahrt hatte; sein großer, zusammengepreßter Mund besaß viel Ausdruck, und wenn er ihn öffnete, so zeigte sich eine undurchbrochene Reihe kleiner und regelmäßiger Zähne; sein Kinn war voll, aber nicht hervorragend, und sein Gesicht trug den unverkennbaren Stempel seines Volkes in den hohen eckigen Backenknochen; seine Augen waren nicht groß, aber die schwarzen Aepfel leuchteten in den Strahlen der Kerzen, wie ein Paar Feuerkugeln, wenn er sich spähend in der Halle umsah.
Sobald Mohegan sich von der den jungen Fremden umringenden Gruppe bemerkt sah, ließ er die Decke, welche den obern Theil seines Körpers verhüllte, von den Schultern fallen, so daß sie jetzt einen Mantel um die ungegerbte Hirschhaut seiner Beinkleider bildete, während sie von einem Rindengürtel, der die Hüfte umfing, festgehalten wurde.
Die Anwesenden wurden nicht wenig durch den würdevollen und bedächtigen Schritt des Indianers überrascht, als er langsam vorwärts trat. Schultern und Oberleib waren ganz unbedeckt, eine silberne Medaille mit Washingtons Bildnisse ausgenommen, die ihm an einem hirschledernen Riemen von dem Halse herunter hing und zwischen vielen Wunden und Narben auf der hohen Brust ruhte. Seine Schultern waren ziemlich breit und voll; aber die Arme, obgleich sie gerade und nicht unzierlich waren, entbehrten doch des muskulösen Aussehens, das der Mensch allein durch ausdauernde Arbeit gewinnt. Die Medaille war der einzige Schmuck, den er trug, obgleich ungeheure Schlitze in den fast um zwei Zoll verlängerten Ohrläppchen augenscheinlich darauf hindeuteten, daß in früheren Tagen auch hier eine Verzierung angebracht gewesen war. In der Hand hielt er ein kleines aus Eschenzweigen geflochtenes Körbchen, auf dem phantastische Figuren, in welchen sich das Roth und Schwarz der Malerei mit dem Weiß des Holzes mischten, angebracht waren.
Als dieser Sohn des Waldes näher kam, trat die ganze Gruppe auseinander und gestattete ihm, den Gegenstand seines Besuches zu begrüßen. Er sprach jedoch nicht, sondern betrachtete nur eine Weile die Schultern des jungen Jägers, worauf er seinen Blick nach dem Richter gleiten ließ. Der letztere war nicht wenig betroffen über diese ungewöhnliche Abweichung von dem sonst so ruhigen und unterwürfigen Benehmen des Indianers; er streckte indeß seine Hand aus und sagte:
„Du bist willkommen, John. Dieser junge Mann hat ein großes Vertrauen zu Deiner Geschicklichkeit, denn er scheint Deine Behandlung sogar der unseres Freundes, des Doctors Todd, vorzuziehen.“
Mohegan entgegnete nun in leidlichem Englisch, aber in einem leisen einförmigen Kehltone:
„Die Kinder von Miguon lieben nicht den Anblickdes Blutes, und doch wurde „der junge Adler“ durch eine Hand beschädigt, die nichts Uebles thun sollte!“
„Mohegan! alte John!“ rief der Richter: „glaubst Du, daß meine Hand je mit Absicht Menschenblut vergoß? Schäme Dich, schäme Dich, alter John! Deine Religion hätte Dich etwas Besseres lehren sollen“
„Der böse Geist wohnt bisweilen in dem besten Herzen,“ versetzte John; „aber mein Bruder spricht die Wahrheit. Seine Hand hat nie wissentlich ein Leben geraubt — nein, nicht einmal damals, als die Kinder des großen englischen Vaters die Ströme mit dem Blute seines Volkes rötheten.“
„Du erinnerst Dich gewiß,“ sagte Herr Grant mit hohem Ernste, „des göttlichen Gebotes unseres Erlösers: 'richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet'. Welcher Grund hätte den Richter Temple veranlassen können, diesen jungen Mann zu beschädigen, einen Menschen, den er gar nicht kennt und von dem er sich weder einer Gunst noch eines Nachtheils zu versehen hat?“
John horchte achtungsvoll auf den Geistlichen und streckte, als derselbe ausgesprochen hatte, seinen Arm aus, indem er mit Nachdruck die Worte sprach:
„Er ist unschuldig mein Bruder hat nicht so thun wollen.“
Marmaduke ergriff die dargebotene Hand des andern mit einem Lächeln, welches zeigte, daß er ihm den Argwohn, so sehr er ihn auch gekränkt haben mochte, nicht nachzutragen gedenke, während der verwundete Jüngling mit einer Theilnahme, die sich unverkennbar in seinen Zügen aussprach, bald auf seinen rothen Freund, bald auf seinen Wirth blickte. Der Friede war indeß kaum wieder hergestellt, als sich John anschickte, das Geschäft, um dessen willen er gekommen, auszuführen. Doctor Todd war weit entfernt, einen Verdruß über diesen Eingriff in seine Rechte an den Tag zu legen, sondern machte dem neuen Arzte mit einer Miene Platz, welche seine Bereitwilligkeit ausdrückte, der Laune seines Patienten nachzugeben, da doch einmal der wichtigste Theil seines Amtes beendigt und nichts mehr zu thun übrig war, als was ein jedes Kind hätte ausführen können. Er flüsterte dieß auch Monsieur Le Quoi mit den Worten ins Ohr:
„Ein Glück, daß die Kugel ausgezogen war, ehe dieser Indianer kam; jetzt kann jedes alte Weib die Wunde verbinden. Der junge Mann wohnt, dem Vernehmen nach, bei John und Natty Bumpo, und es ist immer das Beste, sich in die Grillen eines Patienten zu fügen, so fern es ohne Nachtheil geschehen kann — ich sage ohne Nachtheil. Monsieur.“
„ Certainement ,“ entgegnete der Franzose; „Sie schein serr glücklich, Monsieur Todd, in Ihr pratique . Ich denk, die alt dame könnt serr wohl beendigen, was Sie so geschickt angefang.“
Richard hatte übrigens im Grunde doch eine große Verehrung vor Mohegans Kenntnissen, zumal in Behandlung äußerlicher Verletzungen; er unterdrückte daher seinen Wunsch, sich eine wichtige Betheiligung bei der Operation beizulegen und näherte sich dem Indianer mit den Worten:
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