Ein Tisch wurde nun mit Arzneiflaschen, Salbtöpfen und verschiedenen chirurgischen Instrumenten belegt. So oft der Doctor eines davon aus seinem rothen Maroquinfutteral hervorlangte, hielt er es gegen das lebhafte Licht des Kronleuchters, in dessen Nähe er stand, und untersuchte es mit der pedantischsten Sorgfalt. Dabei fuhr er oft mit einem rothseidenen Taschentuche über den blanken Stahl, als wolle er auch das mindeste Hinderniß, das einer so delikaten Operation im Wege stehen könnte, von der polirten Oberfläche entfernen. Nachdem das ziemlich spärlich ausgestattete Futteral geleert war. öffnete der Doctor seine Sattelranzen und brachte verschiedene Phiolen zum Vorschein, die mit Flüssigkeiten von den verschiedensten Farben gefüllt waren, stellte sie in gebührender Ordnung an der Seite der mörderischen Sägen, Scheeren und Messer auf, nahm dann eine ganz aufrechte Stellung an, wobei er die Hand auf den Rücken legte, als wolle er die Bedeutsamkeit seiner Attitüde dadurch verstärken, und blickte umher, was für einen Eindruck diese Zurschaustellung seines Kunstapparates auf die Zuschauer übte.
„Auf mein Wort,“ bemerkte Major Hartmann mit einem schelmischen Rollen seiner kleinen schwarzen Augen, während jeder übrige Zug seines Gesichtes vollkommen ruhig verblieb; „Ihr habt da einen schönen Vorrath von Werkzeugen, und Eure Medicamente glänzen, als wären sie besser für die Augen, als für die Gedärme.“
Elnathan ließ ein Hem vernehmen, — man hätte es vielleicht eben so gut für das Räuspern eines Verzagten, der sich dadurch Muth zusprechen will, als für einen natürlichen Versuch, die Kehle zu klären, halten können; wenn indeß das erstere der Fall war, so entsprach es vollkommen seiner Absicht, denn der Doctor wandte sich jetzt mit den Worten an den deutschen Veteran:
„Sehr wahr, Herr Major, sehr wahr; ein kluger Mann gibt sich immer Mühe, seine Heilmittel dem Auge angenehm zumachen, obgleich sie hin und wieder dem Magen nicht sonderlich zusagen mögen. Es gehört indeß wesentlich mit zu unserer Kunst, Sir“ — und nun sprach er mit der Zuversicht eines Mannes, der über seinen Gegenstand vollkommen im Klaren ist — „den Kranken mit dem, was zu seinem eigenen Besten dient, zu versöhnen, wenn sich auch der Gaumen etwa dagegen sträuben sollte.“
„Gewiß. Doctor Todd hat Recht,“ sagte Remarkable; „denn die Bibel erzählt uns von Dingen, die, wie süß sie auch dem Munde seyn mögen, in dem Bauche grimmen.“
„Mag seyn, mag seyn,“ fiel der Richter etwas ungeduldig ein; „aber hier ist ein Jüngling, der nicht nöthig hat, sich in seinem eigenen Interesse täuschen zu lassen! Ich entnehme aus seinem Auge, daß ihm nichts mehr zuwider ist, als Zögerung.“
Der Fremde hatte, ohne weiteren Beistand, seine Schulter entblöst, in der ein kleines Loch, veranlaßt durch das Eindringen eines Hirschpostens, deutlich sichtbar war. Die eindringliche Kälte des Abends hatte die Blutung gehemmt, und Doctor Todd, der
einen verstohlenen Blick auf die Wunde warf, begann nun zu glauben, daß er es keineswegs mit einem so schrecklichen Falle zu thun bekomme, als er gefürchtet hatte. So ermuthigt, näherte er sich seinem Patienten und ließ seine Absicht merken, den Gang, welchen das Blei genommen hatte, zu verfolgen.
Remarkable nahm in späteren Tagen oft Anlaß, diese berühmte Operation mit allen Einzelnheiten zu erzählen, und wenn sie im Laufe der Geschichte bei jenem Punkt anlangte, so pflegte sie folgendermaßen fortzufahren:
„Und dann nahm der Doctor ein langes Ding, wie eine Stricknadel, an dessen Ende sich ein Knopf befand, aus seinem Futterale; und dann schob er es in die Wunde; und dann machte der junge Mann ein schreckliches Gesicht; und dann meinte ich in Ohnmacht sinken zu müssen, so griff mich die Sache an; und dann stieß es der Doctor gerade durch seine Schulter und schob die Kugel auf der anderen Seite heraus; und so curirte der Doctor Todd den jungen Mann von einer Kugel, die ihm der Richter in den Leib geschossen hatte — in der That so leicht, wie wenn ich einen Splitter mit der Nähnadel herausnehme.“
Dieß war der Eindruck, den der ganze Vorgang auf Remarkable, und ohne Zweifel auf alle Diejenigen gemacht hatte, welche sich gedrungen fühlten, Elnathan's Geschicklichkeit mit einer religiösen Verwunderung zu betrachten; die Sache verhielt sich indeß anders.
Als der Arzt versuchte, daß von Remarkable beschriebene Instrument einzubringen, wurde dieses von dem Fremden mit Entschiedenheit, ja sogar mit einer kleinen Beimischung von Verachtung abgelehnt.
„Ich glaube, Herr, daß kein Sondiren nöthig ist,“ sagte er. „Die Kugel hat keinen Knochen verletzt und ist gerade durch's Fleisch gegangen; sie steckt auf der andern Seite unmittelbar unter der Haut, und ich dächte, sie ließe sich da leicht herausschneiden.“
„der Herr muß das am besten wissen,“ entgegnete Doctor Todd, indem er die Sonde mit der Miene eines Mannes, der sie nur der Form wegen zu Hilfe genommen hat, bei Seite legte. Dann wandte er sich an Richard und befühlte die Charpie mit großer Bedachtsamkeit.
„Prächtig gezupft, Squire Jones. — so ziemlich die beste die ich je gesehen habe. Jetzt aber bedarf ich Ihres Beistands, mein guter Sir: wollen Sie den Arm des Patienten halten, während ich den Einschnitt mache. Thut mir zwar leid, daß ich Sie darin unterbrechen muß, denn es ist Niemand im Zimmer, der Charpie so gut zu zupfen verstände, als Squire Jones.“
„So etwas verpflanzt sich in den Familien,“ bemerkte Richard, rasch aufstehend, um die gewünschte Handreichung zu thun. „Mein Vater, und schon mein Großvater waren wegen ihrer chirurgischen Kenntnisse berühmt; sie hatten sich nicht mit solchen Zufälligkeiten zu brüsten, wie Marmaduke jenesmal, da er dem Manne, der vom Pferde gestürzt war, sein Hüftgelenk wieder zurechtbrachte. Das war indeß, ehe Ihr in die Ansiedelung kamet. Doctor. Ja, ja, meine Vorfahren waren Männer, die alles regelmäßig anzugreifen gelernt hatten, und ihr halbes Leben auf das Studium solcher kleinen Fertigkeiten verwendeten; zudem war mein Großvater ein an einer medicinischen Schule gebildeter Arzt, und der beste in der Kolonie — das heißt in der ganzen Nachbarschaft.“
„So geht es in der Welt, Squire,“ rief Benjamin, „wenn man mit Ehren und mit regelmäßig gebauten Swabbern auf seinen Schultern einen ehrenvollen Spaziergang über das Halbdeck zu machen denkt, so darf man nicht glauben, daß es da nur geschwind durch die Kajütenfenster gehe. Es gibt außer dem Soldatengate zwei Wege auf das Mars zu kommen, und am ehesten kommt man rückwärts, wenn man gleich vorwärts anfängt. Jedermann muß von unten auf dienen, wie aus meiner eigenen bescheidenen Laufbahn erhellt. Anfangs war ich nur Handlanger bei den Bramsegeln, dann kam ich an den Klüver, bis mir endlich des Capitäns Schlüssel übertragen wurden.“
„Benjamin hat ganz recht,“ fuhr Richard fort. „Ich darf wohl sagen, daß er auf den verschiedenen Schiffen, auf denen er diente, manche Kugel hat ausziehen sehen. Ich denke, wir können ihn das Becken halten Lassen; denn er muß wohl an den Anblick des Blutes gewöhnt seyn.“
„Das bin ich auch, Squire; das bin ich auch,“ fiel der vormalige Schlüsselbewahrer ein. „Ich habe die Docters an mancher schönen Schußwunde sich abarbeiten sehen. So war ich einmal in einem Boot neben dem Schiff, wo sie dem Capitän des Foody-Rong, einem von Munschür Les Quaw's Landsleuten, einen Zwölfpünder aus dem Schenkel schnitten.“ [Möglich, daß der Leser ob dieser Erklärung Benjamin's erstaunt; aber wer sich eine Zeit lang in den neuen Ansiedelungen Amerika's aufgehalten hat, ist zusehr daran gewöhnt, von solchen europäischen Kraftstückchen zu hören, um sie zu bezweifeln.]
„Einen Zwölfpünder aus dem Schenkel eines menschlichen Wesens?“ rief Herr Grant mit vieler Einfalt, indem er die Predigt, die er eben studirte, sinken ließ und seine Brille gegen die Stirn zurückschob.
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