Aber trotz seiner vielseitigen Praxis und des glücklichen Falles mit dem Beine war Herr Todd nicht wenig beängstigt, als er in die Halle des Landhauses trat. Sie war wie der Tag erhellt und Alles sah, in Vergleichung mit den hastig gebauten und sparsam möblirten Stuben, in welche ihn sein Beruf gewöhnlich führte, so gar prächtig und imponirend aus; auch waren so viele wohlgekleidete Personen mit ängstlichen Gesichtern zugegen, daß seine sonst kräftigen Nerven etwas in Verwirrung geriethen. Er hatte den Bedienten, der ihn in das Landhaus berief, von einer Schußwunde sprechen hören, weßhalb er seine Sattelranzen auf dem Rücken durch den Schnee einherschleppte und auf dem ganzen Herwege nur an zerrissene Arterien, verletzte Lungen und beschädigte Eingeweide dachte, als ginge er unmittelbar nach dem Wahlplatze einer blutigen Schlacht und nicht nach Richter Temple's friedlicher Wohnung.
Der erste Gegenstand, der beim Eintritte in die Halle seinem Auge begegnete, war Elisabeth in ihrem reich mit goldenen Schnüren besetzten Reitkleide, die ihm mit dem Ausdruck tiefer Besorgniß in ihren Zügen entgegenging. Die ungeheuren Knochenkniee des Arztes schlugen hörbar zusammen, denn in keiner Verwirrung glaubte er in der Dame einen von Kugeln durchbohrten Stabsofficier zu sehen, der von dem Schlachtfelde weggeeilt sey, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Täuschung war jedoch nur momentan, und sein Auge schweifte rasch nach dem ernsten und würdevollen Angesicht des Vaters, sodann nach dem umherstolzirenden Richard, der, um seinen Unmuth über die Zurückweisung des Jägers abzukühlen, mit langen Schritten in der Halle hin und her ging und mit seiner Peitsche knallte; von diesem auf den Franzosen, der seit mehreren Minuten, mit einem Stuhle für die Dame in der Hand, unbeachtet dastand; dann auf den Major Hartmann, der ganz kaltblütig eine drei Fuß lange Pfeife an einem der Kronleuchter anzündete; dann auf Herrn Grant, der bei einem der Seitenlichter in das Lesen eines Mannscripts vertieft war; dann auf Remarkable, die mit gekreuzten Armen dastand und mit einem Blicke voll Bewunderung und Neid den Anzug und die Schönheit der jungen Dame musterte; dann auf Benjamin, der mit in die Seite gestemmten Armen seinen viereckigen kleinen Körper auf den gespreizten Beinen balancirte und dabei die Gleichgültigkeit eines Mannes an den Tag legte, der mit Wunden und Blutvergießen vertraut war. Aber alle Personen schienen unverletzt, und der Operateur begann wieder frei zu athmen. Ehe er jedoch seine Musterung zum zweiten Mal vornehmen konnte, trat der Richter auf ihn zu, schüttelte ihm freundlich die Hand und sprach:
„Du bist willkommen, lieber Doctor; in der That sehr willkommen. Hier ist ein Jüngling, der Deines Beistandes bedarf, weil ich so unglücklich war, ihn heute Abend zu verwunden, als ich nach meinem Hirsch geschossen.“
„Du nach einem Hirsch geschossen, 'Duke?“ unterbrach ihn Richard — „ha, ha! nach einem Hirsch geschossen! Meinst Du, man könne etwas verordnen, ohne daß man den ganzen Thatbestand weiß? Aber so geht es immer mit gewissen Leuten; sie meinen, man könne einen Arzt ebenso ungestraft hintergehen, als einen andern Menschen.“
„Allerdings habe ich nach dem Hirsch geschossen,“ entgegnete der Richter lächelnd, „und es ist keineswegs ausgemacht, ob ich bei der Erlegung desselben nicht Beihilfe leistete. Sey dem aber, wie ihm wolle, der junge Mann wurde durch meine Hand verletzt und es ist nun Deine Sache, ihn zu curiren, und die meiner Tasche, Dich für Deine Bemühung zu belohnen.“
„Zwei Sach, auf die man sich kann verlaß sehr gut,“ bemerkte Monsieur Le Quoi mit einer höflichen Verbeugung gegen den Richter und den Praktiker.
„Danke, Monsieur,“ entgegnete der Richter; „aber wir halten den jungen Mann unnöthig auf. Remarkable, Du wirst so gut seyn, für Leinwand und Charpie zu sorgen.“
Diese Bemerkung bewirkte eine Beendigung der Complimente und veranlaßte den Arzt, einen spähenden Blick in der Richtung seines Patienten zu werfen. Der junge Jäger hatte während des eben berührten Gesprächs seinen Mantel abgeworfen und stand nun in einem einfachen Anzug von dem hellfarbigen selbstgewirkten Zeuge der Gegend da, welcher augenscheinlich noch ganz neu war.
Er hatte bereits die Hand an den Kragen seines Rocks gelegt, um auch dieses Kleidungsstück abzulegen, als er plötzlich wieder inne hielt, denn sein Blick fiel auf die bekümmerte Elisabeth, die unbeweglich und zu sehr von Angst überwältigt dastand, um seiner Bewegungen zu gewahren. Ein leichtes Roth färbte die Stirne des Jünglings.
„Der Anblick von Blut könnte die Dame beunruhigen. Gehen wir daher lieber, bis die Wunde verbunden ist, in ein anderes Zimmer.“
„Nicht doch,“ sagte Doctor Todd, dem seine ganze Keckheit wieder gekommen war, sobald er bemerkte, daß sein Patient kein Mann von Bedeutung sey — „die helle Beleuchtung des Saales ist der Operation günstig — ein Vortheil, den wir um so weniger aus dem Auge lassen wollen, da man sich desselben so selten zu erfreuen hat.“
Während Elnathan so sprach, steckte er eine große eiserne Brille in sein Gesicht, die langjähriger Gewohnheit zufolge auf der äußersten Spitze seiner Mopsnase sitzen blieb und, wenn sie den Augen auch keinen wesentlichen Dienst leistete, doch auch kein Hinderniß für das Sehen bildete; denn seine kleinen grauen Beobachtungsorgane funkelten wie zwei Sterne, die aus einer neidischen Wolkenhülle hervorblicken, über dem optischen Instrumente weg. Diese Bewegung blieb von allen unbeachtet. Remarkable ausgenommen, welcher gegen Benjamin bemerkte:
„Herr Todd ist ein recht hübscher Mann, der seine Worte gut zu setzen weiß. Wie prächtig ihm nur seine Brille steht! So ein Ding gibt einem doch gleich ein großartigeres Aussehen; ich habe gute Lust, mir selber auch eine anzuschaffen.“
Die Worte des Fremden hatten Miß Temple wieder zur Besinnung gebracht. Sie fuhr, wie aus einer tiefen Zerstreuung auf, erröthete hoch, winkte einer jungen Weibsperson, die ihr in der Eigenschaft eines Kammermädchens diente, und entfernte sich mit der Miene weiblicher Zurückhaltung.
Das Feld blieb nun dem Arzte und seinem Patienten freigelassen, während die übrigen noch anwesenden Personen sich mit Gesichtern, welche die verschiedenen Grade ihres Antheils ausdrückten, um den letzteren sammelten. Major Hartmann war der einzige, der auf seinem Sitze blieb, indem er fortfuhr, große Rauchwolken von sich zu stoßen, und bald die Augen nach der Decke gleiten ließ, als stelle er Betrachtungen über die Ungewißheit des menschlichen Lebens an, bald mit einem Ausdrucke, der einiges Bewußtseyn von der Lage des jungen Mannes verrieth, nach dem Fremden hinblickte.
Inzwischon begann Elnathan, dem eine Schußwunde etwas Nagelneues-war, seine Vorbereitungen mit einer Sorgfalt und Feierlichkeit, wie sie des Anlasses würdig waren. Benjamin hatte ihm ein altes Hemd eingehändigt, welches er mit einer Miene, die sowohl seine Geschicklichkeit, als die Wichtigkeit der Operation bezeichnete, in mehrere lange Streifen riß.
Als diese Einleitung getroffen war, wählte sich Herr Todd mit großer Sorgfalt einen der Streifen aus, und händigte ihn Herrn Jones ein, indem er mit größter Kaltblütigkeit sagte:
„Da, Squire Jones. Sie verstehen sich auf derartige Dinge und sind wohl so gefällig, die Chardie zu zupfen. Sie muß fein und weich seyn, wie Sie ja selber wissen, mein lieber Sir. Nehmen Sie sich aber in Acht, daß Sie keine Baumwolle hineinbringen; sie möchte sonst die Wunde vergiften. Nur der Zettel ist Leinwand; Sie können daher beides leicht sondern.“
Richard übernahm diesen Dienst mit einem Nicken gegen seinen Vetter, in welchem deutlich zu lesen war: „Du siehst, der Kamerad kann nichts ohne mich ausrichten,“ und begann mit großer Emsigkeit auf seinem Knie Charpie zu zupfen.
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