Elisabeth und ihr Vater schwiegen auf Meister Pump's Entschuldigung, denn beide wurden bei ihrem Eintritt in die Halle durch die gleichen Gefühle überwältigt. Erstere hatte, ehe sie in die Pension kam, noch ein Jahr in diesem Gebäude gewohnt, und die frühe hingeschiedene Hausfrau wurde jetzt von beiden, dem Gatten und der Tochter schmerzlich vermißt.
Indeß waren bereits die Kerzen auf den Kron- und Wandleuchten aufgesteckt worden, und das Dienstpersonal hatte sich so weit von seiner Ueberraschung erholt, um sich des Grundes, warum dieß geschehen, zu erinnern. Das Verabsäumte wurde eiligst nachgeholt, und in einer Minute strahlte die Halle im glänzensten Lichte.
Die wehmüthige Stimmung unserer Heldin und ihres Vaters wurde durch diese flimmernde Unterbrechung verscheucht und die ganze Gesellschaft begann nun die zahllosen Ueberkleider, welche sie zum Schutze gegen die Kälte getragen, abzulegen.
Während dieses Geschäftes besprach sich Richard flüchtig mit den verschiedenen Domestiken, und ließ gelegentlich gegen den Richter eine Bemerkung über den Hirsch fallen; da sich aber in solchen Augenblicken seine wirren Worte nur wie eine Clavierbegleitung, d. h. wie Etwas, das man hört, ohne daß man darauf achtet — ausnahmen, so wollen wir uns die Mühe ersparen, dieselben hier aufzuführen.
Sobald Remarkable Pettibone ihren Antheil an dem Beleuchtungsgeschäfte ausgeführt hatte, kehrte sie unter dem Vorwande, die abgelegten Kleider in Empfang zu nehmen, zu Elisabeth zurück, obgleich sie eigentlich dabei mehr von ihrer Neugierde und dem von Eifersucht nicht freien Wunsche geleitet wurde, das Aeußere der Dame zu beaugenscheinigen, welche sie nunmehr ihrer Oberherrlichkeit in der Hauswirthschaft berauben sollte. Die Haushälterin fühlte sich nicht wenig betroffen, als nach Beseitigung der Ueberschuhe, des Mantels, des Oberkleids und der Shawle — endlich der große, schwarze Kapuchon abgelegt wurde und die schwarzen Ringeln, glänzend wie das Gefieder des Raben, das schöne Haupt und die gewinnenden Züge der jungen Dame umspielten. Nichts konnte schöner und fleckenloser seyn, als Elisabeths Stirne, auf der sich Frohsinn und Gesundheit ausdrückte. Ihre Nase hätte man eine griechische nennen können, wäre nicht durch eine sanfte Krümmung dem Antlitz an Charakter beigelegt worden, was ihm dadurch an Schönheit benommen wurde. Ihr Mund schien dem ersten Blicke nur für die Liebe geschaffen; aber sobald sich dessen Muskeln bewegten, so mischte sich der ganze Ausdruck frauenhafter Würde in das leichte Spiel weiblicher Anmuth: er sprach nicht für das Ohr allein, sondern auch für das Auge. Ihre Gestalt war von etwas mehr als mittlerer Größe, ein Erbstück ihrer Mutter, und für ihr Alter erschienen ihre Formen ziemlich voll und gerundet. Auch die Farbe der Augen, die gewölbten Brauen und die langen seidenen Wimpern verdankte sie derselben Quelle, während der Ausdruck des Blickes von dem Vater auf sie übergegangen war. Im ruhigen, unthätigen Zustande war er sanft, wohlwollend und gewinnend, obgleich er leicht feurig werden konnte, und in solchen Augenblicken mischte sich sogar etwas strenger Ernst in ihre Züge. Als das letzte Halstuch fiel, stand das Mädchen in einem reichen blauen Reitkleide da, das ihre Formen auf das anmuthigste umschloß; ihre Wangen glühten wie die Rosen — eine Glut, die durch die Hitze der Halle noch erhöht wurde; die leicht schwimmenden Augen verliehen ihrer gewöhnlichen Schönheit noch mehr Glanz, und jeder Zug ihres sprechenden Antlitzes, unter dem blendenden Schimmer der zahlreichen Kerzen leuchtend, ließ Remarkable fühlen, daß ihre Macht zu Ende war.
Das Geschäft des Entkleidens hatte bei Allen gleichzeitig stattgefunden. Marmaduke erschien in einem einfachen, aber hübschen schwarzen Anzug; Monsieur Le Quoi trug einen schnupftabakfarbigen Rock, eine gestickte Weste, Kniehosen, seidene Strümpfe und — wie man allgemein glaubte — mit unächten Steinen besetzte Schuhschnallen. Major Hartmanns Anzug bestand aus einem himmelblauen Rock mit großen Metallknöpfen, einer Perücke und Stiefeln, und Herr Richard Jones hatte seine bewegliche kleine Figur in einem flaschengrünen Rock mit kugelförmigen Knöpfen gehüllt, welche das Kleidungsstück über dem wohlgerundeten Leibe zusammenhielten, oben aber eine Oeffnung ließen, damit man die rothe Tuchweste, unter welcher er ein mit grünem Sammt eingefaßtes, flanellenes Unterleibchen trug, sehen konnte; seine Beine waren mit hirschledernen Hosen und hohen schmutzigen, weißstulpigen Stiefeln nebst Sporen bekleidet, obgleich der letzteren einer, in Folge der kürzlichen Angriffe auf den Schlittenbock, etwas umgedrückt war.
Erst als sich die junge Dame aus ihren Ueberkleidern heraus gewunden hatte, wurde es ihr möglich, um sich zu blicken, und nicht nur den Haushalt, dem sie jetzt vorstehen sollte, sondern auch die Art und Weise, wie die häuslichen Einrichtungen getroffen waren, zu mustern. Obgleich sich in der Construction und der Möblirung der Halle viel Unsymmetrisches vorfand, so konnte man doch nichts darin schlecht nennen. Der Boden war bis in die entferntesten Ecken mit Teppichen belegt: die verschiedenen Arten von Leuchter gehörten zwar nicht zu den modernen und geschmackvollen, waren aber blank und entsprachen ihrem Zwecke vollkommen, indem sie den Raum sehr lebhaft erhellten. In Vergleichung mit der draußen herrschenden kalten Decembernacht übte die Wärme und Helle des Saales einen eigenthümlichen Zauber. Ihr Auge hatte noch nicht Zeit gehabt, die kleinen Geschmacksverstöße, welche in Wahrheit vorhanden waren, in ihrer Gesondertheit zu entdecken, denn noch streifte es in Entzücken umher, als es plötzlich durch einen Anblick festgehalten wurde, der einen starken Gegensatz zu den lächelnden Gesichtern und zu den zierlich gekleideten Personen bildete, welche sich zu Ehren der Gebieterin von Templeton versammelt hatten. '
In einer Ecke der Halle, unsern dem Haupteingange, stand der junge Jäger, unbeachtet und für den Augenblick unstreitig vergessen. Aber die Zerstreutheit des Richters dem unter dem Einfluß einer lebhaften Gemüthsbewegung die Erinnerung an die Wunde des Fremden völlig entschwunden war, schien durch die Geistesabwesenheit des Jünglings sogar noch übertroffen zu werden. Er hatte beim Eintreten in den Saal maschinenmäßig seine Mütze abgenommen, und zeigte dadurch einen Lockenkopf, der an Farbe und Glanz mit Elisabeths Haaren wetteiferte. Nichts hätte eine größere Veränderung an ihm hervorbringen können, als dieser einzige Akt der Beseitigung seiner unscheinbaren Fuchsmütze. Es lag viel Gewinnendes in dem Gesichte des jungen Jägers, und sogar etwas Edles in den abgerundeten Umrissen seines Kopfes und seiner Stirne. Die Miene und der Ausdruck dieses stolz über den rauhen und sogar wilden Anzug, der die übrige Gestalt verbarg — hervorragenden Körpertheils verkündigte nicht nur Vertrautheit mit einem Glanze, den man in diesen neuen Ansiedelungen für unübertrefflich hielt, sondern schien sogar einige Verachtung über die prunkvolle Umgebung auszudrücken.
Die Hand, in der er die Mütze hielt, ruhte leicht auf Elisabeth's kleinem, mit Elfenbein ausgelegtem Piano — eine Stellung, in welcher sich weder bäurische Blödigkeit noch anstößige Dreistigkeit ausdrückte. Nur ein einziger Finger berührte das Instrument, als fühle er sich vor einem folchen heimisch. Sein anderer Arm war der ganzen Länge nach ausgestreckt, und die Hand umfaßte den Lauf seiner langen Büchse mit fast convulsivischer Kraft. Diese Haltung war eine unwillkührliche und beruhte augenscheinlich auf einem Gefühl, das weit tiefer lag als eine gewöhnliche Verwunderung. Sein Aeußeres zeichnete ihn, namentlich um der unscheinbaren Bekleidung willen, ganz vor der geschäftigen Gruppe der Uebrigen aus, die sich an dem andern Ende der Halle hin und her bewegten, um die Ankömmlinge mit Bewillkommnungsgrüßen zu empfangen, wie denn auch Elisabeth die einzige zu seyn schien, welche ihn beachtete. Die Falten auf der Stirn des Fremden mehrten sich, während sich seine Augen langsam von einem Gegenstand nach dem andern bewegten. Für Augenblicke überflog sein Gesicht ein trotziger Zug, der aber dann schnell wieder irgend einer schmerzlichen Erregung Raum zu geben schien. Er beugte den ausgestreckten Arm, brachte die Hand vor sein Gesicht und ließ den Kopf auf dieselbe sinken, wodurch seine wunderbar sprechenden Züge bedeckt wurden.
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