Der letzte Gegenstand, auf den Elisabeth sah, als sie nach ihrem Zusammentreffen mit Richard ihre Reise wieder aufnahm, war die Sonne, wie sie eben den Horizont berührte und, von dem schwarzen Schatten einer Tanne verdüstert, langsam hinter die westlichen Berge hinuntersank. Aber noch ergoßen sich ihre Strahlen durch die Berglücken und beleuchteten die schimmernde Birkendecke, bis allmählig ihre zarten, glänzenden Rinden mit den dunkleren Farben der Gebirgsseite wetteiferte. Der Umriß jeder dunkeln Tanne ließ sich weithin bis in die Tiefe des Forstes verfolgen, und die Felsen, zu glatt und zu senkrecht, um dem gefallenen Schnee eine Unterlage zu gewähren, glänzten als ob sie dem scheidenden Lichte zulächelten. Aber mit jedem Schritte, den die Pferde vorwärts thaten, bemerkte Elisabeth, daß sie den Tag mehr hinter sich ließ. Wie vermißte sie sogar die kalten, freilich aber auch glänzenden Strahlen einer Decembersonne, als sie in das eisige Dunkel des Thales hinabglitten! Allerdings weilte das Licht noch auf den Spitzen der östlichen Berge; aber Schritt für Schritt zog es sich mehr von der Erde nach den Wolken zurück, welche über den Abendnebeln den Horizont umgränzten. Nur der gefrorene See lag hell und ungetrübt in der Thaltiefe; die Wohnungen wurden bereits schattenhaft und unbestimmt, und die Holzhauer nahmen ihre Aexte auf die Schulter, um an dem langen Winterabend sich des behaglichen Feuers zu erfreuen, das ihrer Mühe seinen Brennstoff verdankte. Sie blieben nur stehen, um die vorüberziehenden Schlitten zu betrachten, vor Marmaduke ihre Mützen zu lüften oder mit Richard ein vertrauliches Nicken zu wechseln, und verschwanden sodann in ihren Häusern. An jedem Fenster sanken hinter unsern Reisenden die Papiervorhänge nieder, um die Flamme der heimlichen Stuben gegen den Wind zu schützen; und als die Pferde ihres Vaters rasch in das offene Gartenthor des Landhauses einfuhren und ihr hinter der jungen entblätterten Pappel-Allee nichts als die kalten Steinmauern des Gebäudes entgegentraten, da war es Elisabeth, als sey die ganze liebliche Aussicht, die sie vom Gebirge aus gehabt, wie die Schattengestalt eines Traumes verschwunden. Marmaduke hatte der früheren Gewohnheit treu, das Schlittengeschelle von seinen Rossen fern gehalten; aber Herrn Jones' Equipage, welche gerade hintendrein fuhr, schickte ihr lustiges Klingeln durch jede Ritze des Gebäudes, und in einem Nu war alles im ganzen Hause in Bewegung.
Auf einer steinernen Plateform von ziemlich kleinen Proportionen hatte Richard in Vereinigung mit Hiram vier kleine hölzerne Säulen errichtet, auf denen ein Schindeldach ruhte — ein einfacher, bedeckter Eingang, welchen Herr Jones Porticus zu nennen beliebte. Zu dieser Plateform führten fünf oder sechs in der Eile über einander gelegte steinerne Stufen, die bereits in Folge der Kälte aus ihren symmetrischen Lagen gewichen waren. Aber hiemit hatten die Nachtheile eines kalten Clima's und einer oberflächlichen Construktion noch kein Ende, denn mit den Stufen mußte zugleich die Ptateform sich senken — ein Umstand, dem es zuzuschreiben war, daß der obere Theil des Machwerks in der Luft schwebte und die Basis der Säulen ungefähr um einen Schuh von ihrem Widerlager abstand. Zum Glück hatte der Zimmermann, dem die Ausführung dieses Geschäfts übertragen war, den Himmel dieses classischen Eingangs so gut an der Seite des Hauses befestigt, daß das Dach, als es von unten nicht mehr gestützt wurde, sogar die Säulen, welche es tragen sollten, in der Luft schwebend erhielt. Das bildete allerdings einen unglücklichen Riß in Richards Säulen-Ornamente; aber wie das Fenster in Aladdin's Palast, schien er nur vorhanden zu seyn, um dem fruchtbaren Genie der Baukünstler ein neues Feld zu öffnen. Auch hier erwiesen sich die Vortheile der zusammengesetzten Ordnung, und es wurde nun eine zweite Ausgabe des Säulenfußes — wie die Buchhändler sagen, mit Zusätzen und Verbesserungen — veranstaltet. Natürlich wurde er größer und mit geeignetem Schnitzwerk verziert; da aber die Stufen zu weichen fortfuhren, so mußten in dem Augenblicke, als Elisabeth in ihres Vaters Haus zurückkehrte, ein paar Keile eingetrieben werden, um die Säulen gerade zu halten und zu verhindern, daß sie sich nicht vermöge ihrer Schwere von dem Dache, das sie unterstützen sollten, trennten.
Aus der großen Thüre, welche von dem Porticus in's Haus führte, tauchten zwei oder drei weibliche und ein männlicher Diener auf. Letzterer hatte keine Kopfbedeckung, war aber augenscheinlich sorgfältiger als gewöhnlich gekleidet und zeichnete sich durch seine Figur und seinen Anzug auf eine so eigenthümliche Weise aus, daß er wohl eine genauere Beschreibung verdient. Er war ungefähr fünf Fuß hoch, ungemein vierschrötig gebaut, und hatte ein paar Schultern, die einem Grenadier Ehre gemacht haben würden. Seine kleine Gestalt wurde noch augenfälliger durch eine Vorwärtsbeugung seines Körpers, die er wohl aus keinem andern Grunde annehmen mochte, als um seinen Armen mehr Freiheit zu gestatten, die auf eine eigenthümliche Weise hin und her pendelten, wenn ihr Besitzer in Bewegung war. Sein Gesicht war lang, von schöner, feuerroth gebrannter Farbe, mit einer Nase, die, wie bei einem alten Mops, aufgestülpt war, einem ungeheuern Mund voll schöner, weißer Zähne und ein Paar blauer Augen, welche die ganze Umgebung mit gewohnter Verachtung zu betrachten schienen. Sein Kopf betrug ein volles Viertheil seiner ganzen Länge, und der Haarzopf, welcher hinten hinunter fiel, mochte wohl eben so viel ausmachen. Er trug einen Rock von sehr lichtbraunem Tuche mit Knöpfen von der Größe eines Thalers, auf denen ein „unklarer Anker“ abgeprägt war. Die außerordentlich langen Schöße, von entsprechender Breite, reichten bis über die Waden hinunter. Unter diesem Kleidungsstück barg sich eine Weste und Hosen von rothem Plüsche, freilich aber etwas beschmutzt und abgetragen. Auf den Schuhen stacken große Schnallen und in denselben weiß und blau gestreifte Strümpfe.
Diese wunderlich aussehende Figur bezeichnete sich selbst als einen Eingeborenen der Grafschaft Cornwall in der Insel Großbritannien. Seine Knabenzeit hatte er in der Nachbarschaft der Zinnminen und seine Jünglingsjahre als Kajütenjunge auf einem Schmugglerschiff zwischen Falmouth und Guernsey zugebracht. Letzterem Gewerbe eutnahm ihn ein königlicher Preßgang, und in Ermangelung eines Besseren wurde er zuerst als der Bediente und später als der Proviantmeister des Kapitäns in die Kajüte genonnnen. Hier machte er sich die Kunst zu eigen, ein und das andere Seemanns-Gericht zu bereiten, und hatte dabei zugleich, wie er sich selbst rühmte, Gelegenheit die Welt zu sehen, obschon er in Wirklichkeit mit Ausnahme einer Fahrt nach einem oder zwei französischen Häfen, und einem gelegentlichen Besuch von Portsmouth. Plymouth und Deal nicht mehr von den Menschen erblickt hatte, als wenn er auf einem Esel nach einer seiner heimathlichen Minen geritten wäre. Als er jedoch nach dem Frieden von Dreiundachtzig aus dem Seedienst entlassen wurde, so erklärte er, da er nun alle civilisirten Theile der Erde gesehen habe, auch einmal einen Abstecher zu den Wilden in Amerika machen zu wollen. Wir mögen ihm weder auf seinen kurzen Wanderungen folgen, noch untersuchen, was die Auswanderungslust in ihm weckte, sintemal dieselbe bekanntlich im Stande ist, bisweilen ein zartes Stadtkind zu veranlassen, die Heimath mit dem Rücken anzusehen und bei dem Gebrülle des Niagara-Falles anzulangen, ehe noch die Stundenglocke auf dem Bow in London ganz in seinen Ohren ausgeklungen hat, sondern fügen nur noch bei, daß er eines frühen Morgens, noch ehe Elisabeth in die Pension gegeben wurde, seinen Weg in Marmaduke Temple's Familie fand, wo er in Gemäßheit der vielen Fähigkeiten, die im Verlaufe unserer Erzählung an's Licht treten werden, unter Herrn Jones das Amt eines Major-Domo erhielt. Der Name dieses Ehrenmannes war, wie er ihn selbst aussprach, Benjamin Penguillan; in Gemäßheit einer wunderbaren Geschichte jedoch, die er sehr gerne zu erzählen pflegte und welcher zufolge er nach Rodney's Sieg sein Schiff durch unablässiges Pumpen rette, hatte er allgemein den Spitznamen Ben Pump erhalten.
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