„Das Nächste, ich stehe dafür, wird seyn, daßer fahren lernt,“ erwiederte der Richter, indem er den Hirsch nebst mehreren Artikeln seines Gepäcks aus dem eigenen Sleigh in den Schnee warf. „Da sind Sitze für euch alle, meine Herrn. Der Abend wird schneidend kalt, und die Stunde rückt heran, wo Herr Grant durch sein Amt in Anspruch genommen wird. Wir wollen es unserem Freund Jones überlassen, unter Agamemnon's Beistand den Schaden wieder gut zu machen, und dem warmen Feuer zueilen. Da, Dick, ist einiges von Elisabeth's Siebensachen, die Du auf deinen Schlitten werfen kannst, wenn Du ihn wieder in gehörigen Stand gesetzt hast; auch werde ich es Dir Dank wissen, wenn Du diesen Hirsch, den ich geschossen, mitbringst. — Aggy! vergiß nicht, daß heute Abend der Santiclaus [Die periodischen Besuche des heiligen Nicolaus oder Santiclaus blieben bei den Bewohnern New-Yorks im Schwunge, bis die Einwanderungen aus Neu-England auch die Sitten und Ansichten der Puritaner in diese Gegenden verpflanzten. Er kömmt, wie der „bon homme de Noèl“ jeden Weihnachtsabend.] einkehrt.“
Der Schwarze grinste bei der Erwähnung des Lohnes, der ihm für sein Schweigen über den eigentlichen Erleger des Thiers in Aussicht gestellt wurde, während Richard, ohne im mindesten den Schluß von den Worten seines Vetters abzuwarten, seine Erwiederung begann:
„Fahren lernen, sagst Du, Vetter? Gibt es einen Menschen, der sich besser auf die Leitung der Pferde versteht, als ich? Wer ritt das Fohlen zu, das Niemand zu besteigen wagte? Dein Kutscher ist zwar anmaßend genug, zu behaupten, er habe es vorher gezähmt, ehe ich es unter die Hände bekam; aber alle Welt konnte sehen, daß es erlogen war, denn wer kennt nicht John's Lügenzunge? Was ist das — ein Hirsch?“ — Richard verließ die Pferde und eilte zu der Stelle, wo Marmaduke das Thier abgeworfen hatte. „Wahrhaftig ein Hirsch! Ja, da sind zwei Löcher; er hat zwei Läufe abgefeuert und ihn jedesmal getroffen. Tausend alle Welt, wie wird jetzt Marmaduke dick thun! Er zieht bei geringeren Ausbeuten schon die große Glocke — wie nicht erst jetzt, da er noch vor Weihnachten einen ausgewachsenen Bock geschossen! Nun ist vollends gar kein Auskommen mehr mit ihm. Es sind indessen ein paar schlechte Schüsse — reiner Zufall, reiner Zufall. Ich habe in meinem Leben nie zweimal nach einem Spalthüfler geschossen — entweder getroffen oder gefehlt — todt oder durchgebrannt. Ja, wenn es noch ein Bär oder eine wilde Katze gewesen wäre; da mag man wohl beide Läufe in Anwendung bringen. He, Aggy! wie weit stand der Richter ab, als er diesen Bock schoß?“
„Ey, Massa Richard, mag seyn gewesen zehn Ruthen,“ rief der Schwarze, indem er sich unter die Pferde beugte, als wolle er dort eine Schnalle befestigen, in der That aber, um das Grinsen zu verbergen, das ihm den Mund von einem Ohre bis zum andern verzog.
„Zehn Ruthen?“ erwiederte der Andere. „Aggy, der Hirsch, den ich letzten Winter schoß, war zwanzig — ja, eher dreißig, als zwanzig entfernt. Ich möchte kein Thier schießen, das nur zehn Ruthen von mir absteht; — außerdem, Du weist. Aggy, daß ich nur ein Mal feuerte.“
„Ja. Massa Richard; weiß noch. Natty Bumppo feuern das andere Gewehr. Ihr wissen, Sir, alle Leute sagen, Natty ihn haben geschossen.“
„Die Leute lügen. Du schwarzer Schlingel.“ rief Richard aufgebracht. „Ich habe in diesen vier Jahren nicht einmal ein graues Eichhörnchen schießen können, ohne daß dieser alte Schuft oder ein Anderer für ihn Anspruch auf die Ehre gemacht hätte. Verwünschte neidische Welt, in der wir leben! Immer wollen die Leute von dem Ruhme, den einer verdient, etwas abfangen, damit er in ihre gemeine Sphäre herabgezogen werde. Da tragen sie sich in dem Patent [Die Ueberlassungen von Land geschahen sowohl von Seite der Krone als von Seite der vereinigten Staaten durch mit großen Siegeln versehene Urkunden, die Patente hießen — ein Name, der denn auch den in dieser Weise abgetretenen größeren Distrikten beigelegt wurde. Zur Zeit der englischen Oberherrschaft hafteten an der Erwerbung von Grund auch Manorial- (grundherrliche) Rechte, weßhalb in den alten Landen noch häufig der Ausdruck „Manor“ gebraucht wird. So gibt es zum Beispiel in New-York viele Manors, obgleich alle politischen und Gerichtsbarkeitsrechte aufgehört haben.] mit einer Geschichte, daß Hiram Doolittle mir zu dem Plane des St. Pauls Kirchthurmes geholfen habe, obgleich Hiram weiß, daß es nicht war ist. Ich gebe zwar zu, daß ich den Riß des Paulsthurms in London dabei benützte, aber im Wesentlichen ist er doch nur das Ergebniß meines eigenen Erfindungsgeistes.“
„Ich nicht wissen, wo er herkommen,“ sagte der Schwarze, indem er jeden Zug von Heiterkeit in einen Ausdruck von Bewunderung umwandelte. „Aber Jedermann sagen, er wunderbar schön seyn.“
„Das darf man auch, Aggy,“ rief Richard , indem er von dem Hirsche wegtrat und mit der Miene eines Mannes, in dem ein neues Interesse geweckt worden ist, auf den Neger zuging.“Ich denke, ich darf ohne Ruhmredigkeit sagen, daß es die schönste und am wissenschaftlichsten construirte Provinzialkirche in Amerika ist. Die Ansiedler von Connecticut sprechen zwar viel von ihrem Versammlungshause in Weatherfield, aber ich glaube ihnen kaum die Hälfte davon, denn sie sind heillose Prahlhänse. Kaum hat man etwas zu Stande gebracht, dessen Werth sie anerkennen müssen, so kommen sie gleich mit etwas dazwischen; und dann ist zehn gegen eins zu wetten, daß sie sich die Hälfte, wo nicht gar das Ganze des Ruhms zueignen. Du erinnerst Dich noch, Aggy, wie ich den Schild des Dragoners für den Capitän Hollister malte; da km denn ein Kerl, der in dem Dorf die Häuser mit Röthel anstrich, eines Tages zu mir und erbot sich, mir das Haarschwarz, das ich so nenne, weil es gerade wie Roßhaar aussieht, für den Schwanz und die Mähne zu mischen. Hintendrein geht er hin und erzählt aller Welt, daß der Schild von ihm und Squire Jones gemalt worden sey. Wenn Marmaduke diesen Schuft nicht aus dem Patent jagt, so kann er meinetwegen in Zukunft sein Dorf mit eigenen Händen ausschmücken.“
Richard hielt einen Augenblick inne und klärte seine Kehle durch ein lautes Hem, während der Neger, der die ganze Zeit über mit Zurichtung des Schlittens beschäftigt gewesen war, sein Geschäft mit respectvollem Schweigen fortsetzte. In Gemäßheit der religiösen Bedenklichkeiten des Richters war Aggy nur Richard's jeweiliger Sclave, [Die Freilassung der Sclaven in New-York ging nur allmählig vor sich. Sobald sich die öffentliche Meinung für dieselbe erklärte, wurde es üblich, die Dienste eines Sclaven auf acht oder zehn Jahre unter der Bedingung zu erkaufen, daß derselbe nach Ablauf dieser Periode in Freiheit gesetzt werde. Dann traf das Gesetz die Verfügung, daß alle auf dem amerikanischen Continent geborenen Neger nach einer bestimmten Frist — die Männer im achtundzwanzigsten, die Weiber im dreiundzwanzigsten Jahre — frei sein sollten. Der Eigenthümer mußte sie später lesen und schreiben lernen lassen, ehe sie das achtzehnte Jahr erreicht hatten, und endlich wurden alle noch vorhandenen Sclaven durch eine im Jahr 1826 erlassene Akte — also erst nach Veröffentlichung der gegenwärtigen Erzählung — für Freie erklärt. Bei Leuten, welche mehr oder weniger mit Quäkern, bei denen das Sclavensystem schon viel früher abgeschafft war, in Berührung kamen, war die erstere dieser Methoden die üblichste.] weßhalb indeß der Gebieter natürlich mit Recht die Achtung des jungen Negers ansprechen konnte. Doch wenn irgend ein Streit zwischen seinem gesetzlichen und seinem eigentlichen Herrn vorfiel, so fühlte der Schwarze zu viel Verehrung für beide, um einer eigenen Meinung Worte zu leihen. Inzwischen fuhr Richard fort, den Neger zu beobachten, wie dieser eine Schnalle nach der andern anzog, bis er mit einem Blicke nach seinem Gehülfen, in dem sich einiges Schuldbewußtseyn aussprach, fortfuhr:
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