Ehe wir uns über den Charakter und die Stellung des Herrn Grant weiter auslassen, wird es nöthig seyn, einen Rückblick auf eine frühere Periode der kurzen Geschichte dieser Ansiedelung zu werfen. Es scheint eine Eigenthümlichkeit der menschlichen Natur zu seyn, zuerst für die Bedürfnisse dieser Welt zu sorgen, ehe sich ihre Aufmerksamkeit auf eine andere lenkt. In den ersten paar Jahren dieser Ansiedelung dachte man nur wenig daran, unter den Baumstümpfen von Temples-Patent einen förmlichen Gottesdienst einzurichten; aber da die meisten Bewohner aus den sehr religiösen Staaten Connecticut und Massachusetts abstammten, so begannen sie, sobald für die leiblichen Bedürfnisse gesorgt war, allen Ernstes ihre Aufmerksamkeit darauf zu verwenden, die religiösen Sitten und Gebräuche, an denen ihre Vorfahren so treulich gehangen, in's Leben zu rufen. Es ließ sich zwar allerdings nicht leugnen, daß unter Marmaduke's Pächterschaft eine große Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Gnadenwahl und des freien Willens herrschte; wenn man jedoch die Verschiedenheit der religiösen Bildung, welche die Einzelnen genossen, in's Auge faßt, so wird leicht begreiflich, daß es nicht wohl anders seyn konnte.
Sobald die Niederlassung mit ihren Straßen und ihren Häusern einigermaßen ein stadtartiges Ansehen gewonnen hatte, wurden die Einwohner zu einer Versammlung eingeladen, um die Zweckmäßigkeit der Errichtung einer Akademie zu berathen. Der Gedanke war in Richard's Kopf gewachsen, der sich in der That sehr geneigt fühlte, das beabsichtigte Institut, wo nicht gerade zu einer Universität, so doch zu einem Collegium zu stempeln. Er ließ zu diesem Ende mehrere Jahre lang eine Versammlung nach der andern abhalten. Die solchen Versammlungen entsprossenen „Beschlüsse“ erschienen jedesmal in den Hauptspalten einer kleinen Zeitung, die bereits jede Woche in dem Dachstübchen eines Hauses im Dorfe auf blaues Papier gedruckt wurde, und die der Reisende oft in dem Spalte eines Pfahles erblicken konnte, der als Postamt für irgend einen Ansiedler an einer Stelle eingeschlagen war, wo der Fußweg zu einem seitabgelegenen Blockhause in die Hauptstraße einlenkte. Hin und wieder mußte ein solcher Pfahl wohl auch eine kleine Schachtel tragen, mittelst deren eine stärkere Bewohnergruppe ihre wöchentlichen literarischen Bedürfnisse erhielt, da dieß die Orte waren, wo der so betitelte Postreiter jedesmal ein Bündel von diesen kostbaren Waaren niederlegte. Diese pomphaften Versammlungsbeschlüsse enthielten gewöhnlich eine Darlegung der Ansprüche Templeton's an die Gunst der Universitätsbehörden, indem man zugleich in Kürze den Nutzen der Erziehung auseinandersetzte und die Vortheile hervorhob, die der Ort besonders wegen seiner gesunden Luft, des gefunden Wassers, der Wohlfeilheit der Lebensmittel und der hohen Sittlichkeit der Bewohner für einen derartigen Zweck biete — Documente, deren stets die Namen Marmaduke Temple's als des Präsidenten und Richard Jones' als des Secretärs in großer lateinischer Capitalschrift beigedruckt waren.
Zum Glück für den Fortgang des Unternehmens waren die Regierungsbehörden nicht gewöhnt, solchen Aufrufen an ihre Großmuth zu widerstehen, wenn auch nur die mindeste Aussicht auf irgend eine Schenkung vorhanden war, welche das Unternehmen fördern konnte. Eventualiter entschloß sich daher der Richter Temple, das nöthige Land herzugeben und das erforderliche Gebäude auf eigene Kosten errichten zu lassen. Die Geschicklichkeit des Herrn — oder wie er nun von dem Umstande, daß er das Amt eines Friedensrichters begleitete, genannt wurde — des Squire Doolittle, wurde nun abermals in Anspruch genommen und Jones' Kenntnisse mußten aufs Neue aushelfen.
Wir unterlassen es, hier von den bei dieser Gelegenheit vorgelegten verschiedenen Baurissen zu sprechen, da wir eine solche Anmaßung nicht zu verantworten wüßten, sintemal eine Versammlung der Gesellschaft der alten und ehrenwerthen Freimaurerbrüderschaft, an deren Spitze Richard in der Eigenschaft eines Logenmeisters stand, ohne Zweifel in ihrer Weisheit denjenigen auswählte, der ihr als der beste erschien. Der schwierige Punkt war daher bald entschieden, und an dem bezeichneten Tage begab sich die achtbare Brüderschaft in stattlicher Prozession mit kleinen symbolischen Schürzen angethan, unter Entfaltung einiger Banner und geheimnißvoller Symbole, aus einer sinnreich gewählten Dachstube des „kühnen Dragoners“, eines von Hauptmann Hollister bedienten Wirthshauses, nach dem beabsichtigten Bauplatz. Hier legte Richard, umringt von mehr als der halben männlichen und der ganzen weiblichen Bevölkerung eines Umkreises von zehn Meilen um Templeton mit geziemender Würde den Grundstein.
Im Laufe der folgenden Woche fand abermals eine Volksversammlung, wobei Schwärme des zarteren Geschlechts nicht ausgeschlossen waren, statt, und nun sollten Hirams Fähigkeiten in Handhabung des Winkelhakens die Probe des Experimentes bestehen. Es paßte Alles prächtig zusammen und das hölzerne Gerippe des Gebäudes wurde ohne den mindesten Unfall aufgerichtet, ein Paar Stürze von den Pferden ausgenommen, die bei dem abendlichen Heimritte einem und dem andern Arbeiter zufließen. Von vieler Zeit an schritt die Arbeit mit reißender Schnelle voran und wurde noch im Laufe desselben Sommers beendigt. Das Gebäude stand nun in all seiner Schönheit und in seinem Ebenmaße da — ein Stolz des Dorfes, eine Studie für junge, Ruhm anstrebende Baukünstler, und die Bewundrung jedes Ansiedlers in dem Patent.
Es war ein langes, schmales, hölzernes, weiß übertünchtes Haus, welches mehr als zur Hälfte aus Fenstern bestand, und wenn sich der Beobachter nur ein wenig westlich stellte, so konnte er ohne sonderliches Hinderniß, durch das Gebäude hindurch sich des Aufgangs der Sonne erfreuen. Es bildete in der That einen sehr unbequemen, offenen Platz, der dem Gestirne des Tages durchaus nie ein Hinderniß in den Weg legte. Vornen befanden sich verschiedene von Richard gezeichnete und von Hiram ausgeführte Holzverzierungen: aber ein Fenster in der Mitte des zweiten Stockes, unmittelbar über der Thüre oder dem Haupteingange, bildete nebst dem Thurme den Stolz des Gebäudes. Das Erstere war, wie wir glauben, nach der zusammengesetzten Ordnung construirt, denn es umfaßte eine große Menge Verzierungen und einen großen Wechsel in den Proportionen. Es bestand aus einem Spitzbogen in dem Mittelpunkte und einer kleinen viereckigen Abtheilung an jeder Seite; das Ganze war von einer schweren Fichtenrahme mit tiefen und mühsamen Verzierungen umfaßt, während das Licht durch eine Menge runder Scheibchen aus grünem trübaussehenden Glase einfiel. Eine grün angestrichene Blende gewährte dem Fenster Schutz und wahrscheinlich wäre auch diese Farbe, um den Effekt des Ganzen zu heben, auf alle übrigen angewendet worden, hätte nicht der Mangel an öffentlichen Fonds, der immer bei derartigen Unternehmungen einzutreten pflegt, die Nothwendigkeit herbeigeführt, es bei dem ursprünglichen bleifarbigen Grundanstrich zu lassen. Der Thurm war eine kleine Kuppel und erhob sich in der Mitte des Daches auf vier hohen fichtenen Säulen, die der Länge nach mit Hohlkehlen versehen und mit Schnitzwerk überladen waren. Auf den Säulencapitälern ruhte eine Kuppel, die einer umgekehrten Theetasse ohne Boden glich, ob der sich ein hölzerner Schaft mit zwei eisernen Querstäben befand, an deren Enden die lateinischen Buchstaben W. S. O. N. aus dem gleichen Metalle stacken. Ueber dem Gange schwebte die Nachahmung eines Thieres aus den Flossenzünftlern, das von Richard aus Holz geschnitzt und mit der von ihm so betitelten Schuppenfarbe angestrichen war. Nach Herrn Jones' Versicherung hatte das Thier eine wunderbare Aehnlichkeit mit dem Lieblingsgericht der nordamerikanischen Epicuräer, welches sie Seefisch nennen, und ohne Zweifel durfte man ihm aufs Wort glauben; denn obgleich der Fisch den Zweck eines Wetterhahns erfüllen sollte, so bemerkte man doch, daß er den sehnsüchtigen Blick ohne Unterlaß nach dem schönen Wasserbecken richtete, das zwischen den Bergen von Templeton eingebettet lag.
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