»Nichts einfacher als das! Hier wächst Bambus. Wenn man die Bambusrohre an den Enden gut verschließt, so bilden die hohlen Stöcke vorzügliche Schwimmer.«
»Und womit willst du sie verschließen?«
»Mit Rinde und Lehm.«
»Lehm weicht im Wasser, soviel ich weiß.«
»Ganz recht, aber er weicht langsam. Er braucht auch nur eine Zeitlang zu halten, nämlich, bis wir drüben sind. Die Bauern verstreichen die Rohre oft nur mit Lehm, weil es eine Sünde ist, die
Bö-Bäume zu verletzen, indem man Stücke ihrer Rinde herausschneidet.«
»Nun, wenn auch Bambus da ist, so haben wir noch lange kein Floß. Unsere wenigen Riemen reichen nicht, um die vielen Stöcke, die erforderlich sind, uns alle und die Pferde zu tragen, zusammenzubinden.«
»Hier wachsen Weiden genug. Weiden sind vorzügliches und haltbares Flechtmaterial. Man muß nur damit umzugehen verstehen.«
»Eben«, lachte Michel. »Daran wird es fehlen. Oder meinst du, daß unsere Freunde je ein anständiges Flechtwerk zustande bringen würden?«
»Nicht alle. Aber dein langer Freund hat geschickteFinger. Und der Kleine, der mit euch im Gefängnis saß, sieht auch nicht aus, als wäre er ein unpraktischer Mensch. Gib mir die beiden zur Hilfe, und morgen früh ist das Floß fertig.« Der Pfeifer sah ihn mißtrauisch an.
»Du, der Radscha von Bihar, willst mit deinen eigenen Händen helfen, ein Floß zu bauen?« »Ich war nicht immer Radscha. Und ich war auch nicht immer Prinz. Ich bin auf einem Dorf aufgewachsen und habe viele praktische Dinge gelernt.« Michel nickte und sprang vom Pferd.
»Gut, dann laßt uns gleich an die Arbeit gehen. Auch ich werde helfen. Bambusrohre zusammenlesen oder schneiden können alle.«
Er wandte sich in spanischer Sprache an Ojo und erklärte ihm, was jetzt zu tun war. »Si, Senor Doktor«, nickte Ojo eifrig. »So brauche ich also nicht durch das Wasser zu schwimmen?«
»Nein, amigo, du sollst dem Radscha nur ein wenig helfen.« »Das tu ich gern«, freute sich Ojo.
Die ganze Gesellschaft beschäftigte sich nun damit, Bambusrohre zu schneiden und zusammenzutragen.
Als der Morgen graute, waren zwanzig Bambusteppiche auf kunstvolle Weise zu einem festen, elastischen Körper verbunden, der eine Länge von zwanzig Metern, eine Breite von fünf Metern und eine Höhe von einem halben Meter hatte.
Als die Sonne rosig über dem Horizont aufging, trieb das Floß bereits im Fluß. Mit langen Bambusstangen zwangen die Männer es über die Strömung hinweg. Dennoch konnte man nicht verhindern, daß es weit, weit abtrieb. Nach anderthalb Stunden Fahrt stellte man erschrocken fest, daß man sich bereits dem Megna-Arm des Deltas näherte. Die Wasser flössen immer langsamer.
Stineway hatte eine Karte bei sich. Sie war zwar primitiv, gab jedoch einen ziemlich genauen Überblick über ganz Bengalen.
»Teufel«, rief er, »wenn das Floß hält, so haben wir das Klügste getan, beziehungsweise so hat der Fluß mit uns das Klügste getan, was er tun konnte. Sind wir erst im Delta, dann brauchen wir den anderen Fluß nicht mehr zu überqueren; dann sind wir in Kumilla und können ohne Hindernisse unseren Weg fortsetzen.«
Der Pfeifer betrachtete die Karte und wandte dann den Blick zum Ufer. Es mochten immerhin noch zweitausend Meter sein, bis man es erreicht hatte; denn der Wasserarm hatte an dieser Stelle eine Breite von vielleicht sechs Meilen. Man konnte fast den Eindruck haben, als sei man bereits auf dem offenen Meer.
»Wir haben es gleich geschafft«, rief Marina freudig und klopfte beruhigend den Hals ihres Pferdes.
Nicht so zuversichtlich schien Tscham zu sein. Er kniete am Rand des Floßes und überprüfte die Borken- und lehmbestrichenen Enden der Bambusrohre. Michel beobachtete ihn und sah Besorgnis in seinem Gesicht. »Was ist?« fragte er.
»Wir müssen uns beeilen«, war die kurze Antwort.
Aber die Staklatten fanden hier noch keinen Grund. So blieb nichts übrig, als sich noch treiben zu lassen und auf die Gnade eines Höheren zu hoffen, der auch die Strömungen lenkte. Langsam bemerkten auch die anderen, daß nicht mehr alles so rosig war, wie es aussah. Fernando rief plötzlich erschrocken :»Por Dios, wir sinken.« »Was sagt er?« fragte Stineway die Gräfin. »Er meint, daß wir sinken.«
»Wir gehen unter?« Stineway riß entsetzt die Augen auf. Seine Zähne schlugen plötzlich aneinander, und sein Gesicht wurde kalkweiß.
»By God, ich kann ja nicht schwimmen«, flüsterte er.
»Oh, das macht nichts«, tröstete ihn Marina. »Euer Gaul wird es dafür um so besser können.«
»Ja, wenn er mich aufsitzen läßt!«
»Wenn er nicht will, dann setzen wir Euch drauf.«
Der Korrespondent nahm sich zusammen. Er war kein Held; aber er wollte auch nicht feige erscheinen. Seine Miene wurde jetzt so gleichgültig wie möglich. Er zog sogar eine alte Stummelpfeife heraus, stopfte sie sorgfältig mit Tabak und setzte sie in Brand. »Ihr seid noch nicht oft in gefährlichen Situationen gewesen, Mr. Stineway, wie?« Stineway zog den Rauch tief ein.
»Well«, meinte er bedächtig, »nicht in so lebensgefährlichen; aber wenn ich mein Leben so überblicke, dann muß ich sagen, daß ich des öfteren schon große Angst hatte, zum Beispiel vor meinem Verleger. Es bleibt sich nämlich ziemlich gleich, ob die Haifische im Wasser schwimmen oder hinterm Schreibtisch sitzen. — Na ja, angenehm ist es gerade nicht zu wissen, daß man in solchen Augenblicken wie jetzt ausschließlich auf seinen Gaul angewiesen sein kann.«
Zwei Männer hatten einen Schrei ausgestoßen. Tscham, der die Gefahr am besten ermessen konnte, hatte sich die Kleider vom Leib gerissen und war in den Fluß gesprungen. Jetzt faßte er das Floß und versuchte es mit kräftigen Schwimmstößen der Beine dem Ufer zuzubewegen. Aber die Kräfte des tapferen Jungen reichten bei weitem nicht aus. Der Pfeifer war der nächste, der seinem Beispiel folgte. Bald standen nur noch Marina und Stineway auf dem Floß. Das ungefüge Fahrzeug gab dem vereinten Druck der Männer nach. Meter um Meter bewegte es sich uferwärts. Nach einer Stunde schwamm es im ruhigeren Küstengewässer. Tscham ließ los und tauchte. Nach einer Weile kam er prustend wieder an die Oberfläche. »Es ist noch zu tief«, rief er. »Wir können noch nicht staken.«
Das Wasser drang bereits zwischen den Bambusrohren an die Oberfläche des Floßes. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis auch aus den oberen Lagen die Lehmpfropfen weggespült waren. Freilich, das leere Floß hätte sich noch stundenlang auf dem Wasser halten können. Aber die unruhigen Hufe der scheuenden Pferde taten ein übriges, um es unter die Oberfläche zu bringen.
»Ich habe schon nasse Füße«, sagte Stineway.
Marina nahm eine Stakstange auf und drückte sie ihm in die Hand.
»Versucht immer wieder, ob Ihr Grund erreicht. Ich helfe den anderen.«
Ohne der Männer zu achten, warf auch sie die Kleider ab und landete mit einem Hechtsprung neben Michel.
Weiter ging es, dem Ufer zu.
Das Wasser spielte bereits um die Hufe der Pferde. Einige wieherten. Kleidungsstücke trieben vom Floß.
»Haltet die Kleider fest, Mr. Stineway«, rief Marina. »Legt sie auf den Rücken der Tiere, bevor sie völlig durchnäßt oder abgetrieben sind.«
Stineway balancierte in einer Hand die Stange undsammelte hastig die Sachen ein. Dann stand er wieder auf seinem Posten.
Eine weitere Minute verstrich. Millimeter um Millimeter versank das Floß. »Grund«, jubelte die Stimme Stineways. »Ich habe Grund.«
Michel, Ojo, Jardin, Tscham und Fernando zogen sich hinauf und griffen nach den Stangen. Im Schweiße ihres Angesichts arbeiteten sie sich vorwärts.
Hundert Meter noch — — fünfundsiebzig — — fünfzig — — und da geschah das Unglück. Alle standen sie bis zum Hals im Wasser. Das Floß war abgesackt. »Haltet die Pferde«, rief Michel. »Sie dürfen uns nicht durchgehen.« Jeder tat, was er konnte.
Читать дальше