So ist es kein Wunder, wenn sich die zwei bedeutenden Machtmenschen dieser Zeit, die sich gegensätzlicher kaum denken lassen, doch in einem Punkt gleichen. Beide berufen sich gleichermaßen bei all ihrem Tun auf den Willen Gottes: der Franzose Ludwig XIV. und der Engländer Cromwell.
Oliver Cromwell (1599-1658) ist ein beinharter Puritaner, ein »Reiner«, wie sich die führenden englischen Protestanten selbstbewusst nennen. Tieffromm, willensstark, arbeitsam und schlicht, aber durch den langen Kampf der Religionen auf Unerbittlichkeit und Rücksichtslosigkeit getrimmt. Ihm ist jeder Luxus und jede Adelsschwelgerei ein Dorn im Auge. Nicht nur gegen die katholischen Iren, die benachbarten Glaubensfeinde, geht Cromwell mit größter »gottgewollter Härte« vor, sondern auch gegen die schottischen Presbyterianer, die Gemeindeältesten, die den vielen schottischen Gemeinden nach urchristlichem Vorbild vorstehen, aber in ihrer Eigenständigkeit sowohl der herrschenden anglikanischen Staatskirche missfallen wie auch Cromwell.
Cromwell handelt mit der Entschlossenheit eines Mannes, der Gott höchstpersönlich im Gepäck hat. Als Führer des englischen Parlaments lässt er 1649 sogar den auf königliche Rechte pochenden Karl I. kurzerhand köpfen. König Karl darf immerhin für sich in Anspruch nehmen, der erste Herrscher Europas gewesen zu sein, der vor einem ordentlichen Gericht nach nachvollziehbaren, rationalen Gesetzen zum Tode verurteilt wurde. Die wirklich bewiesene Anklage lautete, Karl habe vorsätzlich gegen die Magna Charta von 1215 verstoßen, mit der sich das englische Königshaus verpflichtet hatte, bei allen Entscheidungen dem englischen Adel immer ein Mitspracherecht zu lassen. Karl hatte sich darüber hinweggesetzt. Wahrscheinlich hatte er zu sehr mit französischen Zuständen geliebäugelt und den puritanisch befeuerten Widerstand seiner Landsleute königlich unterschätzt.
Aber Karl hätte es wissen können und müssen: Angesichts der Stärke des englischen Adels, angesichts des angestammten parlamentarischen Rechts auf Steuererhebungen und angesichts des Hardliners Cromwell war in England ein Absolutismus à la française von vornherein nicht realisierbar. Der Kampf zwischen Königtum und Parlament geht hier zugunsten des Letzteren aus, und spätestens mit der parlamentarisch verfügten Ernennung des fortschrittlichen Statthalters der Niederlande Wilhelm III. von Oranien zum englischen König im Jahre 1688 ist das Kapitel »Absolutismus« in England endgültig abgehakt.
Die Habeas-Corpus-Akte aus dem Jahre 1679, so genannt nach den Anfangsworten dieses Gesetzes, bot jedem Bürger soliden Schutz vor der willkürlichen Verfolgung durch den Herrscher, indem genaue Regeln für Verhaftungen und Sicherungsverwahrungen aufgestellt wurden, wie sie noch heute in der englischen Rechtsprechung gelten. In Frankreich hingegen konnte Sonnenkönig Ludwig seine Untertanen ganz nach Belieben einkerkern und hinrichten, ohne dafür irgendwie Rechenschaft leisten zu müssen. In England bedeutete spätestens die berühmte Bill of Rights, die feierliche Formulierung der Bürgerrechte von 1689, dem Jahr nach der Inthronisation Wilhelms, das endgültige Aus für alle absolutistischen Bestrebungen. Der Inselstaat wurde damit zum Vorbild für alle freiheitlich gesinnten Europäer - und Cromwells durchaus blutige Vorarbeit hatte diese Entwicklung erst ermöglicht.
Seine zentrale Überzeugung war geprägt durch das urchristliche Gemeinschaftsideal, wie es in der Apostelgeschichte im Neuen Testament beschrieben wird. Politisch übersetzt klang aus dem Munde Cromwells diese Bibeldeutung im Jahre 1647 ungemein modern: »Die höchste Gewalt liegt beim Volk. Ihm gehört sie vom Ursprung an. Und vom Volk wird sie auf seine Vertreter übertragen.« So ähnlich, wenn auch viel kürzer, haben es noch vor ein paar Jahrzehnten die DDR-Bürger vor dem Mauerfall skandiert: »Wir sind das Volk!«
Wie gegensätzlich klingt da doch das Wort, das der Sonnenkönig Ludwig XIV. in Frankreich gesprochen haben soll: »L’état c’est moi!« - Der Staat - das bin ich! Und wenn er das auch im wirklichen Leben nicht genau so gesagt hat, wie man es ihm später in den Mund legte, so hat er es doch auf jeden Fall so gemeint. Denn sein Recht auf absolute Herrschaft war in seinen Augen gottgewollt, und das Gottesgnadentum seines Regiments berechtigte ihn zu knallharten Schlussfolgerungen: »Es ist der Wille Gottes, dass man, wenn man als Untertan geboren wird, dem Herrscher willenlos zu gehorchen hat.« Basta! Die Anwesenheit Gottes in der Politik mündet eben nicht selten in hemmungslose Aufwertung der eigenen Person.
Aber ganz im Gegensatz zu England funktionierte im Frankreich des 17. Jahrhunderts dieser Absolutismus ziemlich problemlos. Und das lag an zweierlei.
Zum einen daran, dass sich Frankreich im Jahre 1643, als der viereinhalbjährige Ludwig auf den prächtigsten Thron Europas klettert, zum mächtigsten Staat seiner Zeit aufschwingt. Befriedung und relativer Wohlstand sind eingekehrt nach den Wirren der Hugenottenkämpfe, den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten. Deutschland als mögliche konkurrierende Macht existiert zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sondern besteht aus einem Konglomerat Hunderter Ministaaten, verheert durch den Dreißigjährigen Krieg.
Brandenburg ist noch nicht das spätere Preußen. In Italien gibt es seit römischen Zeiten keinen einheitlichen Herrschaftsraum mehr, und der Kirchenstaat ist intensiv mit sich selbst, den notwendigen Reformen und dem Schock der konfessionellen Spaltung beschäftigt. Ludwig wird zeitlebens sich selbst als Oberhaupt der französischen Katholiken verstehen und es nie zulassen, dass seine »gallikanische Kirche« den Einflüssen des politisch schwachen Papstes unterliegt.
England geht seinen eigenen »puritanischen« Inselweg, gänzlich verschont von den Gräueln des Dreißigjährigen Krieges, aus denen Frankreich als politischer Profiteur hervorgegangen ist.
Die hinterwäldlerischen Russen haben gerade Iwan den Schrecklichen hinter sich gebracht und vegetieren nun geknechtet und leibeigen am unteren Ende der Kulturskala. Erst ein halbes Jahrhundert später wird der Modernisierer Zar Peter der Große kommen und durch die Übernahme westlicher Technik und Wissenschaft versuchen, den europäischen Standard inklusive Großmachtstraum auch für Russland zu verwirklichen.
Die weltpolitische Bedeutung der österreichischen Habsburger ist mit dem schwindenden Einfluss auf die deutschen Gebiete nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden von 1648 deutlich zurückgestutzt, und Spanien hat mit den abtrünnigen Niederlanden genug Probleme und ist endgültig auf dem absteigenden Ast, als es 1659 im Pyrenäenfrieden die Übermacht Frankreichs formell anerkennen muss.
Bleibt noch Holland, der Zusammenschluss der fortschrittlichen, protestantischen Niederländer, die zwar dem Zwanzig-MillionenVolk der Franzosen mit seinem mächtigen stehenden Heer (dem ersten in Europa!) noch nicht gleichwertig Paroli bieten können, aber auf dem Sprung sind, mit freiheitlicher Kreativität und viel bürgerlichem Geschäftssinn zur überseeischen Welthandelsmacht aufzusteigen. Holland wird zur größten Herausforderung des absolutistischen Frankreichs werden, auch und gerade was sein alternatives, liberales und motivierendes Regierungsmodell angeht.
Zum anderen: Ludwig hat auf dem Weg zur absoluten Herrschaft geniale Vorarbeiter. Kardinal Richelieu (1585-1642) ist ein passionierter politischer Schachspieler. Als erster Minister Frankreichs schafft er es, durch geschickte Taktik den Einfluss des Adels immer mehr zurückzudrängen. Den Hugenotten, also den französischen Protestanten, die aufgrund ihrer hugenottes, ihrer eigentümlichen Pumphosen, so genannt werden, nimmt er die religiöse Bekenntnisfreiheit, wie sie ihnen im Religionsfrieden von Nantes 1598 zugestanden worden war. Zehntausende von Hugenotten flüchten ins Ausland und werden als geschickte Handwerker gerne genommen. Aufstände einzelner widerständiger Adeliger werden brutal niedergeworfen. Das mittelalterliche Mitspracherecht der Ständevertretungen wird kurzerhand aufgehoben.
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