In Frankreich ging es nicht weniger grausam zu, nur andersherum: Während eines Hochzeitsfestes, bei dem der gesamte Adel des Landes zusammenkam, ließ die katholische Königin Katharina von Medici (1519-1589) alle vornehmen Protestanten niedermetzeln. Als »Pariser Bluthochzeit« ist diese warme Augustnacht des Jahres 1572, die am Namenstag des heiligen Bartholomäus stattfand, in die Geschichtsbücher eingegangen.
Spanien freilich blieb unter Philipp II., dem Sohn Karls V., die treueste Hausmacht des Papstes. Im prachtvollen Palast El Escorial unweit von Madrid ging es ab sofort hochgeschlossen und höchst katholisch zu. Der Kampf gegen den Protestantismus erzeugte einen rigorosen »Reformkatholizismus«, dessen höchstes Anliegen die völlige Vernichtung der Ketzer war. Innenpolitisch konnte Philipp seinen Extremkatholizismus durchsetzen, indem er Tausende von Ketzern verbrennen ließ, viele Juden und Moslems gleich mit. Als Schutzherr der Kirche ging er zudem sehr erfolgreich gegen die Türken vor: In der Seeschlacht von Lepanto wurde die türkische Flotte so vollständig vernichtet, dass sie sich niemals mehr davon erholte.
Nur mit den Niederlanden, die ja auch zu seinem Reich gehörten, hatte er so seine Probleme. Die reichen Städte des Nordens, die sich erfolgreich und offen dem Welthandel aufschlossen, hielten nichts von Philipps fanatischem Glaubenseifer. Sein Statthalter im Norden, der eiskalte Machtmensch und Kriegsverbrecher Herzog Alba (1507-1582), suchte nach der Wurzel allen protestantischen Übels und fand sie nicht zuletzt im Buchdruck, den er nun unter strenge Zensur stellte, nachdem er einige Buchdrucker hatte ermorden lassen. In seinem »Blutgericht zu Brüssel« verfügte er außerdem die Hinrichtung von über 6000 Befürwortern der niederländischen Unabhängigkeit. In der Folge von Aufständen ließ er schließlich mehr als 20 000 Niederländer exekutieren. Daran erinnern Friedrich Schiller in seinem »Don Carlos« und Johann Wolfgang von Goethes »Egmont«.
Wir kennen das inzwischen ja zur Genüge: Druck erzeugt Gegendruck, der schließlich ein Ventil sucht. Letztlich entfachte die brutale Entfesselung von Gewalt den niederländischen Widerstand nur umso heftiger. Nach brutalen, wütenden Kämpfen konnten sich die protestantischen Städte 1579 vom spanischen Joch befreien. Dieser politische Misserfolg mag Philipp zu einem noch extremeren Kreuzzug angestachelt haben, der allerdings in einer noch größeren Katastrophe für ihn endete.
Die Sache ist spannend: Um das protestantische England zu rekatholisieren, lässt Philipp im Jahr 1588 130 Segelschiffe mit 2000 Kanonen und 20 000 Soldaten Kurs auf die Insel nehmen. Die spanische Armada scheint zur unbezwingbaren Bedrohung für England zu werden - aber es kommt nicht einmal zur Landung am englischen Gestade. Die geschickte Strategie der Angelsachsen, die noch vor dem Angriff auf hoher See mit kleinen schnellen Booten die Linien der schwerfälligen spanischen Galeonen durchstoßen, führt im Verein mit einem schweren Sturm und der verderblichen Wirkung von Holzparasiten, sogenannten Holzbohrwürmern, dazu, dass mehr als die Hälfte der stolzen Kriegsschiffe ihren spanischen Hafen nie mehr wiedersieht. Zwanzig Jahre später wird ein Überraschungsangriff der Niederländer im Hafen von Cadiz der einst so herrlichen Armada den endgültigen Todesstoß versetzen.
Mit diesen Misserfolgen und dem Verlust der Seehoheit beginnt der Niedergang Spaniens, auch und vor allem was den Einfluss auf die überseeischen Länder angeht, die weltpolitisch allmählich nun immer wichtiger werden.
Aber das eigentliche Drama im Religionsstreit, das alle anderen Schrecklichkeiten der Zeit weit in den Schatten stellt, spielt sich auf deutschem Boden ab, in den Jahren zwischen 1618 und 1648. Es beginnt damit, dass drei feine Herren, Abgesandte des katholischen Kaisers, im protestantischen Prag aus dem Fenster gestoßen werden und auf einem Misthaufen landen. Der weiche Misthaufen rettet ihnen zwar das Leben, aber umso schlimmer ist ihre Ehre beschmutzt. So wird der Fenstersturz zu Prag zum Auftakt eines dreißig Jahre währenden Krieges, in dem offiziell Katholizismus und Protestantismus um die Vorherrschaft in deutschen Landen ringen. Im Gemetzel wilder Soldatenheere aus aller Herren Länder gerät der religiöse Ausgangspunkt schnell in Vergessenheit. Zuletzt kämpft sogar das katholische Frankreich gegen das noch katholischere Spanien und den katholischen römisch-deutschen Kaiser in Österreich, einfach weil die Gelegenheit so günstig ist, im allgemeinen Trubel die beiden großen Konkurrenten in die Knie zu zwingen.
Eigentlicher Sieger dieser Auseinandersetzung, die ansonsten fast nur Verlierer kennt, ist denn auch Frankreich unter seinem gerissenen Minister Kardinal Richelieu.
Einige Städte und Festungen entlang des Rheins wechseln in den Besitz Frankreichs. Ansonsten lässt der mühsam ausgehandelte Westfälische Friede von Münster und Osnabrück aus dem Jahr 1648 ein völlig verheertes Deutschland zurück, dessen Einwohnerschaft fast halbiert ist.
Nur ganz selten, lieber Leser, ist es berechtigt, weil viel zu spekulativ, in der Weltgeschichte eine stichhaltige Antwort auf die Frage zu geben, was denn gewesen wäre, wenn die Zeitgenossen in die Zukunft hätten blicken können. Im Fall Luther darf aber eines als ganz sicher gelten: Wenn der große Reformator auch nur in Umrissen geahnt hätte, dass seine akademische Kritik am Ablasswesen des Papstes zu einem der schlimmsten Kriege der Menschheitsgeschichte ausarten würde, dann hätte er sich die Sache mit den Thesen noch einmal überlegt. Und vielleicht hätte er dann sogar die Tinte, mit der alles begann, nicht gegen den Teufel geworfen, sondern sie zu ihm gewünscht.
26. Geschmackstest für Gourmets
Etwas Ähnliches haben Sie auch schon mal erlebt: Da geht man jahrelang in das immer gleiche Stammlokal, bestellt das immer gleiche Schnitzel und ist mit sich und der Welt zufrieden. Doch eines Tages hat das Lokal zufällig geschlossen. Aber weil man dennoch Hunger hat, entdeckt man gleich nebenan das neu eröffnete SushiRestaurant. Und plötzlich will man nur noch Sushi ...
Die Gewohnheiten des Abendlandes wurden durch die Entdeckung der großartigen Möglichkeiten des Denkens im 17. Jahrhundert völlig verändert. Der geistige Geschmack der Menschen wandelte sich von Grund auf. Hatte man bis dahin die Autorität der antiken Schriftsteller und Philosophen als ebenso unumstößlich anerkannt wie die Worte der Bibel, so trat nun plötzlich ein Mann auf den Plan, der mit der Kraft der Vernunft alles Bisherige infrage stellte und mit den Gewohnheiten seiner Zeit brach: der Franzose René Descartes (1596-1650). Er war ein wahrer Feinschmecker des Geistes.
Für Descartes bestand der neue Ansatz vor allem in einer revolutionären Forderung: »Wenn wir nur das als wahr anerkennen, was mit Sicherheit erkannt ist, uns allem anderen gegenüber aber skeptisch verhalten, so können wir nicht irren, sondern wir gewinnen denkend ein richtiges Bild von der Welt.« Ein Satz, der in dieser Epoche eine Wirkung entfaltete wie eine Operation am offenen Gehirn.
Denn das genau war es, worum das 17. Jahrhundert rang: um ein neues Bild von der Welt und den Menschen. Plötzlich stand in Zweifel, was die Geschichte im Laufe der Zeit an überkommenen Gewissheiten herangespült hatte. Jetzt wurde nachgefragt, nachgehakt. Die Traditionen wurden seziert wie Organismen auf den Tischen der Naturwissenschaftler. Descartes und seine Anhänger entdeckten das Recht am eigenen Kopf.
Was uns heute als ganz selbstverständlich erscheint, bedeutete damals Kampf. Und es war kein leichter. Ein Kampf gegen jahrtausendealtes Beharrungsvermögen. Gegen das zutiefst menschliche Bedürfnis, das wir allerdings auch kennen: dass doch bitte alles so bleiben möge, wie es ist. Damals war das allgemeine Lebensgefühl der Menschen solide eingegossen in eine Botschaft, die sich längst zu einer mächtigen Institution und festen Wahrheitsgröße gemausert hatte: die Botschaft der Bibel, die längst zur Kirche geworden war.
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