»Weil ich glaubte, ich hätte gehört, wie jemand Sie rief. Es wird einem Menschen ja wohl noch gestattet sein, sich dann und wann einmal zu irren.«
»Ja, aber ich bin dennoch überrascht, wie Ihnen ein solcher Irrtum unterlaufen konnte.«
Es war nicht ganz einfach, ohne zu zucken seinem durchdringenden Blick standzuhalten, aber schließlich wandte er ihn ab, nahm seine Pistole in die Hand und überprüfte das Zündhütchen. Das war natürlich in Ordnung, und offenbar befriedigt legte er die Pistole wieder hin.
»In den Korridor wird ein Tisch mit zwei Stühlen gestellt werden«, sagte er, »so daß wir dort ganz bequem sitzen können. Ich will keineswegs voraussagen oder behaupten, daß etwas geschehen wird, aber wenn, dann werde ich von diesen Waffen hier rücksichtslos Gebrauch machen; das möchte ich noch einmal wiederholen.«
»Daran zweifle ich nicht und kann Ihnen das nur empfehlen«, sagte ich. »Jene Pistole da muß eine schreckliche Waffe sein. Hat sie manchmal auch Fehlzündungen?«
»Nicht, daß ich wüßte«, sagte er. »Außerdem habe ich sie mit besonderer Sorgfalt geladen, und deshalb ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, daß sie ausgerechnet diesmal nicht losgehen sollte. Trinken Sie ein Glas Wein?«
Genau in diesem Augenblick kam von der Haustür lautes Klopfen. Ich sah einen Ausdruck von Genugtuung über sein Gesicht kommen, er sprang auf die Beine und brachte die Pistole auf mich in Anschlag.
»Wissen Sie, was jenes Klopfen zu bedeuten hat?« sagte ich. »Zu solch einer Stunde?« Gleichzeitig schleuderte ich mit einer Armbewegung seinen Degen vom Tisch und damit außerhalb seiner Reichweite.
»Ja«, sagte er ganz aufgeregt, »Sie sind mein Gefangener. Sie waren es, der letzte Nacht das Unheil und Durcheinander gestiftet hat. Das Mädchen ist bereit zu schwören, daß Sie es waren, und wenn Sie jetzt zu fliehen versuchen, blase ich Ihnen mit einer Kugel das Gehirn aus.«
»Feuern Sie nur auf mich, und nehmen Sie die Konsequenzen in Kauf«, sagte ich. »Aber auch die Drohung allein genügt mir schon, Sie werden für Ihre Unverschämtheit sterben.«
Ich zog meinen Degen, und er wähnte sich offenbar in unmittelbarer Lebensgefahr, denn er drückte sofort die Pistole ab, mit der Mündung direkt in mein Gesicht. Natürlich ging bei der nur das Pulver in der Pfanne los, sonst nichts, aber einen Moment darauf ging dafür mein Degen durch ihn hindurch wie ein Blitz. Es war eine gute Klinge, die mir der Jude verkauft hatte – das Heft stieß gegen sein Brustbein, und er schrie auf.
Bum, bum, bum, kam es indessen wieder von der Haustür. Ich zog die blutige Klinge zurück, rammte sie, während ich die Treppe hinunterraste, in die Scheide und kam unten gerade zurecht, meine Wirtin davon abzuhalten, die Haustür zu öffnen. Ich packte sie am Genick, schleuderte sie ein ganzes Stück weit in den Flur nach hinten, öffnete dann selber die Haustür, trat hinter sie und ließ drei Männer an mir vorbei ins Haus stürzen. Dann kam ich hinter der Tür hervor, verließ unauffällig das Haus und war frei. Dieses letzte Abenteuer hatte mich weder besonders beeindruckt, noch verursachte mir der Tod Hardings irgendwelche Gewissensbisse; ich hatte ganz einfach nur getan, was getan werden mußte, um mir die Freiheit zu erhalten.
Eilig ging ich die Straße entlang und schaute mich nicht ein einziges Mal um, bis ich weit genug weg war und mich sicher fühlte, daß jede Verfolgung ausgeschlossen war.
Ich begann dann nachzudenken, was ich als nächstes zu tun hatte.
Ich fühlte mich durch die Blutmahlzeit, die ich bereits zu mir genommen hatte, zwar wieder kräftig belebt, aber ich war noch so neu in meiner Vampir-Existenz, daß ich nicht die mindeste Ahnung hatte, wie lange eine solche Mahlzeit in der Wirkung anhalten würde, mir weiter Leben und Kräfte zu geben.
Dabei war es eine ganz merkwürdige übernatürliche Art von Kräften, die ich in mir spürte und die absolut nichts gemeinsam hatten mit jenen, die ein normaler Mensch empfindet, wenn er sich im Vollbesitz seiner Vitalität fühlt. Nein, bei mir war es mehr; ich spürte eine geradezu magische Kraft, der nichts widerstehen konnte, die alle Hindernisse einfach hinwegfegen würde.
Als ich schließlich stehenblieb, fand ich mich in der Pall Mall wieder, nicht weit vom St.-James-Palast entfernt, der letzthin so viele Wechsel erlebt hatte und Zeuge so vieler bemerkenswerter Veränderungen in den Affären von Monarchen gewesen war, daß allein die nackten kommentarlosen Chroniken darüber einen dickleibigen Wälzer ergeben hätten.
Ich schlenderte bis zu dem offenen Gitter des königlichen Palastes vor, doch als ich jenes Viereck betreten wollte, das der Colour-Court genannt wurde, wies ein Wachtposten mich rüde zurück.
So war es zu Zeiten Cromwells nicht gewesen, aber im Moment hatte ich völlig vergessen gehabt, daß sich die Dinge inzwischen grundlegend geändert hatten.
Ich beuge mich immer der Autorität, wenn ich sehe, daß kein Weg an ihr vorbeiführt, und so wandte ich mich auch jetzt sofort zur Seite, ohne irgendeine Bemerkung zu machen. Aber gerade, als ich das tat, sah ich, wie sich nicht weit von dort, wo ich stand, eine kleine Tür öffnete, und zwei in dicke, braune Mäntel gehüllte Gestalten traten heraus.
Auf den ersten Blick sahen sie nicht gerade wie Standespersonen aus, aber wenn man ihre Gesichter, ihre Gestalten und ihr Gehabe ein paar Sekunden lang genauer beobachtete, wie ich es tat, kam man zwangsläufig zu dem Schluß, daß es irgendwelche sehr hochgestellte Persönlichkeiten sein mußten.
Abenteuer war für mich das Leben selbst, jetzt, da ich alle anderen Bande an die irdische Welt abgeschüttelt hatte, und ich hatte eine rücksichtslose Verachtung für alle Gefahren, was bei meiner einzigartigen gefeiten Art von Existenz nur natürlich war. Ich beschloß, diesen beiden Männern dicht genug zu folgen.
»Sollen wir uns ein Vergnügen machen?« sagte der eine.
»Ich bin sicher, daß uns die Ladies welches liefern werden«, entgegnete der andere.
»Und doch waren sie bei unserem letzten Zusammentreffen ziemlich schüchtern, finden Sie nicht auch, Rochester?«
»Eure Majestät –«
»Pst, Mann, pst! Seien Sie doch nicht so unvorsichtig, mich in öffentlichen Straßen mit Majestät anzureden. Wenn ein Lauscher das hört, könnte es einen Hofskandal geben. Ich muß Sie doch bitten, etwas vorsichtiger zu sein.«
»Aber der Name Rochester, den Sie gerade fallenließen, könnte ebenso leicht einen Hofskandal heraufbeschwören wie der –«
»Pst, pst! Sagte ich tatsächlich gerade Rochester? Nun, nun, Mann, behalten wir Namen und Titel also für uns und kommen Sie schnell. Wenn wir die Ladys überzeugen können, herauszukommen, können wir mit ihnen in den Garten des Palastes gehen. Ich habe den Schlüssel zu jener bequemen kleinen Tür in der Mauer, die uns schon mehr als einmal gedient hat.«
Natürlich hatte ich danach keinerlei Schwierigkeiten mehr, in dem einen Sprecher den restaurierten Monarchen, Charles den Zweiten, zu erkennen und in dem anderen seinen Favoriten und ausschweifenden Begleiter, Rochester, von dem ich schon allerhand gehört hatte, obwohl ich noch nicht lange genug wieder in dem Reich der Lebenden weilte, um schon einmal Gelegenheit gehabt zu haben, einen von ihnen zu sehen. Aber nachdem sie solchermaßen selbst bekannt hatten, wer sie waren, würde ich sie von nun an jederzeit wiedererkennen.
Ich hatte mich sorgfältig außer Sicht gehalten, während der kleine Dialog geführt worden war, und so entdeckten sie mich nicht, obwohl sie mehr als einmal argwöhnische Blicke um sich geworfen hatten. Befriedigt, daß ihr unvorsichtiges Gespräch keinen Schaden angerichtet hatte, gingen sie eilig weiter in Richtung Pimlico.
Charles und sein Begleiter hatten also nicht die mindeste Ahnung, welch ein schreckliches Wesen sich an ihre Fersen geheftet hatte. Wenn der König auch leichtsinnig genug war, so daß man ihm gefahrlos hätte folgen können, warf Rochester ständig lauernde, argwöhnische Blicke um sich, und mehr als einmal war ich dicht davor, von ihm entdeckt zu werden, entging dem aber durch mein geschicktes Verhalten und meine Behendigkeit.
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