Manfred Kluge - 18 Geisterstories

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Schaurige Geschichten von klassischen und modernen Gespenstern. 
Ausgewählt und herausgegeben von Manfred Kluge.
Inhalt: Laertes Karl Hans Strobl Vier Geister in ›Hamlet‹ Fritz Leiber Das arme alte Gespenst Heinrich Seidel Die Klausenburg Ludwig Tieck Der Geisterberg Gustav Adolf Becquer Gäste zur Nacht Alexander Puschkin Der schwarze Schleier Charles Dickens Das weiße Tier Ein Nachtstück Georg von der Gabelentz Das geheimnisvolle Telegramm Anonymus Der geraubte Arm Vilhelm Bergsöe Die Nacht von Pentonville Jean Ray Das Gespenst Knut Hamsun Der Geist Frederic Boutet Die Kleinodien des Tormento Paul Busson Altersstarrsinn Robert Bloch Der Spuk von Rammin Hanns Heinz Ewers Reitet, Colonel! Mary-Carter Roberts Die Stimme aus dem Jenseits Werner Gronwald

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18 Geisterstories Hamlet Wo führst du hin mich Red ich geh nicht weiter - фото 1

18 Geisterstories

Hamlet. Wo führst du hin mich? Red, ich geh’ nicht weiter.

Geist. Hör an!

Hamlet. Ich will’s.

Geist. Schon naht sich meine Stunde,

Wann ich den schweflichten, qualvollen Flammen

Mich übergeben muß.

Hamlet. Ach, armer Geist!

Geist. Beklag mich nicht, doch leih dein ernst Gehör

Dem, was ich kund will tun.

Hamlet. Sprich! Mir ist’s Pflicht, zu hören.

Geist. Zu rächen auch, sobald du hören wirst.

Hamlet. Was?

Geist. Ich bin deines Vaters Geist:

Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern,

Und tags gebannt, zu fasten in der Glut,

Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit

Hinweggeläutert sind. War’ mir’s nicht untersagt,

Das Innre meines Kerkers zu enthüllen,

So hob’ ich eine Kunde an, von der

Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte,

Dein junges Blut erstarrte, deine Augen

Wie Stern’ aus ihren Kreisen schießen machte,

Dir die verworrnen krausen Locken trennte

Und sträubte jedes einzle Haar empor

Wie Nadeln an dem zorn’gen Stacheltier:

Doch diese ew’ge Offenbarung faßt

Kein Ohr von Fleisch und Blut. – Horch, horch! O horch!

Wenn du je deinen teuren Vater liebtest –!

Hamlet. O Himmel!

Geist. Räch seinen schnöden, unerhörten Mord!

Hamlet. Mord?

Geist. Ja, schnöder Mord, wie er aufs beste ist,

Doch dieser unerhört und unnatürlich …

William Shakespeare

Es möchte an der Zeit sein, die vielfachen und bedauerlichen Irrtümer, welche über die Natur der Gespenster verbreitet sind, einmal näher zu beleuchten. Eine der rohesten Anschauungen lautet: Ein Gespenst ist eine Gestalt in einem weißen Bettlaken, welche nachts zwischen zwölf und ein Uhr Unfug treibt. Ich vermute, daß diese Fabel von einem Liebhaber erfunden ist, den sein Nebenbuhler des Nachts in dieser Vermummung durchgeprügelt hat. Schon der allgemeine Glaube, daß ein Gespenst sich an gewisse engumschriebene Nachtstunden bindet, zeugt von einer betrübenden Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse. Ich glaube des Dankes unserer verstorbenen Mitbürger, welche das Schicksal genötigt hat, sich diesem wenig befriedigenden Beruf zu widmen, gewiß zu sein, wenn ich die Ergebnisse meines eingehenden Studiums über die Natur und die Eigenschaften der Gespenster zur allgemeinen Kenntnis bringe. Vielleicht geschieht dies am besten, wenn ich ganz einfach in meiner Geschichte fortfahre …

Heinrich Seidel

Laertes von Karl Hans Strobl

Der österreichische Schriftsteller Karl Hans Strobl (1877-1946) wurde mit seinen fantastischen Spukgeschichten, Novellen und Romanen zum Erneuerer und Begründer einer Gattung, die im deutschen Sprachraum Gustav Meyrink und Hanns Heinz Ewers fortsetzten. Gespenster, Vampire, Teufel, Hexen, Alben und Lemuren bevölkern seine Erzählungen. So leiht blinde Eifersucht dem ermordeten Darsteller des Laertes in der vorliegenden Erzählung aus dem Jahre 1905 noch einmal Gestalt und Maske: Shakespeare, wie ihn nur wenige Theaterfreunde kennen. In der von Hanns Heinz Ewers herausgegebenen Galerie der Fantasten erschien 1921 unter dem Titel ›Lemuria‹ eine Auswahl seiner seltsamen Geschichten.

——————————

Der Direktor telefonierte es dem Theatersekretär, der eben alle Greuel der Wolfsschlucht hinnehmen mußte, der Theatersekretär ließ die ungeheure Neuigkeit sofort auf den Regisseur überströmen, der Regisseur leitete sie auf Samiel, Agathe und Kaspar weiter, die Agathe sagte es dem Kollegen vom Schauspiel, der sie im Dunkel der Kulissen bewunderte, und wie ein Wasserfall von der Höhe stürzt, rauschte die Nachricht aus den hellen Höhen; verästelnd, sich verbreiternd, alle Hindernisse überspringend, funkelnd und betäubend bis zu den untersten Dunkelheiten der Theaterarbeiter. Zwischen Versenkung zwei und drei, zwischen ›Abenddämmerung‹ und ›Mondschein‹ auf dem Schnürboden, unter der Brücke, auf der Agathes Geist erscheint, hinter dem borstigen Rücken des Wildschweines und neben der großen Trommel des Wassersturzes flüsterte man davon. Dann quoll die Nachricht in die Stadt hinaus und brachte die Welt, deren Mittelpunkt die Raritäten des Theaters sind, in Aufregung. Der Kellner im Cafe Stadttheater servierte mit der Melange diskret dieses neueste Bühnenereignis und berechnete aus dem überraschten Aufschauen des Gastes den Tageskurs seines Trinkgeldes. Alle Freunde der Kunst schüttelten die Köpfe und die ältesten unter ihnen konnten gar nicht wieder aufhören, als wären sie durch den Schrecken in Pagoden verwandelt. Aus dieser Nachricht rüttelten sich eine Menge von Gesprächsstoffen, von Vermutungen, von Aphorismen, von guten und schlechten Witzen, wie die Bänder, Sträuße, Bonbonnieren, Kaninchen aus dem Zylinder eines Magiers.

Vormittags um elf hatte Josef Prinz dem Direktor mitgeteilt, daß er bereit sei, den Hamlet zu spielen, und als er nachmittags um drei nach Hause kam, erwartete ihn seine Wirtin mit festlich verdoppelten Schminkschichten und vor Erregung etwas mißratenen Augenbrauen.

Ihre Fußspitzen quälten sich mit Schweben ab und ihre Arme klappten auf und nieder, wie die Flügel einer verlassenen Windmühle: »Ich höre, ich höre … oh, ich bin außer mir. Ist es möglich, Herr Prinz! Oh, Sie wollen uns wieder, ich fasse es nicht … Sie wollen uns wieder Ihren Hamlet schenken. Oh … dieser Monolog! Wie Sie den gesprochen haben …!«

Prinz drängte an den Windmühlflügeln vorbei und kämpfte sich der Tür seiner Wohnung zu. Zwischen zwei Drehungen und drei Ausrufen entschlüpfte er der Gefahr, nahm auf der Schwelle seiner Tür die Pose eines Cäsars an, der einen Weltteil verschenkt, und rief: »Sie sollen eine Freikarte haben.« Dann schützte er sich durch einen starken, einbruchsicheren Riegel. Aber um vier mußte er dem Theaterdiener öffnen, der ihm die Rolle und einen Strauß taktloser Fragen und Andeutungen brachte. Um fünf übergab ihm der Briefträger dreiundzwanzig Briefchen in zarten Farben von Lila bis Rosa, mit allen Gerüchen von Moschus bis Heliotrop, mit den glühendsten Ausdrücken innigster Verehrung und heißer Sehnsucht nach dem Wiedersehen des göttlichen Hamlet.

Um halb sechs kam mit der Dämmerung sein Freund Gustav Rietschi. Er fand Hamlet in Grau gehüllt, mit zwei roten Blutflecken des sinkenden Abends auf Brust und Schultern und den Degen sinnend vor sich, daß die schmale Klinge im Halbkreis vom Korb zum Fußboden sprang. Der Spiegel wiederholte dies alles noch einmal, fahler, grauer und leblos starrer als die Wirklichkeit.

»Ich höre, daß du wieder den Hamlet spielen willst.«

»Ich habe mich dazu entschlossen. Der Direktor hat mir stark zugesetzt, um den Shakespeare-Zyklus zu ermöglichen und ich … warum sollte ich nicht wieder einmal den Hamlet spielen. Meine beste Rolle … lächerlich!«

»Wenn du selbst das von damals überwunden hast, warum solltest du ihn nicht spielen? Gewiß.«

»Ich … ich habe es überwunden.« Prinz ließ die Klinge aufspringen, daß sie leise im Korb klirrte. Die blutigen Flecken auf Brust und Schultern breiteten sich im Grau aus, verschwammen und zitterten ins Dunkel hinüber.

Der Freund sah den schmalen, schwarzen Streifen der Klinge von der Hand Hamlets ausgehen, wie einen ins Ungewisse gerichteten Willen. »Wie lange ist das schon her?«

»Du bist glücklich, daß du nicht die Jahre zählen mußtest. Fünf Jahre Verbannung von dem Besten und Höchsten meiner Kraft.«

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