»Du hast mir nie davon erzählt, ob du zu Hause Familie hast«, gab Geary zurück.
»Ich habe einen Bruder und eine Schwester und beide haben sie Kinder. Meine Eltern leben noch. Damit habe ich noch all das, was dir weggenommen wurde. Ich hoffe, du verstehst, warum ich sie noch nie erwähnt hatte. Mir behagt der Gedanke nicht, dass meine Erzählungen dich dazu zwingen, daran zu denken, was du verloren hast.«
Er nickte. »Das weiß ich zu schätzen. Aber wenn du darüber reden willst, kannst du das gerne tun. Was ich verloren habe, bekomme ich nicht dadurch zurück, dass du verleugnest, was du hast.«
»Bist du nicht gut im Verleugnen?«, fragte Rione lächelnd.
Geary schnaubte vor Selbstverachtung. »Ich denke, ich bin darin so gut wie jeder andere.«
»Da muss ich widersprechen.« Sie zeigte auf die Darstellung der Sternensysteme. »Du hast etwas gefunden, was uns allen entgangen ist. Oder was wir nicht haben sehen wollen.«
Diesmal schüttelte er nachdrücklich den Kopf. »Wir haben gar nichts gefunden. Wie du selbst gesagt hast, gibt es keinen einzigen Beweis. Meinst du, die hochrangigen Autoritätspersonen der Allianz werden das glauben?«
»Mir macht mehr die Tatsache Sorge, dass wir ihnen vielleicht von der möglichen Verwendung der Hypernet-Portale berichten müssen, um ihnen die Bedeutung dieser Entdeckung deutlich zu machen.«
Einen Moment lang saß er schweigend da. »Du glaubst immer noch, sie würden sie als Waffen einsetzen?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber wenn die Allianz-Regierung davon erfährt, ist es durchaus denkbar, dass sie mehrheitlich zustimmt, die Portale als Waffe gegen die Syndiks einzusetzen. Mein Instinkt sagt mir, dass sie so entscheiden würden.« Mit betrübter Miene betrachtete sie die Darstellung der Sternensysteme. »Und im Allianz-Senat käme sehr wahrscheinlich eine Mehrheit zugunsten dieser Verwendung zustande, wenn man ihm die Gelegenheit zu einer Abstimmung gibt. Überleg doch nur, John. Wir könnten Eingreiftruppen in jedes Syndik-System in unserer Reichweite schicken und dort die Tore zerstören. Dann reisen sie weiter von System zu System und ziehen eine Spur völliger Verwüstung hinter sich her.«
»So würde das nicht funktionieren«, berichtigte er sie. »Du hast den Kollaps des Portals bei Sancere miterlebt. Der Energieausstoß würde auch die Schiffe vernichten, die das Portal zerstören. Ihr Einsatz wäre nach dem ersten Portal zu Ende.«
Sie nickte gedankenverloren. »Also müssten wir Roboterschiffe konstruieren, die mit künstlichen Intelligenzen bemannt und von ihnen gesteuert werden, damit sie losziehen und Sternensysteme zerstören. Weil das All so groß ist, würde den Syndiks Zeit bleiben, um zu erkennen, was wir machen. Ihre Spione könnten ihnen Bericht erstatten, und sie könnten entsprechend Vergeltung üben. Ganze Flotten von künstlichen Intelligenzen, die ein Sternensystem nach dem anderen zerstören und nach und nach die gesamte Menschheit auslöschen. Was für einen Albtraum könnten wir entfesseln!«
Übelkeit erfasste ihn bei dem Gedanken, denn er wusste, dass Rione vollkommen recht hatte. »Es tut mir leid. Ich hatte nicht vorgehabt, dir so etwas aufzuhalsen.«
»Dir blieb kaum eine andere Wahl, und du hast gute Absichten verfolgt.« Sie seufzte. »Ich kann nicht erwarten, dass ein einzelner Mann alle Last dieser Flotte auf sich nimmt.«
»Ich habe dich nicht mal gefragt, ob du diese Last überhaupt mit mir teilen willst.«
»Na ja, du bist ein Mann, nicht wahr?« Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist ja gut ausgegangen.«
»Ist es das?«
Sie legte den Kopf schräg und musterte Geary. »Was macht dir zu schaffen? Wenn ich mich nicht irre, bezog sich deine Bemerkung nicht auf Syndiks, Außerirdische oder Killerroboter.«
Er erwiderte ihren Blick. »Es geht um dich und mich. Ich versuche zu verstehen, was zwischen uns läuft.«
»Guter Sex, gegenseitiger Trost, Gesellschaft. Erwartest du noch etwas anderes von unserer Beziehung?«
»Du denn?«
»Ich weiß nicht.« Rione dachte länger über die Frage nach, dann schüttelte sie den Kopf und wiederholte: »Ich weiß nicht.«
»Dann liebst du mich also nicht.«
Da war wieder dieser kühle, belustigte Gesichtsausdruck. »Soweit ich weiß, nein. Bist du enttäuscht?« Gearys Miene oder Körpersprache mussten ihn verraten haben, da Rione plötzlich ernst wurde. »John, es gab in meinem Leben einen Mann, den ich geliebt habe. Das habe ich dir gesagt. Er ist tot, aber das ändert nichts an meiner Liebe zu ihm. Seitdem habe ich mich ganz der Allianz verschrieben und versuche, den Menschen zu dienen, für die mein Mann sein Leben gab. Was noch übrig ist, gehört momentan dir.«
Er musste leise lachen. »Dein Herz bekomme ich nicht, deine Seele gehört der Allianz. Was bleibt dann noch für mich übrig?«
»Mein Verstand, und das ist nicht gerade wenig.«
Er nickte. »Nein, allerdings nicht.«
»Kannst du mit diesem Teil von mir glücklich sein, wenn du weißt, dass der Rest anderen vorbehalten ist?«, fragte sie ruhig.
»Ich weiß nicht.«
»Du bist einfach zu ehrlich, John«, seufzte sie. »Aber ich bin ganz genauso. Vielleicht sollten wir uns gegenseitig belügen.«
»Ich glaube, das würde nicht funktionieren«, konterte er ironisch und musste sich unwillkürlich fragen, ob sie das alles wirklich ehrlich meinte. Oder verfolgte sie heimlich eine andere Absicht, von der er nichts wusste? In vieler Hinsicht erschien ihm Victoria Riones Verstand genauso fremd wie die entlegene Grenze der Syndikatwelten.
»Nein, da hast du wohl recht.« Sie sah an ihm vorbei. »Würde denn Ehrlichkeit funktionieren?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Das wird die Zeit schon zeigen.« Sie betätigte eine Taste und schaltete die Darstellung ab. Dann stand sie auf und betrachtete ihn mit einer Miene, die er einfach nicht deuten konnte. »Ich vergaß, dass dir noch ein anderer Teil von mir zur Verfügung steht. Mein Körper. Du hast nicht gefragt, trotzdem sage ich es dir. Den habe ich seit dem Tod meines Mannes niemandem angeboten.«
Er konnte nicht die mindeste Spur von Unsicherheit bei ihr entdecken, und er würde den Teufel tun, diese Aussage anzuzweifeln. »Ich verstehe dich wirklich nicht, Victoria.«
»Ist das der Grund, warum du emotional Abstand wahrst?«
»Möglicherweise.«
»Das ist vielleicht auch besser so.«
»Du bist auch nicht gerade offen zu mir«, machte Geary klar.
»Das stimmt. Ich habe dir nichts versprochen, und du solltest mir auch nichts versprechen. Wir sind beide Veteranen, was das Leben angeht, John. Wir haben Narben von den Verlusten davongetragen, weil uns die Menschen etwas bedeuteten. Irgendwann solltest du mir von ihr erzählen.«
»Ihr?« Er wusste genau, was Rione meinte, aber er wollte es nicht zugeben.
»Wer immer sie auch war. Die eine, die du zurückgelassen hast. Die eine, an die du manchmal denkst.«
Er senkte seinen Blick und verspürte eine Leere, die aus möglicherweise verpassten Chancen geboren war. »Das sollte ich wirklich. Irgendwann.«
»Du hast mir gesagt, du warst nicht verheiratet.«
»Das stimmt. Es ist etwas, das hätte passieren können, das aber nicht eingetreten ist. Der Grund ist mir noch immer nicht so ganz klar. Aber es blieb vieles unausgesprochen, was hätte ausgesprochen werden sollen.«
»Weißt du, was nach deinem mutmaßlichen Tod im All aus ihr geworden ist?«
Geary starrte ins Nichts, während er zurückdachte. »Etwas geschah vor meinem Gefecht. Ein Unfall. Ein dämlicher Unfall. Weil ihr Schiff weit weg war, erfuhr ich davon erst, als sie bereits drei Monate tot war. Ich hatte vorgehabt, mit ihr wieder Kontakt aufzunehmen und mich zu entschuldigen, weil ich so ein Idiot gewesen war.«
»Das tut mir sehr leid, John.« Die Traurigkeit war ihren Augen deutlich anzusehen. »Es fällt nicht leicht, Träume sterben zu lassen, auch wenn sie nur Träume geblieben sind.« Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hoch, damit er vor ihr stand. »Wenn du dich bereit fühlst, kannst du mir mehr von ihr erzählen. Du hast noch nie mit irgendwem darüber gesprochen, oder? Das dachte ich mir. Offene Wunden können nicht verheilen, John.« Sie kam näher und küsste ihn zärtlich. »Das ist für eine Nacht genug Gesellschaft, und du hast für uns beide zusammen viel zu viel gedacht. Ich möchte jetzt lieber das genießen, was unsere Beziehung noch zu bieten hat.«
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