Ihr Körper fühlte sich in seinen Armen warm und lebendig an, und für eine Weile waren wenigstens die Sorgen der Gegenwart und die Erinnerungen an die Vergangenheit vergessen.
Die richtige Formation zu finden war das Dilemma. Die Allianz-Flotte befand sich ganz in der Nähe des Sprungpunkts, durch den eine Syndik-Streitmacht zum Vorschein kommen konnte. Das bedeutete, ihm blieb nur wenig Zeit, um seine Formation anzupassen, sodass er vermutlich seine Flotte so einsetzen musste, wie sie angeordnet war. Aber er würde die Formation der feindlichen Streitmacht erst zu sehen bekommen, sobald die hier eintraf.
Klar war ihm nur eines: Wenn die Syndiks einer kleinen, schwer in Mitleidenschaft gezogenen Allianz-Streitmacht dicht auf den Fersen waren, würden sie mit ihrem Angriff keine Zeit vergeuden. Es war fast mit Sicherheit davon auszugehen, dass schnelle leichte Einheiten den fliehenden Allianz-Schiffen nachstellen würden. Die ließen sich leicht aus dem Weg räumen, ganz gleich wie Gearys Formation aussah. Das Problem war aber, was danach kam. Schwere Kreuzer ließen sich auch noch schnell eliminieren, doch wenn die Syndiks den leichten Einheiten Schlachtschiffe folgen ließen, dann musste Geary sicherstellen, dass die nicht zu viele von seinen eigenen Schiffen mit sich rissen.
Im schlimmsten Fall bekamen sie es mit einer überlegenen Syndik-Streitmacht zu tun, und dann musste die Allianz schnell und energisch zuschlagen, um das Überraschungsmoment zu nutzen.
»Das könnte sehr unangenehm werden«, merkte Geary an, nachdem er mit Captain Duellos die möglichen Optionen durchgesprochen hatte. »Aber da wir uns in der Nähe des Sprungpunkts aufhalten, bedeutet es, dass die sich nicht verteilen können. Ich werde unsere Schiffe eine modifizierte Becher-Formation einnehmen lassen.« Auf dem Display zwischen ihnen erinnerte die Formation tatsächlich an einen Becher mit einem dicken kreisförmigen Boden, bestehend aus mehr als der halben Flotte in einer Matrix mit überlappenden Schussfeldern. Die übrigen Schiffe waren in einem Halbrund angeordnet, das sich in Richtung des Feindes erstreckte. »Wir werden in der Lage sein, sie an einer Stelle massiv unter Beschuss zu nehmen und dann einen weiteren Abschnitt ihrer Formation zu attackieren, wie auch immer die aussehen mag.«
»Wenn sie uns zahlenmäßig weit überlegen sind, werden wir sie wie der Teufel bombardieren, selbst wenn wir dabei vernichtet werden«, erwiderte Duellos. »Nicht gerade der ideale Ausgang, aber zusammen mit den Verlusten, die wir ihnen bei Kaliban und Sancere zugefügt haben, werden die Syndiks im Krieg keinen zahlenmäßigen Vorteil mehr haben.«
Geary nickte und schaute auf das Display. »Also würde der Krieg weitergehen.«
»Der Krieg würde weitergehen«, bestätigte Duellos.
»Ich würde gern zu einem besseren Ergebnis gelangen.«
Duellos grinste zynisch. »Sie können auf die Flotte zählen. Hier kommt alles zusammen: der Stolz der Flotte, der Wunsch, die Schiffe unserer Kameraden zu retten, das aus den jüngsten Siegen geborene Selbstbewusstsein, die Ausbildung, die wir von Ihnen erhielten. Auch wenn unsere Chancen schlecht stehen, können wir etwas zustande bringen.« Sein Grinsen wurde noch etwas breiter. »Und gerade fällt mir etwas ein, wie wir unsere Chancen verbessern können.«
Man sollte meinen, dass man sich an das Warten gewöhnt, wenn man so viele Jahre bei der Flotte ist, überlegte Geary, während er durch die Korridore der Dauntless schlenderte. Sehr viel Zeit bei der Flotte verbrachte man einfach nur mit Warten. Warten darauf, irgendwo anzukommen. Warten, wenn man angekommen war. Warten auf einen Notfall oder eine Krise, die vielleicht gar nicht eintreten würden. Warten darauf, dass man herausfand, wie lange man würde warten müssen. Das schien genauso ein Teil des Lebens eines Militärs zu sein wie die miese Verpflegung und die Gefahr, getötet zu werden.
Diese Erkenntnis machte es ihm nicht leichter, darauf zu warten, ob irgendwelche Schiffe zu ihnen zurückkehren würden. Die Flotte war direkt vor dem Sprungpunkt in Position gegangen, durch den Allianz-Schiffe kommen konnten, sofern sie so lange überlebt hatten. Seine Schiffe hingen quasi im All, während sie dem Sprungpunkt auf seinem gemächlichen Weg durch das System folgten. Die Hilfsschiffe waren ausgelastet, da sie neue Waffen und Ersatzteile produzieren mussten, gleichzeitig waren an allen möglichen Kriegsschiffen Wartungen oder Reparaturen vorzunehmen. Geary hatte persönlich getan, was er konnte, um die Flotte vorzubereiten, aber er war zu rastlos, um sich anderen Aufgaben zu widmen. Also streifte er durch die Korridore der Dauntless, wo er den Matrosen und Offizieren begegnete, deren Gesichter ihm allmählich vertrauter wurden und denen er nach und nach auch einen Namen zuordnen konnte. Ganz langsam stellte sich bei ihm das Gefühl ein, dass er wirklich hierher gehörte.
In einem Gang begegnete er Captain Desjani und stellte überrascht fest, dass sie jene gute Laune ausstrahlte, die ihr sonst nur anzumerken war, wenn sie zusah, wie Syndik-Schiffe zerstört wurden. »Sie wirken so gut gelaunt«, sprach er sie freundlich an.
Lächelnd erwiderte sie: »Ich konnte mich ausführlich mit jemandem von der Furious unterhalten, Sir.«
Die Furious war weit von der Flotte entfernt, da sie wieder die Eingreiftruppe auf einer weiteren Spezialmission anführte. Einen Moment lang rätselte Geary, warum Desjani sich ausgiebig mit Captain Cresida unterhalten sollte, zumal eine große Zeitverzögerung zu berücksichtigen war. Dann aber verstand er, was sie meinte. »Wie geht es Lieutenant Casell Riva?«
Sie errötete ein wenig. »Sehr gut, Captain. Er ist sehr beeindruckt von Captain Cresida und den neuen Sensoren und Waffen, die wir haben.«
»Verstehe. Es freut mich, dass ihm die neuen Waffen der Flotte gefallen.«
»Um ehrlich zu sein, er ist froh darüber, befreit worden zu sein, und es schien ihm zu gefallen, mit mir zu reden«, gestand Desjani.
»Ich nehme an, er ist sogar sehr froh, Tanya. Hat er sich auch gut eingelebt?«
Ihr Lächeln verblasste ein wenig. »Es gab ein paar schwierige Momente, hat er mir anvertraut. Die andauernde Gefangenschaft im Syndik-Arbeitslager ohne Hoffnung auf eine Heimkehr wird ihn noch lange Zeit verfolgen. Manchmal wacht er in Panik auf, weil er fürchtet, die Befreiung könnte nur eine Halluzination gewesen sein. Aber natürlich hat er jetzt wieder Hoffnung geschöpft.« Nach einer kurzen Pause fügte sie an: »Cas … Lieutenant Riva war überrascht über die Art, wie Sie die Flotte führen. Die Taktiken, die Sie anwenden, und so weiter. Dass Captain Falco die Flotte verlassen hat, irritiert und betrübt ihn noch immer. Aber er hat alles mitverfolgt, was bei Sancere geschehen ist, und er war sehr erstaunt, Sir.«
Nun fühlte Geary sich in Verlegenheit gebracht. »Vieles ist richtig gelaufen. Wir hatten Glück.«
»Für einen Großteil unseres Glücks waren Sie verantwortlich, Sir, wenn ich das so sagen darf.« Wieder verstummte sie kurz. »Er ist immer noch der Mann, den ich in Erinnerung hatte. Vielleicht wird sich daraus wieder etwas entwickeln.«
»Das möchte ich hoffen. Dieser Krieg bringt schon genug Menschen Chaos in ihr Leben. Da ist es schön, wenn zwei von ihnen eine Chance auf einen Neuanfang bekommen.«
Desjani nickte, ihre Gedanken waren weit in die Vergangenheit abgeschweift. »Wir werden sehen. Es ist viel Zeit nachzuholen, wir müssen viele Erfahrungen teilen. Wussten Sie eigentlich, dass sich unter den bei Sancere heruntergeladenen Dateien auch eine riesige Datenbank befindet, die die Kriegsgefangenen der Syndiks auflistet? Sie ist nicht auf dem neuesten Stand, die jüngsten Einträge sind auch schon wieder drei Jahre alt, aber es finden sich etliche Namen von Matrosen auf der Liste, die wir für tot gehalten haben. Falls wir … entschuldigen Sie, Sir. Wenn wir ins Gebiet der Allianz zurückkehren, wird es viele Leute geben, die sich freuen werden, welche Namen aufgelistet sind.«
Читать дальше