Geary sah sie neugierig an. »Wie lange ist es her, dass die Syndiks der Allianz eine Aufstellung ihrer Gefangenen übermittelt haben?«
»Mindestens einige Jahre, aber das genaue Datum muss ich nachsehen. Irgendwann beschlossen die Syndiks, dass es der Moral der Allianz mehr schadet, wenn nicht bekannt ist, ob das verschollene Personal tot oder in Gefangenschaft ist. Die Allianz hat im Gegenzug den Syndiks natürlich auch keine Listen mehr überlassen.«
Das war kein angenehmer Gedanke. Es war schon schlimm genug, Freunde, Geliebte und Angehörige in den Krieg ziehen zu lassen, aber wenn man nicht einmal erfuhr, was aus ihnen geworden war, dann kam das einer quälenden Folterung gleich. »Wir müssen unsere Liste aktualisieren, danach können wir die Syndiks vielleicht dazu bewegen, dass der Datenaustausch wiederaufgenommen wird.«
»Wenn das jemandem gelingen kann, dann Ihnen«, erwiderte Desjani. »Ich habe gerade erst begonnen, mir die Liste anzusehen. Es sind unglaublich viele Namen, die auf eine etwas eigenartige Weise sortiert sind, daher bekomme ich bei meinen Suchen meistens Ergebnisse geliefert, um die ich gar nicht gebeten habe. Aber es gibt ein paar Leute, deren Schicksal mich interessiert. Einige von ihnen gerieten angeblich in Gefangenschaft, andere sind mutmaßlich im Gefecht gefallen. Vielleicht erhalte ich jetzt eine Bestätigung, was aus ihnen geworden ist.«
»Ich schätze, das werden außer Ihnen noch viele machen«, sagte Geary. Eine drei Jahre alte Liste würde ihm keine Auskunft darüber geben, ob es seinem Großneffen wie durch ein Wunder doch noch gelungen war, sich unmittelbar vor ihrer Zerstörung von der Repulse zu retten. Am besten war es, wenn er davon ausging, dass Michael Geary tot war. Dann konnte er sich immer noch angenehm überraschen lassen, sollte er doch noch leben. Allerdings gab es wenig Grund zu der Annahme, er könnte das Ende seines Schiffs überstanden haben.
Das brachte seine Gedanken zurück zu den neununddreißig Schiffen, die Captain Falco bei Strabo gefolgt waren. Wie viele von ihnen hatten überlebt? Er wünschte, er wüsste die Antwort darauf bereits, so schrecklich die vermutlich auch ausfallen würde. Die Ungewissheit war fast so schlimm wie die Befürchtung, dass allenfalls ein paar Schiffe nach Ilion gelangen würden.
»Sie sind da!«
Geary stürmte aus seiner Kabine, ohne zuvor noch einen Blick auf sein Display zu werfen. Er rannte durch die langen Korridore und kletterte Leitern nach oben, bis er schließlich keuchend auf der Brücke eintraf, wo er sich in seinen Sessel fallen ließ. Dann aktivierte er sein Display und betete insgeheim, es möge so viele Überlebende wie nur irgend möglich geben.
Zu seinem Erstaunen wurden drei Schlachtschiffe angezeigt. Die Systeme der Dauntless identifizierten sie als die Warrior , Orion und Majestic. Ein einzelner Schlachtkreuzer, die Invincible, war ebenfalls dabei, hatte aber so schwere Schäden davongetragen, dass Geary die Statusmeldung zweimal lesen musste, um sie zu glauben. Von den sechs Schweren Kreuzern hatten nur zwei überlebt. Keiner der vier Leichten Kreuzer war zu entdecken, und die neunzehn Zerstörer waren auf sieben Schiffe reduziert worden.
»Diese verdammten Idioten«, fluchte Geary leise. Ein Schlachtschiff und zwei Schlachtkreuzer hatten sie verloren, und von den insgesamt neununddreißig Schiffen, die Falco gefolgt waren, hatten es nur dreizehn nach Ilion geschafft.
Captain Desjanis Gesicht war vor Zorn kreidebleich. »Die Triumph hat es nicht geschafft. Ich muss Sie sicher nicht daran erinnern, dass es die Triumph war, die zurückblieb, um uns an einer Verfolgung der Flotte zu hindern, als sich die anderen großen Schiffe entfernten.«
»Das hat der Polaris und der Vanguard nicht viel gebracht«, fauchte Geary, der nur zu gut wusste, dass seine Stimme die Wut verriet, die er empfand. »Sehen Sie sich die Invincible an. Wie kann die sich überhaupt noch von der Stelle bewegen?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber auch die anderen Schiffe wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ich weiß nicht, ob die Titan sie überhaupt wieder so weit wiederherstellen kann, dass sie voll einsatzfähig sind.«
»Das werden wir noch herausfinden.« Schließlich tippte Geary auf seine Komm-Kontrollen. »Colonel Carabali, nehmen Sie Kontakt mit den Marine-Einheiten auf der Warrior, der Orion und der Majestic auf. Die Captains Kerestes, Numos und Faresa werden mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert und sind unverzüglich unter Arrest zu stellen. Das Gleiche gilt für Captain Falco, der sich der groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht und auf verbrecherische Weise den Verlust etlicher Schiffe der Allianz herbeigeführt hat.« Eine Anklage wegen Meuterei konnte noch warten. Wichtig war Geary zu wissen, dass Falcos Dummheit sie so viele Schiffe gekostet hatte. Er betätigte eine andere Taste. » Warrior, Orion und Majestic, hier spricht Captain Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte. Ihre befehlshabenden Offiziere sind mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Ihre jeweiligen Stellvertreter übernehmen bis auf Weiteres das Kommando.« Eine weitere Taste, und er war mit der gesamten Flotte verbunden. »An alle Einheiten, die soeben im Ilion-System eingetroffen sind: Beschleunigen Sie, so gut Sie können, und begeben Sie sich hinter die Flottenformation zu den Schnellen Hilfsschiffen und ihren Eskorten. Wir gehen davon aus, dass Sie verfolgt werden, und benötigen ein freies Schussfeld. Die Eingreiftruppe Furious wird hinter Ihnen die Operation Barrikade ausführen. Alle anderen Einheiten der Allianz-Flotte machen sich gefechtsbereit. Wir haben eine Menge Kameraden zu rächen.«
»Operation Barrikade?« Rione war auf die Brücke gekommen und schnappte nach Luft, da sie offenbar ebenfalls gerannt war. Als sie auf das Display schaute und das Ausmaß der erlittenen Verluste erkannte, wurde sie bleich.
»Operation Barrikade ist eine nette kleine Idee von Captain Duellos«, erklärte er. »Wir haben die Schiffe, die der Furious unterstellt sind, mit den meisten Minen beladen, die wir haben. Im Augenblick passieren sie den Sprungpunkt und legen ein Minenfeld, das so dicht ist, wie es uns in der wenigen uns verbleibenden Zeit möglich ist.«
Captain Desjani freute sich bereits sichtlich auf den Anblick, wenn die Syndiks mit den Minen kollidierten. »Was das Ganze so erfreulich ironisch macht, ist die Tatsache, dass wir in der Lage sind, diese Minen einzusetzen, weil die Hilfsschiffe mit den bei Sancere an Bord genommenen Rohstoffen mehr als genug Nachschub produzieren können. Die Syndiks selbst haben uns in die Lage versetzt, ihnen dieses Hindernis in den Weg zu legen.«
Auf seinem Display konnte Geary zeitverzögert mit ansehen, wie die Furious und andere Schiffe der Eingreiftruppe den Ausgang des Sprungpunkts überquerten, um die Minen abzusetzen. »Was geschieht, wenn Syndik-Schiffe in dem Moment den Sprungpunkt verlassen, während sich die Furious noch davor befindet?«
»Das Risiko besteht natürlich«, räumte Geary ein. »Auch wenn die Eingreiftruppe in Bereitschaft stand, um sofort zu beginnen, sobald unsere Schiffe eingetroffen waren, besteht natürlich die Gefahr, dass die Syndiks früher hier eintreffen, wenn die Minen noch nicht komplett ausgelegt sind. Darum habe ich Captain Cresida auch lediglich gebeten, sich freiwillig für diesen Einsatz zu melden.« Wenigstens dachte er endlich daran, ihren neuen Dienstgrad zu benutzen.
Rione warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Glauben Sie ernsthaft, Captain Cresida würde die Bitte, sich freiwillig zu melden, anders behandeln als einen direkten Befehl?«
Desjani reagierte sichtlich verärgert, während Geary versuchte, keine Miene zu verziehen. Riones Vorwurf war zutreffend genug, um ihm einen Stich zu versetzen. »Madam Co-Präsidentin, wenn ich alles vermeiden würde, was den Tod einiger meiner Untergebenen zur Folge haben kann, dann wäre ich vor Unentschlossenheit wie gelähmt, und das würde für alle meine Untergebenen entweder den Tod oder ein Syndik-Arbeitslager bedeuten.«
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