Wie hatte Togo so nachlässig sein können? Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, sich auf seine unerbittliche Effizienz zu verlassen. Genau genommen hatte sie sich zu sehr daran gewöhnt.
Aber wieso hatte Malin ihr nichts von seinem Verdacht gegen Ito anvertraut? Warum machte er eine solche öffentliche Demonstration aus Togos Versagen und seinem eigenen Können?
Vielleicht war es ihm ja genau darum gegangen.
»Wir müssen uns später wieder unterhalten«, erklärte Iceni. »Es gibt da ein paar Dinge, die ich nachprüfen muss.«
»Gut.« Drakon stand auf. »Gwen … passen Sie auf sich auf.«
»Werden Sie nicht sentimental, General«, ermahnte sie ihn. »Sonst fange ich noch an mich zu fragen, was Sie vorhaben.«
»Das wüsste ich selbst gern.«
Er hatte gerade eben Icenis Büro verlassen, als seine Komm-Einheit ungeduldig zu summen begann. »Ich muss sofort in Ihrem Büro mit Ihnen reden, General«, ließ Morgan ihn wissen.
»Um was geht es?«
»Um eine Bedrohung für Ihr Leben, eine Bedrohung in Ihrer unmittelbaren Nähe.«
»Morgan, ich will für Sie hoffen …«
»Sie wollten Beweise sehen. Ich habe sie.«
Einen Moment lang hielt er inne. »Also gut, ich bin unterwegs.«
Auf dem kurzen Weg zu seinem Hauptquartier herrschte ein einziges Durcheinander in seinem Kopf. Hatte Morgan tatsächlich irgendwelche hieb- und stichfesten Beweise gegen Malin entdeckt? Oder war jetzt schließlich doch noch der Punkt erreicht, an dem sie einfach zu weit gegangen war? Ich wünschte, ich wüsste mehr über diese ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, die ihr nach der fehlgeschlagenen Mission in den Enigma-Raum ausgestellt worden war. Es kann keinen Gönner gegeben haben, der im Hintergrund die Fäden in der Hand gehalten hat, aber es müssen stichhaltige Gründe gewesen sein, weshalb man sie wieder diensttauglich schrieb. Aber in jüngster Zeit zweifle ich immer stärker daran, ob das wirklich ein kluger Zug gewesen ist.
Morgan wartete bereits auf ihn, als er sein Büro betrat.
Da er zu sehr in Gedanken gewesen war, hatte er nichts davon mitbekommen, dass Malin ihm gefolgt war, ohne zu ahnen, was los war. Dass Malin tatsächlich nicht wusste, was kommen würde, merkte Drakon in dem Moment, da der Colonel die Tür hinter sich schloss und in ganz normalem Tonfall zu reden begann: »General, ich …«
»Endlich habe ich Sie überführt!«, brüllte Morgan ihn an. »Ich weiß jetzt, was Sie sind!«
Zu Drakons Erstaunen hatte Malin innerhalb von Sekundenbruchteilen seine Waffe gezogen und hielt mit starrer Miene den Lauf auf Morgan gerichtet.
Morgan war genauso überrascht, aber sie fasste sich sofort wieder und nahm boshaft lächelnd eine Haltung ein, die es ihr erlauben sollte, Malin mit der gleichen Brutalität zu attackieren, wie sie es zuvor schon bei anderen Widersachern gemacht hatte — jedes Mal mit tödlichem Ausgang für denjenigen.
»Schluss jetzt, Waffe runter«, herrschte Drakon die beiden an, aber Malin schien ihn gar nicht zu hören. Sein Blick war stur auf Morgan gerichtet, während er mit der Waffe auf ihr Gesicht zielte. Morgan wiederum strahlte solche Wut und Verachtung aus, dass er jeden Moment mit einer Attacke ihrerseits rechnete.
»Colonel Malin«, sagte Drakon beherrschter und in einem unüberhörbaren Befehlston. »Nehmen Sie die Waffe runter. Colonel Morgan, Sie werden Malin nicht angreifen, sobald er die Waffe sinken lässt, sonst werde ich Sie höchstpersönlich erschießen. Das schwöre ich Ihnen. Und jetzt befolgen Sie meine Befehle, sonst werden Sie beide den Tag Ihrer Geburt bereuen.«
Malin atmete einmal tief durch und blinzelte, als würde er aus einer Trance erwachen. Gleichzeitig ließ er die Hand sinken, in der er seine Waffe jetzt so hielt, als hätte er sie längst vergessen.
Morgan sah zu Drakon, erkannte beim Blick in seine Augen, wie ernst er seine Worte meinte, und nahm die Arme runter.
»Wenn so etwas nur noch ein einziges Mal passiert«, polterte Drakon los und hatte das Gefühl, einen anderen reden zu hören, »dann haben Sie die längste Zeit für mich gearbeitet. Haben Sie das verstanden? Dann fliegen Sie raus und haben in diesem Hauptquartier genauso wenig zu suchen wie an irgendeinem anderen Ort auf diesem Planeten oder in diesem Sternensystem oder irgendwo anders im Umkreis von hundert Lichtjahren. Ist das klar?«
»Jawohl, Sir«, antwortete Malin ruhig und gefasst.
»Ja, General«, sagte Morgan.
»Das Syndikat bereitet seinen nächsten Angriff auf dieses Sternensystem vor. Die können jederzeit hier eintreffen. Wir müssen uns darauf gefasst machen und uns darauf konzentrieren, und nicht auf interne Rivalitäten und ein Verhalten, das so unglaublich außer Kontrolle geraten ist, dass ich längst nicht mehr weiß, warum ich Ihnen beiden überhaupt noch eine Chance gebe. Aber eine weitere Chance werden Sie nicht bekommen. Und jetzt verschwinden Sie von hier, bevor ich Ihre Verhaftung befehle. Für die nächsten zwei Tage werden Sie beide ständig hundert Meter Abstand voneinander halten.«
Morgan schüttelte den Kopf. »General, ich bin aus einem bestimmten Grund hier, einem sehr wichtigen Grund.« Wieder schaute sie dabei Malin verächtlich an. »Colonel Malin hat einige Fragen zu beantworten, und wenn Sie das hier gelesen haben«, sie hielt eine Datenscheibe hoch, »werden Sie ihm diese Fragen stellen wollen.«
»Fragen zu welchem Thema?«, wollte Drakon wissen, der nicht die Absicht hatte, Morgan freie Hand zu lassen.
»DNS«, sagte sie. »Colonel Malins tatsächliche DNS«, fuhr sie im Tonfall eines Richters fort, der das Urteil über einen für schuldig befundenen Gefangenen sprach, »die ich kürzlich mit der Hilfe eines Samplers in meiner Hand in meinen Besitz bringen konnte, als ich ihn am Handgelenk gefasst hatte. Diese DNS passt nicht zur Referenz-DNS in der offiziellen Dienstakte von Colonel Bran Malin. Stimmt doch, nicht wahr?«, legte sie an Malin gewandt nach.
»Ist das alles?«, gab Malin zurück. »Die DNS stimmt nicht überein?«
»Das genügt schon«, fauchte sie ihn an. »Sie sind ein Betrüger, Sie geben sich lediglich für Bran Malin aus.«
Drakon hielt ihr die Hand hin. »Geben Sie mir die Scheibe, Morgan. Wenn Sie Beweise gefälscht haben …«
»Sie können jetzt und hier eine weitere DNS-Probe von ihm bekommen, General, und mit den offiziellen Unterlagen vergleichen.«
Während Drakon die Datenscheibe an sich nahm, sah er Malin an. »Haben Sie irgendetwas dazu zu sagen?«
»Ja, Sir. Und ich werde jede Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantworten. Allerdings«, er deutete mit einer Kopfbewegung auf Morgan, »bitte ich darum, dass Colonel Morgan dann nicht anwesend ist.«
»Wieso?«
»Das werden Sie verstehen, wenn ich Ihre Fragen beantwortet habe, Sir.«
»Sie haben kein Recht, irgendwelche Bedingungen zu stellen, Colonel Malin«, meldete sich Morgan erneut zu Wort. »Oder wer immer Sie in Wahrheit auch sein mögen.«
»Ruhe!« Drakon stand da und musterte seine beiden Colonels, während sich Totenstille als Reaktion auf seinen Befehl ausbreitete. Er sah Morgan und Malin an und dachte daran zurück, mit welchen Anliegen er sich in der Vergangenheit schon an sie gewandt hatte und was sie alles für ihn getan hatten. Wie viel war er ihnen in diesem Moment schuldig? »Colonel Morgan, wenn sich Ihre Informationen auf dieser Datenscheibe befinden, dann ist Ihre Anwesenheit nicht erforderlich, während ich sie mir ansehe. Daher werde ich Colonel Malins Bitte entsprechen. Wenn mich seine Antworten nicht in vollem Umfang zufriedenstellen, kann ich Sie anschließend immer noch dazuholen.«
Morgan blickte finster drein, verkniff sich aber die Bemerkung, die ihr auf der Zunge liegen musste, dann drehte sie sich zu Malin um. »Sie werden sich nicht mit irgendwelchen Lügen herauswinden können. Es wäre natürlich überhaupt nicht dazu gekommen, wenn Sie den Mut gehabt hätten, mich zu töten, bevor ich es dem General sagen konnte. Aber Sie waren ja immer schon ein kleiner feiger Wurm. Ich weiß, General Drakon kommt mit Ihnen klar, falls Sie irgendetwas versuchen sollten, und ich weiß auch, was er mit Ihnen machen wird, wenn er erst mal die Beweise gesehen hat. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise in die Hölle.«
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