Hier um die Stadt herum war das Drachenfeuer wählerisch gewesen. Östlich der Straße war eine schwarze Wüste. Der Westrand jedoch bot immer noch Anzeichen von Leben. Das Wäldchen aus schlanken, silbernen Birken oben auf dem Hügel war fast unberührt. Riedgras, mit seinen herbstlichen, rotgoldenen Kolben, hing am Straßenrand herunter. Weiße Taubnesseln hatten ihre Blüten in kleinen Ringen abgeworfen, als ob sie den Winterschnee ankündigen wollten. Hier und da zeigte sich sogar noch gelber Lein.
»Also gut«, flüsterte sie dem Schwert auf der Straße zu. »Ich bin da. Wo ist er?«
In seinen Jagdkleidern mischten sich die Farben des Schattens und die der Birken. Kelida hielt erschrocken die Luft an, als Tyorl urplötzlich unter den Bäumen hervortrat.
»Genau hier, Kelida.« Er lächelte und zeigte mit dem Daumen auf das Schwert. »Was macht das denn hier?«
Kelida atmete aus. »Wo sollte es sonst sein? Wenn du gehst, wirst du es mitnehmen wollen.«
»Er hat es dir gegeben.«
Begriffsstutziger Elf! »Ich will es nicht mehr. Ich wollte es nie. Was soll ich damit? Ich kann es nicht verkaufen, ich kann es nicht benutzen, ich kann es nicht einmal tragen! Kannst du es nicht bitte einfach nehmen, fortgehen, wohin du willst, und mich in Ruhe lassen?«
Tyorl warf einen kurzen Blick hinunter zur Straßensperre und gebot ihr zu schweigen. »Immer mit der Ruhe, Kelida. Ich gehe fort, und darüber wollte ich mit dir reden.« Er wies auf das Birkenwäldchen. »Komm hier herüber. Ich will das nicht vor der halben Drachenarmee sagen.«
Sie zögerte, entschied dann aber, zu tun, was er sagte. Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden, seine Stimme war leise und drängend. Kelida hob das Schwert auf und ließ sich in den Schatten der Bäume ziehen.
»Hör zu«, flüsterte er. »Hör gut zu. Ich weiß nicht, wo Hauk ist. Ich weiß nicht, was ihm zugestoßen ist, aber ich weiß, daß er nicht mehr in der Stadt ist.« Er machte eine Pause. »Du weißt, daß wir Waldläufer sind.«
Kelida nickte.
»Unser Anführer ist ein Mann namens Finn. Er und unsere Gruppe warten auf unsere Rückkehr. Ich kann nicht länger hierbleiben.«
»Du willst ihn einfach im Stich lassen?«
Ärger flammte in den Augen des Elfen auf. Zu spät erkannte Kelida, daß ihre Frage einer Beleidigung gleichkam.
»Nein, Kelida. Ich werde nicht aufhören zu suchen. Es liegt weites Land zwischen Langenberg und den Vorbergen. Ich werde unterwegs ständig nach Hauk Ausschau halten. Aber ich muß zu Finn zurück.« Er zeigte auf das Schwert in ihren Händen. »Bitte behalte es. Es kann sein, daß Hauk zurückkommt und nach mir und dem Schwert sucht. Sagst du ihm dann, wo ich hingegangen bin?«
»Aber – «
Tyorls Finger schlossen sich mit einem starken Griff um ihr Handgelenk. »Kelida, es wird Zeit, daß ich Langenberg verlasse. Hauk und ich haben diejenigen, die sich für uns interessierten, davon überzeugen können, daß wir Jäger sind. Wenn ich länger bleibe, wird es bestimmt jemandem auffallen, daß ich hier nicht viel gejagt habe. Als nächstes werden sie darauf kommen, daß ich ein Waldläufer bin.«
Angst kroch Kelida den Rücken hoch. Sie stellte die Frage, bevor ihr klar wurde, daß es vielleicht nicht klug wäre, die Antwort zu wissen.
»Wo willst du hin?«
Tyorl zögerte nur kurz. »Zur Südgrenze von Qualinesti. Finn hat da einen Auftrag für uns. Es tut mir leid, daß du das Schwert den ganzen Weg hier raus geschleppt hast. Ich wünschte, ich könnte es für dich zurücktragen, aber ich kann mich nicht länger aufhalten.«
»Was ist mit der Straßensperre?«
»Was soll damit sein? Finn würde mir die Haut abziehen, wenn ich nicht ein paar halbbesoffene Kröten der Drachenarmee umgehen könnte.« Er nahm ihr das Schwert aus der Hand. Kaltes Sonnenlicht glitzerte auf den Saphiren, die wie Eis glänzten. »Er hat es beim Messerwerfen gewonnen.«
»Das überrascht mich nicht.« Kelida lächelte. »Er zielt gut.«
Tyorl lachte. »Allerdings. Hebst du es für ihn auf?«
Der Wind schien kälter zu werden. Kelida dachte an die Berge im Süden von Qualinesti, wo es im Winter regnerisch und trostlos war. Dann dachte sie an Hauk und fragte sich, wo er wohl war, warum er ein so wertvolles Schwert und einen so guten Freund wie Tyorl zurückgelassen hatte.
Schließlich schoß ihr durch den Kopf, ob Hauk nicht einfach in der Nacht verschwunden war und die Waldläufer verlassen hatte. Verstohlen sah sie Tyorl an.
Nein, das würde der Elf nie in Betracht ziehen. Kelida erschauerte und nahm das Schwert. Wie sperrig es war! »Ich hebe es auf.« Sie zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn leicht auf die Wange. »Viel Glück.«
»O ja, wir werden beide etwas Glück brauchen, was?« Er lächelte. »Danke.«
Er nahm sie am Arm und ging mit ihr zur Straße zurück. Da sie mit dem Waffengurt kämpfte, merkte Kelida nicht, daß ihnen der Weg versperrt wurde, bis der Griff des Elfen fester wurde. Sie sah auf.
Drei Soldaten, ein Mensch und zwei Drakonier, standen auf dem Pfad zur Straße. Einer von ihnen grinste, wobei seine gelben, lückenhaften Zähne zum Vorschein kamen. »Ein süßer Abschied«, sagte er gedehnt. Mit einem Wimpernzucken verabschiedete er Tyorl, dann hingen seine Augen verlangend an Kelida.
Kelida drehte sich der Magen um.
Lavim Sprungzeh rannte wie ein Kaninchen, das weiß, daß es für den Hund zu schnell ist und deshalb das Tempo und die Jagd genießt. Lachend führte er die vier Drakonier mit gesenktem Kopf die eine Straße hoch, die nächste runter, durch eine Taverne und durch die Hintertür wieder raus. Seine brüllenden und fluchenden Verfolger hörten sich an wie lebendige Schrotthaufen, wenn ihre Schwerter beim Laufen gegen ihre Rüstungen knallten.
Er verdrückte sich in eine rußige Gasse. Nachdem er behende über einen Zaun gesprungen war, rief er den vieren wüste Beschimpfungen zu, als sie, behindert durch Waffen und Rüstungen, wütend versuchten, ihm hinterherzuklettern. Noch bevor der erste Drakonier herunterkam, hatte sich Lavim zwischen eine klamme Ziegelwand und ein Faß voll Abfall gequetscht. Er war kaum außer Atem.
Den ersten ließ Lavim vorbei. Es war der zweite, der ihn am meisten interessierte. Das war nämlich Givrak, und Lavim war sicher, daß er gleich vorbeikommen würde.
Als Givrak mit gezücktem Schwert, auf dem das Morgenlicht glänzte, vorbeirannte, schoß Lavims Hupak zwischen die Beine des Drakoniers und ließ ihn auf den ersten Verfolger stürzen. Der dritte, der nicht mehr anhalten konnte, stolperte über die ersten beiden, und der vierte konnte demselben Schicksal nur entgehen, indem er sich gegen die Wand auf der anderen Seite warf.
Lavim krümmte sich vor Lachen und kletterte über das Faß und die drei ineinander verstrickten Drakonier. Pfeilschnell schoß er zwischen den Beinen des vierten durch und lief auf die Straße. Er flitzte um die weiten Röcke einer Frau, duckte sich unter einem Pferd hindurch und fegte über die Straße. Hinter ihm verrieten ihm die Flüche der Drakonier, daß sie sich aufgerappelt hatten und die Verfolgung wieder aufnahmen.
Lavim kannte die Straßen und Abkürzungen von Langenberg, wie das nur einem Kender oder einem Gassenkind möglich ist. Er rannte zu einem Lagerhaus, das bei der Einnahme der Stadt halb abgebrannt war, und sammelte unterwegs Kiesel und lose Pflastersteine von der Straße auf. Soviel Spaß hatte er nicht mehr gehabt, seit er vor einer Schnee- und Steinlawine einen Berg im Khur hinuntergerannt war, immer nur zwei Meter voraus. (Die zwei Meter waren seine Schätzung. Ish, der Gnom, der damals bei ihm gewesen war, behauptete, daß es eher eine Viertelmeile gewesen war, und daß die Lawine überhaupt keine Lawine war, sondern ein kleiner Schneerutsch, und daß das alles nicht in den Bergen, sondern an einem sanft abfallenden Hügel stattgefunden hatte.)
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