Stanach lachte aus voller Brust. Gestatte einem Kender eine Frage, und du kannst dein Leben lang nicht die tausend anderen beantworten, die folgen! »He, immer langsam, Lavim Sprungzeh. Ja, ich habe viele Schwerter gemacht. Das hier war mein erstes. Die Klinge ist gut, die Balance vielleicht nicht so gut, aber ich bin daran gewöhnt. Und, ja, auch Dolche und Äxte.«
Lavim schaute wieder die Hände des Zwergs an, die jetzt um seinen leeren Krug gefaltet waren. Während manche Narben schon weiß waren, waren andere frischer. Eine – eine lange Brandwunde am rechten Daumen – sah noch ganz neu aus. Die rührte nicht von einem Lagerfeuer her.
Als hätte er seine Schmiede gestern erst verlassen, dachte Lavim. Aber Thorbardin war Hunderte von Meilen entfernt. Und trotzdem war er hier. So wie er aussah, war er ein Hylar aus dem Herrscherclan von Thorbardin. Lavim wußte, daß die ihre Berge so gern verließen wie ein Fisch das Wasser.
Langenberg war fest unter Verminaards Hand. Ember, der rote Drache des Drachenfürsten, flog täglich über die Stadt. Wer nicht während der Schlacht um die Stadt umgekommen war, konnte gerade so eben überleben. Warum sollte irgend jemand – außer ihm natürlich – nach Langenberg kommen? Lavims Neugier war wie der Funken auf Zunder.
Was würde einen Zwerg aus der Sicherheit von Thorbardin an diesen gottverlassenen Ort führen?
Es war keine Zeit mehr für Fragen. Ein Spektakel vor der Tür und schließlich ein Wutschrei brachten die Taverne zum Schweigen.
»Givrak!« Stanach ergriff den Arm des Kenders und riß ihn auf die Beine. »Schnell weg, Lavim. Er ist zurück, und wen außer dir sollte er suchen?«
Lavim zuckte nur mit den Schultern. »Vielleicht.« Seine grünen Augen tanzten vor Bosheit, als er sich setzte. »Ich kannte mal einen Drakonier, der konnte sich nie merken, wonach er gerade suchte. Das hat ihn entsetzlich geärgert, wie du dir vorstellen kannst. Nach einer Weile wurde er knallrot, auch wenn er, genau genommen, vielleicht gar kein Drakonier war – «
»Wenn du nicht abhaust, wird alles Bier, was du noch trinkst, durch dich hindurchlaufen wie durch ein Sieb, Kender. Es muß eine Hintertür im Lagerraum geben Geh jetzt, geh.«
»Aber – «
»Geh!« Stanach schubste den Kender durch den halben Wirtsraum zur Theke hin.
Lavim stolperte, fing sich und sah sich um. Wer versteht schon einen Zwerg? Eine Minute trübselig, die nächste gesellig, dann ganz plötzlich und völlig ohne Grund wie Donner und Blitz! Er machte sich zu der Tür hinter der Theke auf. Nicht aus Angst vor Givrak – Angst war ihm gänzlich fremd –, sondern weil Stanach die Sache so wichtig schien.
Zwerge, dachte er. Immer ein bißchen empfindlich. Das machen all die Jahrhunderte allein in den Bergen.
Er grinste das Schankmädchen breit an. Ein großer Elf, dessen blaue Augen vor Belustigung glänzten, ergriff Lavims Arm und zerrte ihn durch die Tür in einen Lagerraum.
»Los, Kender«, flüsterte er, »und hör erst auf zu rennen, wenn du aus der Stadt raus bist!«
Lavim wollte irgendwo hinrennen. Er wurde hinten ausschlüpfen, weil das anscheinend allen so wichtig war, aber er würde Stanach nicht vergessen. Der Kender steckte einen Spundzapfen, eine kleine Flasche Wein und verschiedene andere, interessante Dinge ein und schlüpfte gerade durch die Hintertür auf die Gasse, als Givrak durch die Vordertür hereinkam und etwas über einen ›gottverdammten, lügenhaften Kender‹ brüllte, der länger gelebt hatte, als ihm oder irgend jemand anders guttat.
Givrak, der Drakonier, war gerade intelligent genug, um Befehle auszuführen und gelegentlich eine einfache Strategie zu entwickeln. Da er heute wenig Befehle bekommen hatte, verwendete er einen beträchtlichen Teil seines beschränkten Denkvermögens auf die Frage, wie er sich an dem Kender rächen sollte, der ihm letzte Nacht einen giftigen Raunzer von Karvad eingebrockt hatte, den er aus dem Schlaf gerissen hatte.
Givrak war der Meinung, daß die Haut des Kenders sich gut an einer Stalltür machen würde.
Der Drakonier hatte zwei Einheiten Soldaten unter sich. Die weckte er frühmorgens mit dem Befehl, die drei einzigen Straßen aus der Stadt abzuriegeln und ihn dann bei der Durchsuchung von Langenberg zu begleiten. Givrak war sich sicher, daß er den Kender bis zum Einbruch der Dunkelheit finden würde.
Als er die Straßen von Langenberg durchstreifte, wurde Givraks Zorn zu bösartiger Vorfreude. Er würde sich amüsieren. Er kannte ein Dutzend Arten, einen Kender umzubringen, und selbst bei der schnellsten Methode endete das Schreien nicht vor Ablauf von zwei Tagen.
Dem kalten Morgenwind aus dem Tal gelang es nicht, die rußige Luft von Langenberg zu klären. Kelida, die aus der eigentlichen Stadt herausgegangen war, kam es so vor, als würde die graue Luft nie wieder sauber werden. Sie stolperte, zerrte an dem Schwert, das gegen ihr Bein schlug, und versuchte, den Gurt mit der Schneide bequemer um die Taille zu schlingen. Ungeduldig seufzend fragte sie sich, wie jemand so etwas Sperriges tragen und dabei noch laufen konnte.
Sie hatte versucht, es zu tragen, und fand das zu schwierig. Bei jedem Schritt war ihr das Schwert entweder aus der Scheide gerutscht oder hatte sich schmerzhaft in ihre Arme gegraben. Blödes Ding! Sie würde froh sein, wenn sie es wieder los war. An der ersten Biegung der breiten Straße blieb sie stehen und zerrte wieder an dem Gurt. Ihr Rock verzog sich an der Taille und beulte so aus, daß ihre Bluse an der Schnalle hängenblieb und zerriß.
Blödes Schwert! Sie wollte es nicht haben und würde es nicht behalten. Alles, was es ihr einbrachte, waren zerschundene Beine und zerrissene Kleider. Tyorl mußte das Ding einfach zurücknehmen. Von seinem verrückten Freund Hauk hatte sie seit der Nacht, wo er ihr das verwünschte Ding gegeben hatte, nichts mehr gesehen. Wo er auch war, an seinem verdammten Schwert war er anscheinend nicht mehr interessiert.
Oder an mir, dachte sie kläglich. Ob er das überhaupt je gewesen war? Als er ihr das Schwert geschenkt hatte, war er betrunken gewesen. Wahrscheinlich war er irgendwo herumgestreunt und ein paar Soldaten der Drachenarmee in die Arme gelaufen. Dann wünschte er sich jetzt bestimmt sein Schwert zurück!
Kelida erschauerte, teilweise von der Kälte, teilweise von dem Gedanken, daß Hauk sein Schwert vielleicht wirklich brauchte. Sie sah sich um. Hinter der Kurve führte die Straße in einem langen, steilen Weg ins Tal. Von hier konnte Kelida das Tal jedoch nicht sehen. Auch die Straßensperre von Karvads Soldaten konnte sie nicht sehen, aber sie wußte, daß sie da war. Wie an jeder der drei Straßen, die nach Langenberg hineinführten, war sie bei Tagesanbruch aufgebaut worden. Aus irgendeinem Grund hatte es geheißen, daß niemand heute Langenberg verlassen durfte. Irgendein armer Mensch war den Besatzern aufgefallen.
Kelida wollte weder den Hof sehen, in dem sie früher gelebt hatte, noch die Soldaten, die das Tal verwüstet hatten.
Der einzige, den ich sehen will, dachte sie, ist Tyorl!
Er hatte Tenny eine Nachricht hinterlassen, daß er nach ihr Ausschau hielt. Er verließ Langenberg und wollte vorher noch außerhalb der Stadt mit ihr reden. Kelida war ein bißchen traurig gewesen, als sie die Nachricht erhielt. Wenn der Elf ging, mußte das bedeuten, daß er nicht mehr damit rechnete, seinen Freund Hauk hier in Langenberg zu finden. Sie hätte zwar gern Gelegenheit gehabt, sich ein bißchen an dem jungen Mann zu rächen, aber sie hätte es auch begrüßt, seine brummige Stimme noch einmal zu hören.
Kelida schnallte das Schwert ab und ließ die Waffe in den Aschestaub auf der Straße fallen. Der Wind trug einen saftigen Fluch und schallendes Gelächter von der Straßensperre heran. Kelida würde nicht weitergehen. Sie setzte sich auf einen flachen Findling, zog die Knie an, legte ihr Kinn auf die Unterarme und starrte auf die schwarzen Felder jenseits der Straße.
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