Wilhelm Walloth - Das Schatzhaus des Königs
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Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Erster Teil
Erstes Kapitel
Die Wüste! Wie ein Leichenhemd bleicht sie im Westen. Leer, öde, wie der Tod, liegt sie dort; ihre gelblichweißen Sandkörner dürsten unter der sengenden Sonnenglut bis an den Himmel; bis dahin, wo sich sein schönes Blau in gelbroten Duft verwandelt, stößt die arme, menschenverlassene, löwenbewohnte Wüste. Dort weiter im Westen liegt die Oase Amun, wie ein verlorner Smaragd, grün, blühend, üppig. Aber im Osten blinkt der Nil durch goldene Ähren. Welcher Gegensatz. Hier Tod, da Leben. Hier Trauer, dort Freude; denn haarscharf grenzt an den Sand das Gras, unmittelbar an den Garten Ägyptens stößt die Wüste; nur so weit die Überschwemmung des Nils reicht, gedeiht das Land. Und welches Land! Dort die nackten Arbeiter auf der Pyramide, wenn sie erschöpft die Werkzeuge sinken lassen, erquicken sich oft an dem Anblick dieses Landstrichs, der sich mit seinen Auen, Ährenfeldern, Kanälen, Häfen, Tempeln und rötlichen Steingöttern vor ihnen ausbreitet; dicht an die Wellen des Flusses geschmiegt, wie der goldschimmernde Prachtmantel eines Königs. Es sind jüdische Arbeiter, verachtete Ebräer, die dort unter dem Geißelhieb ägyptischer Bauaufseher, vom Glutwind der Wüste angehaucht, im Schweiße ihres Angesichts dem König Ramses das Grabmal bauen. Der Bau naht seiner Vollendung; Stufe türmt sich auf Stufe; bis zur höchsten Spitze schwindeln die Treppen empor, dort aber soll die Kolossalstatue des Königs ihren Platz finden. Dies schwierige Werk auszuführen, ist man im Augenblick beschäftigt. Eine schiefe Ebene führt über die menschenwimmelnden Treppen empor bis zum Gipfel des Riesengrabes. Auf diesem schiefen Weg steht das Steinbildnis des Königs. Die Arme dicht am Leib, die Hände auf den Knien, starrt es mit feierlicher Ruhe die zahllosen Arbeiter an, die bemüht sind, an Walzen und Stricken das granitene Ungetüm in die Höhe zu rollen. Auf den Knien des Bildes steht ein Oberaufseher, mit den Händen den Rhythmus angebend, unter welchem die Männer zu ziehen haben; ein vor ihm stehender Gehilfe markiert den Takt durch aneinandergeschlagene Stäbe. Zur Seite wandeln Wasserträger, von welchen der vorderste den schiefen Weg übergießt, die Bahn glatt und kühl zu halten. So bewegt sich das Bild des Königs langsam seinem Bestimmungsort entgegen. Unten hält der König in eigner Person und schaut von seinem Streitwagen aus dem Werke zu. Er ist im Begriff sich mit dem kriegslustigen Volk der Chetas in einen Kampf einzulassen, aber bevor er sein Ägypten verläßt, will er sein Bild auf den Gipfel seines Grabes gehoben sehen. Des Königs Züge blicken ernst. Seine Umgebung teilt die ernste Stimmung, denn das Werk, das sie anstaunen, ist ebenso wichtig als dasjenige, das sie im Begriffe sind, zu unternehmen; beide kosten Menschenleben.
»Macht eine Pause,« befiehlt Ramses. »Laßt die Arbeiter einige Sekunden ruhen, reicht ihnen Wasser, laßt die Weiber Erfrischungen herbeitragen.«
Dies geschieht. Der Koloß wird inmitten seines Weges eingehalten, die Stricke werden befestigt, der Koloß liegt vor Anker. Auch die Peitsche der Aufseher ruht. Aller Augen ruhen auf dem König, der wortkarg sein Bild mustert, wie es dort verderbenbringend zwischen Himmel und Erde schwebt. Verderbenbringend! Denn das geringste Versehen, ein falscher Zug, ein falscher Takt kann das Steingewicht der Statue zermalmend herabschleudern, Tausenden den Tod bringend. Und welch unglückliche Vorbedeutung, wenn das Bild des Königs herniedersänke von seinem Sitz? Alle Zuschauer, selbst die arbeitenden Ebräer sind sich der Wichtigkeit des Moments bewußt; sie sprechen wenig, Winke und Andeutungen ersetzen jetzt die Worte. Überall Schweigen der Erwartung, nur auf einer der obersten Stufen hat sich ein lebhafter Wortwechsel entsponnen. Dort liegt ein alter, weißhaariger Jude, schweißtriefend auf den glühenden Steinen der Treppe, neben ihm kniet ein jüngerer Mann von dunkler Gesichtsfarbe und scheublickenden Augen, die verstohlen unter den Wimpern hervorblitzen.
»Vater,« flüstert die Stimme des jungen Mannes, »erhebe dich, der Aufseher bemerkt deine Ermattung. Du weißt, wir dürfen nicht ermüden, selbst das Alter nicht.«
»Mein Sohn Isaak –,« mehr vermag die trockne Zunge des Alten nicht hervorzustottern. Der Sohn reicht ihm einen Wasserkrug und netzt die welken Lippen des Vaters. Lächelnd streicht der Ermattete nun über die Hand des Jüngeren, in seinem Auge glüht Dankbarkeit.
»Nun aber raffe dich auf, Vater,« flüstert Isaak aufs neue, »willst du die Peitsche des elenden Ägypters kosten? Mache nicht, daß der Sohn sehen muß, wie der Rücken des Vaters blutet. Oh! mir kocht der Zorn im Herzen, wenn ich dich mißhandelt sehe.«
»Laß mich hier liegen, bekümmere dich nicht um mich, mein Sohn,« erwidert ihm der Erschöpfte. »Verbeiße deinen Grimm zwischen den Lippen, dein Zorn kann mir nichts helfen, du erschwerst nur dadurch unser Elend. Mich werden sie bald zum Leichnam gepeitscht haben, aber dir, Isaak, wird die Pflicht, dich zu schonen. Was soll deine Schwester Rebekka beginnen ohne dich? Tue, was dir die Vögte sagen, widersprich ihnen nicht – gib mir die Hand darauf, Isaak, daß du geduldig die Beschimpfungen tragen, dich nicht widersetzen willst, bis sich der Herr dein Gott, gelobt sei er, vielleicht später über dich erbarmt.«
Unwillig reichte der Jüngling dem Vater die Hand. Trotz lagerte sich in seinen Zügen, als aber der Vater bittend zu ihm empor sah, versuchte er zu lächeln.
»Nun sind es vierzig Jahre, daß ich den Ägyptern die Steine zu ihren Bauten fahre,« murmelte der alte Jude. »Wann wird Jehova, gelobt sei er, das Leiden seinem Kinder enden und es genug sein lassen der Qual? O armes Volk der Ebräer! Deine Weiber gebären Sklaven, deine Männer erziehen gekrümmte Nacken. Dein Blut dient den stolzen Unterdrückern zum Mörtel, deine Kraft baut ihnen unsterbliche Monumente, Aussatz und Verdummung erniedrigen dich, dein Stamm ist ein Rudel Hunde geworden. Wie waren wir angesehen, als Abraham einzog in dies Land und der Vater Josephs seine Herde weidete im Lande Gosen! Gott unserer Väter, hast du keine Helden mehr, die dein Volk erlösen?«
Bis hierher hatte der Alte vor sich hin gesprochen, als das Signal zum Weiterziehen des Kolosses ertönte. Die Aufseher riefen, ihre Peitsche klatschen lassend. Die Volksmasse erhob sich von den Stufen, um nach dem Seile zu greifen. Da bemerkte einer der Aufseher, ein nackter, wildaussehender Ägypter, wie der alte Jude das Seil, an welchem er zu ziehen hatte, kraftlos sinken ließ, der Sohn jedoch das entfallende hastig verstohlen aufhob, um zu seiner Last noch die des müden Vaters zu fügen. Rasch sprang Set der Aufseher hinzu. Ergrimmt packte er den Alten an der Gurgel und schrie ihm zu, augenblicklich selbst zu ziehen.
»Herr, habt Erbarmen,« wimmerte der Hilflose, »ihr mutet alten Knochen zu, was kaum junge vermögen. Ich kann nicht weiter ziehen, meinen schwachen Händen entsinkt das Seil.«
»Das werden wir sehen,« höhnte der Ägypter, den zu Boden Gesunkenen aufreißend, »und du ziehst, alte Mumie, so lange als dein Odem es aushält, in deinem elenden, aussätzigen Leib. Nimm das Seil zur Hand.«
Nochmals versuchte der Greis das Seil festzuhalten, vergebens, es glitt zu Boden. Zähnefletschend schwang der Aufseher die Peitsche, denn schon begann der Koloß sich unter der Anstrengung von tausend Armen zu bewegen. Aber noch ehe der Riemen der Geißel niedersauste, sprang Isaak zwischen den Vater und den Aufseher, so daß er mit seinem Rücken die dem Hingesunkenen geltenden Hiebe auffing.
»Willst du dich widersetzen, elendes Judengesicht,« rief nun der Wütende, dem bleichen, zitternden Isaak entgegen. Schon hatte er den jungen Ebräer am Arm ergriffen, um in grausamer Lust seine Rache an ihm zu befriedigen, als ihm ein lautes, vom Streitwagen des Königs hertönendes Rufen den Arm sinken machte.
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