Wilhelm Walloth - Das Schatzhaus des Königs

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»Ist es mir doch, als sei ich in das Labyrinth geraten und könne nie mehr den Ausweg finden,« murmelte er vor sich hin. Es schien ihm gefährlich, in einem der Häuser anzufragen, wo er sich befinde; einen Vorübergehenden hatte er bis jetzt noch nicht wahrgenommen, denn die Nacht war allmählich weit vorgerückt; es war ihm, als müsse er die Nacht in diesem Gewinkel statt in seinem Bette zubringen. Bald wandte er sich rechts, bald links, bald ging er die Gasse hinab, dann wieder herauf; schließlich wirbelte ihm der Kopf; dieses Kriechen durch endlose Schneckengänge brachte in seinem Hirn ein schwindelndes Gefühl hervor; alle seine Gedanken begannen sich im Kreise zu bewegen; die Häuser mit ihren Fenstern tanzten vor seinen Augen; er mußte sich erschöpft an den Pfosten einer Türe lehnen, um zu überlegen, ob er hier bis zum Morgengrauen warten solle. Kaum hatte sich sein ermüdeter Geist erholt, seine Verwirrung sich gelegt, als ein leiser Pfiff ganz in seiner Nähe ihm das Herz rascher schlagen machte. Gleich darauf wurden in der nächsten Gasse schlürfende Schritte laut. Sollte man ihn belauscht haben? Sollte man ihn verfolgen? Seine aufgeregte Phantasie begann zu schwärmen; was brachten ihm die nächsten Sekunden? Gespannt lauschte er auf das näherkommende Geschlürfe, das von den behutsam auftretenden Füßen mehrerer Männer herzurühren schien. Nun hielten die Schritte inne; dicht neben ihm, da, wo das Haus in die andere Gasse einbog, wurde geflüstert. Noch konnte er die Flüsternden nicht sehen, aber ihre Worte verstand er.

»Er ist ein Ägypter,« begann es neben ihm, »er ist vornehmer Leute Kind, laßt ihn unbehelligt weiterziehen; man wird uns verfolgen, tun wir ihm ein Leids.«

»Wenn er vornehmer Leute Kind ist,« hörte der Lauschende eine andere Stimme, die ihm sogleich als diejenige des phönizischen Matrosen auffiel, mit welchem er vor ein paar Stunden gestritten, »wenn er vornehmer Leute Kind ist, überlaßt ihn mir. Unser Schiff segelt morgen nach Äthiopien; wenn wir ihn im untersten Kajütenraum unterbringen, wird kein Gott von seinem Vorhandensein Kunde nehmen. Ihr sollt reichlich dafür belohnt werden, ihr Juden, und wir werden, wenn wir ihn in Äthiopien zum Sklaven machen, ebenfalls unseren Vorteil daraus ziehen.«

Menes erhob sich leise von seinem Stein, um der Gefahr, die bereits über ihm schwebte, zu entfliehen, denn an ein Verteidigen des Waffenlosen war bei solcher Übermacht nicht zu denken. Er hörte, wie seine Feinde leise miteinander stritten, augenscheinlich berieten sie die Art ihres Überfalls. Menes fühlte zum erstenmal in seinem Leben, daß der Mensch des Menschen ewiger Feind ist. Das Gefühl von Beklemmung machte in seiner Brust einer tiefen Entrüstung Platz; fast schämte er sich, daß er den Rückzug ergreifen mußte; er ballte die Fäuste, und wer ihm in diesem Augenblick ein Schwert in die Hände gedrückt, er hätte ihm verziehen, und wäre es sein Todfeind gewesen.

»Wenn es den Schurken gelingt, mich zu knebeln,« sagte er sich selbst, »bin ich verloren; sie führen aus, was sie beschlossen. Ich muß mich im Schatten der Häuser davonschleichen.«

Er hatte bereits den ersten Schritt getan, als er hinter sich ein Geräusch vernahm; gleich darauf fühlte er, wie sich ein Netz über sein Haupt senkte, welches man eifrigst bemüht war, ihm um den ganzen Körper zu schlingen. Eine gewandte Armbewegung befreite ihn von dieser Umschlingung.

»Tretet aus dem Dunkel, ihr Schurken,« rief er zurück, den schwarzen Gestalten entgegen, die sich um die Straßenecke drückten, »ich sage euch, es wird euch schlecht zustatten kommen, wenn ihr mit mir verfahrt, wie ihr beschloßt. Morgen bin ich zum Mittagsmahl bei dem Nomarchen von Memphis geladen, dem mächtigen Metro, welchen Ramses an seiner Stelle zurückließ; glaubt mir, sobald man mich bei diesem Mahle vermißt, bietet mein mächtiger Freund alle seine Bewaffneten auf, mich aus euren schmachvollen Schlingen zu erlösen.«

Diese rasch ersonnene Kriegslist verfehlte ihre Wirkung nicht gänzlich, die Gestalten flüsterten angelegentlich; sie schienen zu wanken. Vor Entrüstung und Aufregung zitternd, stand ihnen der verlassene Jüngling gegenüber, wohl fühlend, daß sein Leben unter einer Herde Panther weniger bedroht wäre, als unter diesen Habgierigen.

»Ist es dein Wille, großer Osiris,« hauchte er, »soll meine Laufbahn enden, eh' sie begonnen? Oh! als ich heute morgen erfrischt, glücklich in dein strahlendes Angesicht sah, großer Sonnengott, da lächeltest du mir gnädig zu und verbargst mir, welches Unheil mir der Gott der Nacht jetzt bereitet. Weh mir! wie trügerisch sind die Götter!«

Er tat ein paar Schritte, aber sofort war er von vier Gegnern umringt, die ihm jedes Entnommen unmöglich machten.

»Warum besucht Ihr den Stadtteil der Ebräer?« knirschte ihm die schneidende Stimme eines kleinen, schwarzen, adlernasigen Mannes entgegen, »was suchst du in diesen Gassen?«

»Ich verirrte mich vom rechten Wege,« sagte Menes trotzig.

»Glaubt ihm nicht, Freunde,« lachte der andere. »Er ist ein ägyptischer Spion, er will uns arme Ebräer belauschen, um uns bei Gericht zu verklagen.«

»Er stellt, wie alle, unseren Töchtern und Weibern nach,« beteuerte sein Nachbar, »tötet den Verführer.«

»Was hat er überhaupt in dieser Nachtzeit in unserem Viertel zu tun?«

»Er ist einer unserer Unterdrücker, den Gott – gelobt sei er – in unsere Gewalt gab!«

»Mache dich bereit,« hörte der Bedrängte den phönizischen Matrosen flüstern, »in die Gefilde der Seligen zu wandern. Sein Halskragen ist mit Perlen durchwirkt, goldene Schnallen zieren seine Sandalen, an seiner Hand sehe ich einen Smaragden glänzen. Wenn wir ihn in den Fluß werfen, wer ahnt etwas von seinem Dasein.«

Der Jüngling sah, wie der Matrose einen blitzenden Stahl aus seinem Gürtel löste. Die Genossen des Blutgierigen wechselten bedeutungsvolle Blicke.

»Gib mir das Messer,« keuchte der kleine Jude, »ich stoße es ihm von hinten in den Nacken.«

Das Messer ging in die Hände des Juden über, der sich anschickte, sich wie eine Katze zwischen die Hauswand und Menes zu schieben. Der junge Mann, der diese Bewegung bemerkte, drückte sich nun, um sich wenigstens den Rücken zu decken, fest in die verschlossene Türe des Hauses. So stand er bebend, zu allem bereit, starr in die gierig leuchtenden Augen des sich ihm nähernden Ebräers blickend. In dieser Lage verharren, das sah er ein, hieße, dem sichern Tod entgegengehen. Er faßte deshalb den verzweifelten Entschluß, über den Juden herzufallen, um sodann eiligst das Weite zu suchen. Näher, immer näher drängte sich der Ebräer. Schon fühlte Menes deutlich seine heißen Atemzüge; es war ihm, als müsse er die Türe, an die er sich lehnte, mit dem Rücken eindrücken, oder als könne er mit einem gewaltigen Satz über die Köpfe seiner Angreifer hinwegfliegen. Eben erhob der Jude sein Messer, als ihm Menes, ohne recht zu wissen, was er tat, einen furchtbaren Faustschlag auf den Mund versetzte. Mit blutenden Lippen, stöhnend, taumelte der Getroffene zu Boden. Seine Genossen unterdrückten einen Schrei der Wut und Menes sah ein, daß es jetzt um ihn geschehen sei; denn der Matrose bückte sich fluchend nach dem entfallenen Messer, während die übrigen zurücktraten, um sich durch einen Anlauf für den Überfall vorzubereiten. Schon machte sich der Jüngling, fest den Rücken an das Haustor stemmend, bereit, sein Leben wenigstens bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen; schon hatte er die zitternden Fäuste zu wuchtigem Schlage erhoben, um die Zurückgetretenen zu empfangen, da kam es ihm vor, als gäbe die Türe, an welcher sein Rücken Schutz und Stütze fand, leise seinem Drucke nach. Noch hielten seine Angreifer mit ihrem Sturm zurück, noch war Rettung möglich. Ja! es war keine Täuschung – Menes ließ den Arm erstaunt sinken – die Türe erknarrte fast unhörbar in ihren Angeln, ein Riegel rollte leise zurück, eine kleine, weiße Hand schlüpfte aus dem kaum drei Zoll breiten Spalt, faßte unseren hilfsbedürftigen Freund am Kleide und zog ihn zwischen den Pfosten und die geöffnete Türe.

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