Wilhelm Walloth - Das Schatzhaus des Königs

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Tränen der Wut und Scham perlten über Isaaks Wangen.

»Armes Volk, armer Vater,« flüsterte er. »Oh! wann kommt die Stunde der Rache, wann werden wir als Menschen behandelt werden?«

Er schleppte sich mühsam noch einige hundert Schritte weiter, schon sah man die Tempeldächer von Memphis gelbrötlich herüberleuchten, dann aber machte er, um sich, wie dem Alten, die nötigste Erholung zu gönnen, am Rande eines palmenumstandenen Brunnens halt. Das Haupt des Vaters hatte er sorgsam im Schatten auf schwellendes Moos gebettet; jetzt suchte er nach einem frischen Trunk für die zuckenden Lippen des Greises, da gewahrte er ein Tongefäß auf der Steineinfassung der Zisterne. Eben wollte er die Stirne des Vaters mit dem Inhalt des Gefäßes kühlen, als aus dem kleinen Palmenhain, der den Brunnen nach der östlichen Seite hin umgab, schreiend eine ägyptische Dienerin trat.

»Ein Jude! Willst du mein Gefäß unberührt lassen, du Aussätziger,« zeterte das Weib und riß es dem Jüngling aus den Händen.

»Hab' Erbarmen mit einem Sterbenden,« wollte der junge Ebräer einwenden, aber das Weib ließ nicht nach zu toben. Sie betrachtete das Gefäß von allen Seiten, wusch es an der Stelle, wo Isaaks Hände es berührt, unter fortwährendem Schmähen. Isaaks Inneres empörte sich.

»Gönne mir einen Tropfen Wasser, du Unbarmherzige, mein Vater ist dem Sterben nahe, ein Tropfen könnte ihn retten, er und ich sind keine Tiere. Auch wir haben ein Recht, zu leben.«

»Es wäre am besten,« keifte sie, »man ließ euch alle verdursten, ihr Fremdlinge, die ihr uns den fruchtbarsten Landstrich wegnahmt. Unser nun zu Osiris eingegangener König hat euch verwöhnt; wir aber wollen euch beweisen, daß ihr kein Recht habt, den Nil mit eurem Schmutz zu trüben.«

»Warum,« entgegnete der Arme mit zitternder Stimme, »behandelst du uns Hilflose so geringschätzig, die wir dir nichts zuleid getan? Gib mir Wasser!«

»Da nimm!« höhnte das Weib und spie dem Flehenden vor die Füße.

Länger vermochte sich Isaak nicht zu beherrschen. Ein Sprung, ein Schlag und das Tongefäß lag zerschmettert am sandigen Boden. Schreiend jagte die Ägypterin davon. Der Brunnen war in dieser Jahreszeit fast ausgetrocknet; der Ebräer versuchte deshalb, das Wasser, das noch in den Scherben des zerbrochenen Gefäßes haftete, seinem Vater auf die Lippen zu träufeln. Kaum hatte er es so weit gebracht, daß der Ohnmächtige matt die Augen aufzuschlagen vermochte, um sie sofort unter leisem Wimmern wieder zu schließen, als allmählich näherkommender Hufschlag sein Herz in Schrecken setzte, Häscher möchten ihn verfolgen. Er sprang auf. Richtig, ein Zug nahte dem Brunnen, einige Sänften voraneilend. Erwartungsvoll beobachtet unser Freund den Zug. Schon dachte er daran, rasch mit seiner Bürde davonzueilen; allmählich bei schärferem Hinblicken jedoch schien es ihm, als wenn die Herankommenden nicht an Verfolgung dachten. Er beschloß, ruhig den Verlauf der Dinge abzuwarten. Bald entdeckte er, daß er umsonst Befürchtungen gehegt; die Männer näherten sich friedlich dem Brunnen, in ihren Sänften lagen einige durch den Sturz des Kolosses getroffene ägyptische Aufseher, die sie nach Memphis zu tragen den Befehl hatten. Der Anführer des Zuges wendete sich an Isaak.

»Noch viele Verwundete warten auf unsere Hilfe,« begann er, »wir dürfen nicht rasten; unter den Trümmermassen liegt noch mancher Brave verborgen, der des Ausgrabens mit Verzweiflung harrt. Wir vertrauen deinem Schutz einstweilen diese drei Männer an, bis wir hierher zurückkehren. Überwache die Unglücklichen, es sind Aufseher, alle drei dem Tode nahe!«

Man setzte die Sänften im Schatten der Palmen zu Boden. Isaak, des Gehorsams gewöhnt, nickte stumm vor sich hin; die Ägypter kehrten zur Pyramide zurück, bald machte sie gelb aufwirbelnder Sand unsichtbar. Gleichgültig schweiften die Augen des Ebräers über die drei Sänften – es waren ja ägyptische Aufseher, die dort mit dem Tode rangen, es waren ja seine Peiniger, seine Feinde – sollte er Mitleid mit ihnen fühlen? Sie waren ja nun kraftlos, die Geißel konnten sie nicht mehr schwingen, keine Befehle mehr geben! Alle lagen sie regungslos, wie Leichen unter dem grünen Baldachin der Palmen, Blutflecken auf den Gewändern, die Mienen ausdruckslos nach den Blättern gerichtet, die Augen glanzlos. Zuweilen huschte ein schmerzhafter Zug über eines der Gesichter. Isaak sah, wie sich eine große Fliege, deren Stich äußerst schmerzhaft, dem einen der Aufseher auf die Stirne setzte, um das Blut seiner Wunde, welches unter der Binde hervorquoll, zu schlürfen; der Hilflose versuchte das Tier zu verscheuchen; sein Stich verursachte ihm, wie es schien, unnennbare Qual. Der Jude aber sah teilnahmlos zu, wie sich der Elende abmühte. Dem anderen war der Verband von dem Arme gesunken, sein tropfendes Blut rötete das Gras; der Ebräer tat, als bemerke er nichts davon. Nun arbeitete sich der dritte Verwundete unter einer Last von Binden und Kissen hervor, schlug die geröteten Augen auf und stammelte ermattet: »Wasser!«

Isaak sah gleichmütig zu ihm hinüber; da verwandelten sich seine bis dahin starren Züge. In seinem Auge leuchtete eine dämonische Lust, er lachte dem keuchend sich Abmühenden höhnisch zu.

»Wasser,« lallte dieser noch einmal.

Isaak sprang auf.

»Du bist's,« rief er hinüber. »Du! Set! der meinen Vater schlug! Gott gab dich in meine Hände! O wie gütig ist Gott! Sieh her, elender Ägypter, hier liegt der, den du schlugst – erkennst du uns?«

»Isaak,« hauchte Set, »reiche mir Wasser, ich werde dir's vergelten. Mein Kopf brennt, mein Eingeweide steht in Flammen, hab' Erbarmen.«

»Erbarmen? Hattest du Erbarmen mit mir und meinem Vater?«

»Ich befehle es dir, reiche mir Wasser!«

»Befiehl so lange du willst und sieh zu, wer dir gehorcht.«

Isaak wandte sich ab. Einige Minuten verstrichen lautlos. Endlich streckte der Aufseher noch einmal seine Arme aus.

»Verzeihe mir, Isaak,« wimmerte er, »es ist wahr, ich bin euch ein strenger Herr gewesen, doch es soll besser werden. Ich verspreche es dir. Ich bin nun machtlos in deine Hände gegeben, wirst du deine Gewalt mißbrauchen? Bedenke, daß man dich zur Rechenschaft ziehen wird, tust du mir Übles.«

»Was kümmert's mich,« murmelte der Ebräer, »kann ich nur meinen Rachedurst für diesen Augenblick befriedigen, später mögen sie mit mir anfangen, was sie wollen. Ich reiche dir kein Wasser. Leide Qual, wie wir sie litten.«

Der Ägypter sank stöhnend zurück. Isaak war im Begriff, den Körper seines Vaters von neuem auf die Schultern zu laden, als ihn der Anblick des verschmachtenden Set zum Mitleid zu bewegen schien. Er schritt zum Brunnen, sammelte mühsam die letzten Wasserreste des zerbrochenen Gefäßes in einer Scherbe und hielt sie dem Ägypter vor die brennenden Lippen. Dieser erhob sich.

»Beim großen Osiris,« sagte er, »ich will dir's lohnen, wenn ich genese! Du handelst schön an mir, Jude.«

Eben beugte er seine lechzenden Lippen nach der feuchten Scherbe, als der Ebräer ein heiseres Gelächter hören ließ und, statt ihn trinken zu lassen, die Scherbe in den Sand schleuderte. Darauf überließ er den Sterbenden seinem Schicksal und wendete sich mit seiner lebendigen Last auf dem Rücken Memphis zu. Bald hatte er das Tor erreicht. Da lag es vor ihm, das gewaltige Memphis! Wie ein riesiges Gebirge von Türmen, Dächern und Hallen wölbte es sich in den Himmel, der sich erschrocken in sich selbst zu flüchten schien, befürchtend, dieser wogende Häuser-Ozean dränge bis in seine sonnigen Geheimnisse hinauf und belästige die ewigen Götter. Das war sie, die Stadt der Pyramiden, die Stadt des Apis mit ihren Göttern und Tempeln, ihrem Hafen, ihren stolzen Straßen! Er aber, der arme Jude, schlich sich furchtsam an den Posten vorbei, dem engen Schmutzviertel seines verachteten Stammes zu.

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