Er näherte sich dem schwarzen Skelett des Hauses von der anderen Straßenseite. Das Lachen einer Spottdrossel – oder eines Kenders – kam keckernd von oben.
Stanach sah gerade rechtzeitig hinauf, um Zeuge zu werden, wie ein Drakonier wild zappelnd aus dem offenen Obergeschoß des Lagerhauses stürzte. Die Kreatur breitete ihre nutzlosen, von einem Dolch zerfetzten Lederflügel aus und schrie. Wenn er tiefer gefallen wäre, hätte Stanach den Wind durch diese Risse pfeifen hören können. So aber hörte er nur den Aufschlag, als der Drakonier auf den Boden knallte, das kratzige Knacken der Schuppen und Knochen auf dem Pflaster. Und Lavims spöttisches Keckern.
Stanach überquerte mit gezogenem Schwert die Straße und drehte den Drakonier mit dem Fuß um. Es war Givrak.
Stanach erschauerte. Noch während er den Drakonier erkannte, wurde Givraks Leichnam zu Stein. Klopfenden Herzens wich Stanach vor dem Ding zurück. Er hatte Geschichten davon gehört, was mit den Körpern toter Drakonier passierte, hatte bisher jedoch nur die Hälfte davon geglaubt.
Lavim lehnte sich über den Rand des Gebäudes. »Stanach! Schön, dich wiederzusehen! Ist er tot? Er hat die Löcher in seinen Flügeln vergessen. Kleinigkeiten, sagte mein Vater immer, werden früher oder später sehr wichtig und – Holla! Stanach! Paß auf!«
Givraks drei Kumpane, die den Schrei ihres Hauptmanns gehört hatten, kamen gegenüber von Stanach aus der Tür gestürmt. Ohne innezuhalten, sprangen sie über ihren toten Anführer, dessen steinerne Leiche jetzt zu Staub zerfiel, und griffen den Zwerg an.
Bei einem guten Waffenschmied wie Stanach endete das Wissen über seine Waffe nicht bei ihrer Herstellung. Er war kein Krieger, hatte nicht die instinktiven Reaktionen eines Kämpfers. Aber er kannte seine Waffe von Grund auf, und eine Klinge in seiner Hand war etwas Tödliches. Dem ersten Angreifer hackte er den Schwertarm ab und ließ ihn heulend auf den Knien auf der Straße sitzen. Ihm fiel auf, daß die Wesen bei einer Verwundung nicht zu Stein wurden.
Stanach verschwendete keine Zeit damit, darüber nachzudenken. Er trieb die anderen beiden mit dem Rücken gegen das Lagerhaus, wobei sein Schwert wie ein silberner Blitz die Luft durchschnitt. Er führte die Klinge mit beiden Händen, als wäre sie eine Axt. Jede Bewegung seiner Gegner wurde von singendem Stahl abgeblockt. Da er um einige Handspannen kleiner war als seine Angreifer, stand Stanach automatisch unter ihrer Deckung und nutzte diesen Vorteil sooft wie möglich aus. Einer der Drakonier stolperte, und während er versuchte, sich zu fangen, erhob Stanach sein Schwert zum Schlag.
Als Stanach sich mit hoch erhobenem Schwert eine Blöße gab, sprang der zweite Drakonier von links heran und hätte den Zwerg sauber aufgeschlitzt, hätte ihn nicht ein faustgroßer Stein hart am ungeschützten Halsansatz getroffen und wie einen Schlachtochsen gefällt.
»Stanach! Paß auf, daß dein Schwert nicht in ihnen stecken bleibt! Der Körper wird die Klinge einschließen, bis sie zu – hinter dir! Duck dich!«
Stanach gehorchte, und eine Klinge pfiff einen Fingerbreit über seinem Kopf durch die Luft. Wieder flog ein Stein, traf jedoch daneben. Stanach kam auf die Beine und drehte sich noch rechtzeitig um, um den Stoß eines Drakonierschwerts mit seinem eigenen abzufangen. Der Drakonier zischte. Mit gefletschten Zähnen, tropfendem Maul und zuckender, roter Zunge warf er sein ganzes Gewicht auf Stanach.
Stanachs Klinge wich zurück. Ihr rasiermesserscharfer Rand war nur noch einen Fingerbreit von seinem Hals entfernt. Der Schwertgriff rutschte ihm aus der schweißnassen Hand. Sein Angreifer hatte den Vorteil der Größe auf seiner Seite und drückte Stanachs Klinge mit seiner eigenen mit voller Kraft herunter. Doch er würde erst nachgeben, wenn ihm die Muskeln von den Knochen rissen. Grimmig straffte Stanach seinen Rücken für einen letzten Stoß.
Von oben kam ein wildes Gekecker, Lavims Lachen. Wieder kam ein gezieltes, mörderisches Geschoß geflogen und traf Stanachs Gegner ins Auge.
Der nächste ging daneben. Eine scharfe Steinkante erwischte Stanach am rechten Ellbogen und betäubte seinen Arm bis zum Handgelenk. Ihm fiel das Schwert aus der nutzlosen Hand.
Während sein Herz ihm schmerzhaft bis zum Hals klopfte, warf sich Stanach herum, kniete sich aufs Pflaster und tastete nach seiner Waffe. Er war davon überzeugt, daß er den tödlichen Stahl zwischen seinen Schultern spüren würde, bevor er es erwischt hatte. In einem Atemzug verfluchte er die mangelnde Treffsicherheit des Kenders und hauchte ein Gebet zu Reorx. Im gleichen Moment rief Lavim eine hastige Entschuldigung und schmiß einen weiteren Stein von oben.
Der Drakonier geriet unter dem einsetzenden Steinhagel ins Taumeln. Lavim juchzte. »Auf ihn, Stanach! Nein! Da kommen noch mehr! Schnell fort, Stanach! Hau ab!«
Stiefel mit Stahlsohlen rannten donnernd über das Pflaster. Vier weitere Drakonier bogen am oberen Ende der Straße um die Ecke. Stanach ergriff mit der Linken das Schwert, rappelte sich auf und winkte Lavim.
»Runter mit dir, Kender!«
Das hätte Lavim gern getan, aber er wußte nicht, wie. Flügel, dachte er, Kender brauchen wirklich Flügel! Er kroch auf den Zugbalken hinaus und klammerte sich mit beiden Händen an. Dann ließ er sich lang hinunterbaumeln, warf einen Blick auf Stanach da unten und schrie: »Fang!«
Stanach konnte den Fall des Kenders nur bremsen. Sie stürzten auf einen Haufen von Armen und Beinen zusammen. Knie und Rücken prallten auf die Steine. Stanach zerrte Lavim auf die Beine, wobei er hoffte, daß die meisten Knochen des Kenders noch heil waren. Mit Lavim an der Hand, rannte Stanach schneller als je zuvor.
Tyorl stellte sich vor Kelida.
Die Augen des Soldaten verengten sich. Seine Finger schlossen sich um das Heft seines Schwerts.
»Genau«, sagte der Soldat, während seine Finger unentwegt auf das Heft klopften. »Ein süßer Abschied. Du wolltest doch nicht etwa verschwinden, Elf?«
Der Drakonier stieß ein kurzes, scharfes Lachen aus. »Ich glaube, das wollte er, Harig. Was du gesehen hast, war bestimmt der Abschiedskuß der Kleinen.«
Tyorls Hand sehnte sich nach einem Schwert. Kelida sah mit vor Angst geweiteten Augen auf. Ihr Atem ging schnell vor Furcht, und der Puls an ihrem Hals raste.
»Ich wette, sie wird den Elf schnell vergessen, wenn er tot ist, Harig. Glaubst du, du wirst mit ihm fertig?«
»Mit dem Elf?« Harig schnaubte. »Meine Klinge hat schon früher Elfenblut gekostet. Sie ist zwar dünn und alt, aber es wird schon gehen.«
Tyorl ergriff Kelidas Schulter und schob sie beiseite, während er sich Hauks Schwert schnappte. Gleichzeitig zog auch Harig sein Schwert. Die beiden Drakonier hielten sich zurück. Keiner versuchte sich einzumischen, aber ihre Augen waren rot und hungrig.
Harig fletschte grinsend seine lückenhaften, gelben Zähne. »Was meinst du, Elf? Ist sie ein bißchen Blut wert?«
Der Wind frischte auf und pfiff über den Rand des Hügels. Der verbrannte Gestank des Todes stieg aus dem Tal hoch. Am Heft von Hauks Schwert blitzten und tanzten die Saphire einen Juwelentanz zum unhörbaren Lied des Lichtes.
Tyorl nahm eine lockere Haltung ein und hob sein Schwert, als wäre er nicht der Verteidiger, sondern der Angreifer. »All euer Blut«, sagte er mit einer so kalten, leisen Stimme, wie sie nur Elfen haben, »würde nicht einmal einen Teil ihres Wertes ausmachen.«
Tyorl sah in Harigs verhangenen, braunen Augen, daß er zuschlagen wollte. Hauks Schwert fuhr hoch und stieß fest zu. Beide Soldaten heulten auf, und Kelida schrie. Harig war tot, bevor er auch nur zucken konnte.
Tyorl reagierte schnell. Er griff nach Kelidas Handgelenk und zog sie zu sich hin. Wieder hob er herausfordernd die Klinge, diesmal in Richtung auf die beiden übrigen Wachen. »Ihr könnt genauso sterben, wenn ihr wollt.«
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