Oder war es sein eigenes Murmeln, sein eigenes Geflüster?
Licht explodierte in der Finsternis, das Schatten die Wände hochlaufen ließ und feurige Pfeile in seine Augen schoß. Hauk brüllte vor Schmerz. Er konnte weder den Kopf wegdrehen noch die Augen schließen. Das Licht wurde abgeblendet.
Hinter Hauks schmerzenden Augen brannte das feuerumrahmte Bild eines Zwerges, der mit hoch erhobener Laterne bei seinen Füßen auf dem Boden kauerte.
»Wer…?« stöhnte er. Es kam keine Antwort, sondern ein kurzes Luftholen und das leise Huschen von Füßen in Stiefeln, die über Stein liefen.
»Wer bist du!« Ein Schluchzen. Ein langes, gequältes Stöhnen. Stille. Hauk war wieder allein in der Einöde.
Der kalte Wind verfolgte sie bis direkt an den Waldrand und ließ erst nach, als sie unter das Dach der Bäume getreten waren. Stanach zitterte, als sich der kühle Schauer des Aberglaubens seinen Rücken entlangschlich. Nie hätte er gedacht, daß er je nach Qualinesti kommen würde, und es half nichts, daß er erst eine Viertel-Tagesreise in den Elfenwald eingedrungen war. Ob am Rand des Waldes oder in seinem Herzen, Stanach war sicher, daß der Ort sich überall gleich anfühlen würde: bewacht, behütet, beschützt.
Sein Leben lang hatte Stanach Geschichten von Reisenden gehört, die nach Qualinesti gewandert waren. Diese Geschichten wurden nie von den Reisenden selbst erzählt. Niemand, der den Elfenwald ungebeten betreten hatte, war je wieder herausgekommen. Wenn es nicht um Sturmklinge und sein Gelübde gegangen wäre, hätte Stanach sich am Rand des Waldes verabschiedet und sich lieber den Drakoniern gestellt. Aber er hatte seinem Lehnsherrn beim Namen des Schwertes geschworen, es zurückzubringen.
Er, Lavim und Kelida hatten nach Tyorl den Wald betreten. Der Elf hinkte und kam nur langsam voran, aber keiner widersprach ihm, als er ihnen versicherte, daß kein Drakonier ihnen ins sagenhafte Qualinesti folgen würde.
Auch wenn er keinen Widerspruch einlegte, war Stanach keinesfalls glücklich darüber, daß sie im Wald in Richtung Westen liefen, während Pfeifer in den Hügeln im Südosten auf ihn wartete. Vor zwei Tagen hatte er den Zauberer in den Hügeln südlich von Langenberg seinem Schicksal überlassen. War Pfeifer seinen Verfolgern entkommen? Vier gegen einen, das konnte böse enden!
Trotzdem, dachte er, als er sich durch dorniges Unterholz arbeitete, wir hatten keine Wahl. Einer von uns mußte nach Langenberg. Einer mußte das Schwert finden.
Stanachs Herz wurde schwer. Schlingpflanzen wanden sich um abgebrochene Äste. Dichtes Unterholz bedeckte den Boden, als hätte man ihm befohlen, den Pfad zu verdecken. Er folgte Sturmklinge blindlings in den Elfenwald und kam sich vor wie ein Eindringling.
Aber einer hatte das Schwert finden müssen, einer mußte beweisen, daß Kyan Rotaxt nicht umsonst gestorben war. Er würde Sturmklinge folgen, einen Weg finden, es zu bekommen, und darauf vertrauen, daß Pfeifer am Treffpunkt wartete.
Kelida hatte Sturmklinge getragen, seit sie in den Wald gekommen waren. Tyorl hatte ihr angeboten, es zu nehmen, doch sie hatte abgelehnt. Stanach wußte nicht, warum sie darauf bestand, das Schwert zu schleppen. Die Klinge schlug ihr bei fast jedem Schritt gegen das Bein. Große Blutergüsse waren die unangenehme Folge.
Der Zwerg fragte sich, wie sie zu dem Schwert gekommen war. Letzten Endes war es gleichgültig, wie Kelida es erworben hatte; jetzt ging es nur darum, daß er einen Weg fand, es zurück nach Thorbardin zu bringen.
Er wußte nicht, wie er das machen sollte. Zwar war es wahr, daß er keine Skrupel hätte, Sturmklinge zu stehlen, aber es war auch so, daß er nicht das Risiko eingehen würde, in Qualinesti einen Elfen zu bestehlen. Stanach wußte nicht, wie das Mädchen und der Elf zueinander standen, aber ihm war klar, daß es egal war, ob er Kelida oder Tyorl bestahl.
Der Elf war verwundet, aber längst nicht so schwer, daß er nicht den Dieb einer so kostbaren Waffe durch einen Wald verfolgen konnte, den er von Kindheit an kannte, während er Stanach völlig fremd war. Welchen Fluchtweg Stanach auch mit Sturmklinge einschlug, er konnte nur damit enden, daß ein Pfeil seinen Hals durchbohrte und Sturmklinge wieder verloren war.
Nein, dachte er grimmig, laß es doch das Mädchen noch ein Weilchen tragen, bis ich mich entschieden habe, was ich machen werde.
Darum folgte Stanach Tyorl, obwohl er in dem sonnenlosen Wald vor Kälte zitterte. Er war zu nahe dran gewesen, um zuzusehen, wie Sturmklinge im tiefen, dunklen Elfenwald verschwand.
Lavim, der neben Tyorl entlangtrottete, schaute auf. Seine grünen Augen glitzerten: »Nicht besonders viele Geister, was?«
Tyorl lächelte nachsichtig. »Hast du Geister erwartet, Kenderchen?«
»Und Phantome und Schreckgespenster, obwohl ich glaube, daß das wahrscheinlich alles dasselbe ist. Man hört alle möglichen Geschichten über die Gegend hier. Das ist doch irgendwie komisch, findest du nicht? Ich meine, sie sagen, daß es keinen Weg mehr hinaus gibt, wenn man erst mal drin ist, und dann erzählen sie diese ganzen Geschichten über Wesen ohne Herz, ohne Seele, vielleicht sogar ohne Kopf! Wie können sie das wissen – «
»Lavim, halt den Mund«, warnte Stanach. Als Lavim sich umdrehte und Stanachs finstere Miene sah, klappte sein Mund tatsächlich zu.
Kelida, die während ihrer ganzen Flucht aus Langenberg geschwiegen hatte, hielt trotz der sperrigen Last von Sturmklinge mit den anderen Schritt. Sie sagte nichts, aber die Schatten zogen wie Alpträume über ihr weißes Gesicht. Stanach fing ihren Ellbogen ab und stützte sie.
»Nun sag schon, Tyorl«, grummelte er, »spukt es hier wirklich, oder willst du uns bloß Angst einjagen?«
Tyorl hielt an und drehte sich um. Seine Augen blinzelten schläfrig. »Hier spukt es nicht mehr als anderswo auf Krynn.«
Mit einem Achselzucken in Kelidas Richtung wich Lavim vom Pfad ab. Er fragte sich, was Kelida Kummer machte, und hoffte, er würde sich später noch daran erinnern, sie zu fragen. Auf jeden Fall war das hier der Elfenwald, und mit etwas Glück – auch wenn Tyorls Antwort ausweichend gewesen war – würde es hier spuken. Lavim erforschte das Dickicht und die tiefen, schwarzen Schatten und überlegte, welche Gestalt der Spuk wohl annehmen würde. Aus der Sicht des Kenders ging es allmählich wieder bergauf.
Sie wanderten noch eine Stunde, bis der rote Mond untergegangen war und der silberne nur ein matter, geisterhafter Schein hinter tiefhängenden Wolken war. Dann machte Tyorl an einem Eichenhang endlich halt. Als Lavim sich freiwillig für die erste Wache meldete, hatte keiner etwas dagegen.
Tyorl humpelte zum Fluß, um die Schnitte in seinem Gesicht und die lange Fleischwunde an seiner Schulter auszuwaschen. Stanach sammelte Holz und machte das Lagerfeuer an. Lavim hatte bei seiner Erkundung Jagdglück und kehrte mit zwei prächtigen Fasanen zurück. Kelida schlief ein, bevor die Vögel gerupft waren.
Der kalte, feuchte Wind tanzte mit den Flammen und brachte die kahlen Zweige darüber zum Knacken und Knarren. Stanach stocherte im Feuer herum, während er den zunehmend bewölkten Himmel betrachtete.
»Es wird noch vor Tagesanbruch regnen«, sagte er. Tyorl stimmte zu. Eine Eule glitt tief, gerade außerhalb des Feuerscheins, als flügelschlagender Schatten vorbei. Jenseits des Flusses bellte ein Fuchs. Neben einer kleinen Birkengruppe lief Lavim als Wache auf und ab. Weder Stanach noch Tyorl erwarteten, daß der Kender lange auf seinem Posten bleiben würde, und beide hielten sich in unausgesprochenem Einverständnis wach.
Tyorl lehnte mit dem Rücken an einem Baumstumpf und streckte seine Beine neben dem Feuer aus. Mit vollem Bauch hatte er sich in geradezu friedlicher Stimmung am warmen Feuer niedergelassen. Mit einem faulen, wissenden Lächeln sah er Stanach an, während er mit dem Daumen an seinem Kinn entlangfuhr.
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