Mit gezogenen Schwertern nahmen ihn die Soldaten in die Mitte. Sie zischten, was Tyorl an Schlangen erinnerte, die zuschlagen wollten. Als sie auf ihn eindrangen, betete er zu lange vernachlässigten Göttern, daß sein Prahlen Wirklichkeit würde.
Stanach und Lavim kamen gut voran. Die verfolgenden Drakonier allerdings auch. Der Kender hatte seinen Kopf nach unten gebeugt, und seine kleinen Beine rannten aus Leibeskräften. Drei Lederbeutel und zwei Stoffsäckchen an seinem Gürtel hüpften wild auf und ab, während er lief. Jetzt keuchte Lavim wie ein alter Blasebalg und verschwendete keine Luft mehr zum Lachen, auch wenn Stanach immer noch Gelächter in seinen leuchtenden, grünen Augen sah. Lavim rannte aus reiner Freude über das wütende Fluchen der Drakonier.
Als einer ihrer Verfolger in einer schlammigen Pfütze ausrutschte und zwei der anderen über ihn fielen und entsetzliche Flüche über die Straße schrien, wurde Lavim langsamer. Er wollte sehen, wie sie zappelten und sich aufrappelten. Stanach ergriff den Arm des Kenders und zerrte Lavim geduckt hinter sich her in eine Seitengasse. Lavim sprang über zerbrochene Fässer, die nach saurem Wein stanken. Stanach konnte das nicht und kam erst aus dem Matsch hoch, als die Drakonier brüllend in die Gasse stürmten. Stanach rannte.
Sein Herz pochte in seiner Brust. Seine Beine wurden schwer wie Blei, und das Stechen in seiner Seite drohte ihn bei jedem Schritt umzuwerfen.
Als sie sich der letzten Kehre näherten, bevor die Straße aus der Stadt führte, um ihren steilen Abstieg ins Tal zu beginnen, schrie eine Frau entsetzt und schrill auf. Weder der Zwerg noch der Kender konnten bremsen, selbst wenn sie gewollt hätten. Sie waren an der Biegung, bevor die Echos des Schreis im Tal verklungen waren. Lavim hielt Stanach am Arm fest, brachte ihn zum Stehen und zeigte geradeaus.
Stanach fluchte. Der Elf, den er den ganzen Morgen gesucht hatte, kämpfte gegen zwei Soldaten der Drachenarmee um sein Leben. Von seiner rechten Schulter und vom Gesicht lief Blut. Auf der Straße klaubte das Mädchen aus der Taverne Steine auf. Alles was sie fand, warf sie auf die Drakonier. Obwohl sie gut zielte, waren ihre Geschosse dem Elf keine Hilfe, weil sie harmlos von der Rüstung ihrer Gegner abprallten. Was machte sie überhaupt bei dem Elf?
Mit dem Rücken zum felsigen Rand des Grats schwang der Elf beidhändig und recht gekonnt sein Schwert. Aber Lavim wußte, daß Können nicht gegen Überzahl und einen Klippenrand half. Der Elf konnte sich unmöglich gegen die beiden Drakonier behaupten. Wenn er nicht danebentreten und über den Rand stürzen würde, würde ihn eine Drakonierklinge töten.
In der Überzeugung, daß jeder, der gegen Drakonier kämpfte, nur ein Freund sein konnte, stieß Lavim einen begeisterten Schlachtruf aus und warf sich im Hechtsprung auf einen der Angreifer des bedrängten Elfen. Soldat und Kender fielen zu Boden.
Stanach ging vorsichtiger und überlegter vor. Im Gegensatz zu Lavim hatte er seine Verfolger nicht vergessen. Jeden Moment würden vier weitere Drakonier um die Ecke biegen. Ein Kender, ein Mädchen, ein blutender Elf und ein ausgelaugter Zwerg würden kaum etwas gegen sechs von Karvads Leuten ausrichten können. Zwei tote Drakonier hingegen, die auf der Straße zu Staub zerfielen, würden die anderen vier vielleicht lange genug aufhalten, um ihnen eine gewisse Chance zur Flucht zu geben.
In diesem Moment wünschte sich Stanach nichts sehnlicher, als weit weg von Langenberg zu sein. Er duckte sich unter dem Arm des Drakoniers durch und stieß tödlich nach oben zu. Er zog sein Schwert genau in dem Moment zurück, als der Elf auf die Knie sank und seine Klinge klirrend auf den Boden fiel.
Stanach wollte ihm das Schwert zurückgeben, doch der Elf war schneller. Da erst sah er es, und für einen langen Augenblick verschlug es ihm den Atem.
Feuriges Licht zog sich durch das Blut auf dem Stahl.
Großer Reorx, dachte er benommen. Das ist es! Sturmklinge!
Dann war Tyorl aufgesprungen und Sturmklinge fort, hoch erhoben in der Hand des Elfen und außer Reichweite von Stanach.
Auf der Straße hatte Lavim dem Madchen einen Stein aus der Hand gerissen und damit fest auf den Schädel seines Gegners geschlagen. Knochen knackten, der Soldat schrie, und Lavim schlug sicherheitshalber noch einmal zu.
Der Elf war außer Atem. Stanach sah ihn zweifelnd an. Er blutete aus einer Schulterwunde, seine Augen waren trübe, fast leer. Wenn du hier stirbst, dachte Stanach kalt, dann habe ich, wonach ich gesucht habe, Freund, und ich werde dir dafür dankbar sein. Oh, ich werde dir wahrlich dankbar sein!
Der Elf fiel nicht. Er hob das Kinn, wischte sich das Blut vom Gesicht und sah Stanach mit großer Willensanstrengung direkt an: »Ich bin in Ordnung.«
Stanach schnaubte. »Aber kannst du auch laufen?« Der Elf zuckte kaum. »Laufen? Wenn ich muß.« Stanach zeigte zurück zur Stadt. Wie befürchtet, kamen die vier Drakonier um die Ecke. »Du mußt«, sagte er finster. Genau, dachte er, du mußt. Du und Sturmklinge, ihr müßt mit mir laufen, mein Freund. Sie rannten los.
Es gab kein Licht. Es hatte keins gegeben, seit ihm bewußt war, daß er an diesem Ort war. Hauk hatte keine Ahnung, wie lange das her war. Er war weder gefesselt noch angekettet, aber er konnte sich nicht bewegen. Er lag auf feuchtem Stein, und die Kälte sickerte in ihn ein und umfing seine Knochen wie Schüttelfrost.
Es kam ihm so vor, als ob ihm noch nie warm gewesen wäre. Alle seine Erinnerungen drehten sich um einen Schrecken, der durch Mark und Bein ging, um das Sterben – und um eine endlos wiederholte Frage.
Wo ist das Schwert mit den Saphiren?
Er war zweimal gestorben, seit er hier gelandet war. Sein erster Tod war schnell und schmerzhaft gewesen, mit kaltem Stahl im Bauch. Das Blut war aus ihm herausgeströmt. Beim zweiten Mal hatte er in der ewigen Dunkelheit gelegen und gespürt, wie der Tod näher kam. Er hatte gespürt, wie er sich unaufhaltsam wie ein Jäger heranpirschte, hatte ihn kommen gehört wie ein Sommergewitter, das durch ein Tal rollt. Obwohl er nicht gefesselt war, hatte er sich nicht bewegen können. Er hatte im Dunkeln gelegen und auf das Nahen des Todes gelauscht. Stumm hatte er zu jedem Gott gebetet, der vielleicht zuhören würde. Dennoch kam der Tod. Mit Schritten wie Donner, einer Stimme wie einer Totenklage, die seinen Namen rief.
Zwischen den beiden Toden schwebte die eine Frage: Wo ist das Schwert mit den Saphiren?
Hauk antwortete nicht. Er erlaubte sich nicht einmal, die Antwort zu denken oder sich an das Schwert oder das Schankmädchen zu erinnern, dem er es gegeben hatte. Wer ihn zweimal töten konnte, konnte auch das Leuchten in den grünen Augen des Mädchens ausblasen, wie ein Mann, der eine Kerze löscht.
Wer ihn zweimal töten konnte, konnte ihr Herz nur mit seinem Willen durchbohren. Wie ein Dolch, der silbern durch den dicken, blauen Rauch einer Taverne zischte.
Warum jemand das Schwert mit den Saphiren so dringend brauchte, wußte er nicht.
Darum lebte er in einer Einöde aus Warten und Schrecken. Er wußte nicht, wann er schlief oder wann er wach war. Die Dunkelheit verursachte ihm Alpträume, und die gleichen bösen Träume, die ihn im Schlaf plagten, verfolgten ihn im Wachzustand.
Doch jetzt, mitten in der Einöde, wurde Hauk langsam bewußt, daß er nicht allein war. Die Luft fühlte sich plötzlich anders an. Es war nur eine Ahnung, daß sich jemand in der Nähe bewegte.
Da atmete jemand in der Finsternis. Kurze Atemzüge hallten um ihn herum wider, und er erkannte, daß er an einem Ort mit Wänden war. Eine Stimme murmelte vor sich hin. Angst beschlich Hauk und nistete sich kalt und schwer in seinem Herzen ein.
Das war nicht die gnadenlose Stimme, die nach dem Schwert gefragt hatte. Jene Stimme war hart und scharf wie Stahl gewesen. Diese hier war anders: dünner, gebrochener.
Читать дальше