»Ja«, bestätigte der kleine Mann. »Ich glaube, er schielte auch ein wenig.«
»Der Zauberspruch – das ist die einzige Erklärung«, ächzte Rincewind.
»Er versucht, mich ganz zu übernehmen. Ein freches Bürschchen, ha! Er weiß, was geschehen wird, und anscheinend will er, daß wir nach Ankh-Morpork zurückkehren.« Rasch fügte er hinzu: »Was auch meinem Wunsch entspricht. Kannst du uns dorthin bringen?«
»Die große Stadt am Ankh? Ein Labyrinth aus Straßen und Gassen, die wie Jauchegruben stinken?«
»Ankh-Morpork kann auf eine lange und höchst ruhmreiche Geschichte zurückblicken«, sagte Rincewind steif und fühlte sich in seinem Hei-matstolz verletzt.
»Mir gegenüber hast du etwas anderes behauptet«, warf Zweiblum ein.
»›Es ist die einzige Stadt, die mit einem dekadenten Niedergang begann.‹
So lauteten deine Worte.«
Rincewind wirkte verlegen. »Ja, nun, äh, aber ich bin dort zu Hause, verstehst du?«
»Nein«, erwiderte der Ladeninhaber. »Eigentlich nicht. Ich sage immer: Man ist dort zu Hause, wo man seinen Hut aufhängt.«
»Ich glaube, da irrst du dich.« Zweiblum strahlte. Er freute sich immer über eine Gelegenheit, andere Menschen an seiner Weisheit teilhaben zu lassen. »Das Ding, an dem man Hüte aufhängt, heißt Hutständer. Der Begriff Heimat…«
»Ich sol te jetzt besser die Vorbereitungen für eure Rückkehr treffen«, sagte der Ladeninhaber hastig, als sich Bethan näherte. Geduckt eilte er an ihr vorbei.
Zweiblum folgte ihm.
Die Einrichtung des Raums auf der anderen Seite des Vorhangs bestand aus einem schmalen Bett, einem Ofen, der dringend gereinigt werden mußte, und einem dreibeinigen Tisch. Der Ladeninhaber strich kurz über die hölzerne Oberfläche, und daraufhin erklang ein Geräusch, das der Tourist mit einem Korken verglich, der langsam aus einem dünnen Flaschenhals rutschte. Von einem Augenblick zum anderen enthielt die Kammer ein von Wand zu Wand reichendes Universum.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte der Winzling, als Sterne über sie hinwegglitten.
»Habe ich auch nicht«, entgegnete Zweiblum. Seine Augen funkelten begeistert.
»Oh«, machte der Ladeninhaber enttäuscht. »Wie dem auch sei: Es ist natürlich nicht echt, nur ein vom Geschäft projiziertes Trugbild.«
»Kannst du jeden beliebigen Ort aufsuchen?«
»Nein, nein!« antwortete der kleine Mann zutiefst schockiert. »Weißt du, es gibt viele integrierte Sicherheitssysteme. Hätte ja auch keinen Sinn, irgendeine Stadt mit zu geringem Pro-Kopf-Einkommen aufzusuchen.
Außerdem ist eine geeignete Mauer notwendig. Ah, hier ist ja deine Welt!
Ziemlich scheibenförmig, würde ich sagen. Um nicht zu sagen: geradezu rund und platt. Und recht klein noch dazu. Eine winzige Insel im Ozean der Raumzeit. Eine Oase in der Wüste der Unendlichkeit. Eine…«
Zweiblum seufzte.
Der Raum mit seiner samtenen Schwärze, in der Myriaden Sterne wie Diamantenstaub funkeln. Oder wie sehr weit entfernte große Kugeln aus explodierendem Wasserstoff, wie manche Leute behaupten würden. Was jedoch weiter keine Rol e spielt: Die meisten Menschen zucken in dieser Hinsicht ohnehin nur mit den Schultern.
Ein Schatten schluckt das Gleißen und Glitzern, ein Schemen, der noch dunkler ist als der Raum.
Aus dieser Perspektive gesehen, wirkt er auch wesentlich größer, denn der Kosmos ist nicht an sich riesig, bietet nur Platz genug, um gewaltig zu sein. Planeten sind groß, aber das sah der Schöpfungsplan vor, und niemand mit den richtigen Ausmaßen kann für sich in Anspruch nehmen, nur deshalb besonders klug oder gewitzt zu sein.
Das Etwas jedoch, das einen beachtlichen Teil des Himmels zu fressen scheint, ist kein Planet.
Statt dessen handelt es sich um eine Schildkröte, vom pockennarbigen Kopf bis zum horngepanzerten Schwanz zehntausend Meilen lang.
Man kann Groß-A'Tuin mit Fug und Recht als kolossal bezeichnen.
Kilometerbreite paddelförmige Füße heben und senken sich in einem träge anmutenden beständigen Rhythmus und pressen das Gefüge der Raumzeit in seltsame Formen. Die Scheibenwelt gleitet wie eine majestä-
tische Barkasse dahin. Deutlich ist zu beobachten, daß Groß-A'Tuin Mühe hat, denn sie verläßt nun die freie Weite des Universums und kämpft gegen den zunehmenden Druck der solaren Untiefen an. Hier, an der Küste des Lichts, schwächt sich die Magie ab. Wenn die Scheibenwelt einige Wochen lang in diesem Bereich bleibt, wird sie durch die Zwänge der Realität Zauber und Thaumaturgie verlieren.
Groß-A'Tuin weiß das, aber sie erinnert sich auch daran, den be-schwerlichen Weg schon einmal beschritten zu haben, vor vielen tausend Jahren.
Das Licht des Zwergsterns spiegelt sich rot in den Augen der Sternenschildkröte wider, aber ihr Blick ist nicht etwa auf das Strahlen gerichtet, sondern auf einen kleinen Raumabschnitt in der Nähe…
»Ja, aber wo sind wir?« fragte Zweiblum. Der Ladeninhaber beugte sich über den Tisch und brummte etwas Unverständliches.
»Falls du damit irgendeinen Ort meinst, muß ich passen«, erwiderte er schließlich. »Wir befinden uns vielmehr in einer kontangentialen Inkon-gruenz. Glaube ich wenigstens. Aber viel eicht irre ich mich. Wie dem auch sei: Der Laden weiß immer, was er tut.«
»Im Gegensatz zu dir?«
»Nun, ich gehe ihm hier und dort zur Hand, sozusagen, gewisserma-
ßen.« Der kleine Mann putzte sich die Nase. »Manchmal lande ich auf einer Welt, deren Bewohner solche Dinge verstehen.« Er sah Zweiblum aus kleinen traurigen Augen an. »Du scheinst recht nett und freundlich zu sein, Herr. Ja, du bist genau der Mann, zu dem man Vertrauen haben kann. Und daher zögere ich nicht, dir reinen Wein einzuschenken.«
»Weißen oder roten?« fragte Zweiblum und leckte sich die Lippen.
»Ich meine: Es ist doch kein Leben, sich dauernd um den Laden kümmern zu müssen. Ach, ich komme niemals zur Ruhe, bin ständig unterwegs, habe immer geöffnet.«
»Warum gehst du nicht einfach in Pension?«
»Oh, das ist es ja gerade, Herr! Ich kann nicht. Ich bin verflucht, weißt du. Eine schreckliche Sache.« Er hielt sich ein fleckiges Tuch vor die Nase und blies erneut. Es klang, als räuspere sich ein Büffel.
»Dazu verflucht, dieses Geschäft zu führen?«
»Für immer und ewig, Herr. Jahrhunderte! Und ich darf nie schließen!
Nun, irgendwann kam ein Zauberer herein. Und ich ließ mich zu einem gräßlichen Frevel hinreißen.«
»Hast du ihm die Zigarettenstummel gestohlen?«
»Schlimmer, viel schlimmer! Nun, ich weiß nicht mehr genau, was er wol te, aber als er danach fragte, da… da gab ich eins jener Geräusche von mir, die normalerweise von einer, äh, anderen Körperöffnung verursacht werden.«
Zweiblum schnitt eine finstere Miene. Aber da er im Grunde seines Wesens gut und wohlwol end war, entschied er, dem Ladeninhaber zu verzeihen.
»Ich verstehe«, brummte er leise. »Trotzdem…«
»Das ist noch nicht alles!«
»Oh!«
»Ich meinte, für solche Dinge gebe es längst keinen Markt mehr.«
»Das hast du nach dem… Geräusch gesagt?«
»Ja. Wahrscheinlich habe ich auch gelächelt.«
»Lieber Himmel! Ich hoffe, du warst nicht so dumm, den Zauberer einen Narren zu nennen.«
»Äh, vielleicht doch.«
»Hm.«
»Es geht noch weiter!«
»Tatsächlich?«
»Ja. Ich sagte ihm, ich könne den Gegenstand bestel en. Und ich schlug ihm vor, am nächsten Tag wiederzukommen.«
»Das hört sich gar nicht so schlecht an«, erwiderte Zweiblum. Er ge-hörte zu den wenigen Leuten im Multiversum, die Geschäfte aufsuchten, um etwas zu bestel en – und keine Einwände erhoben, sowohl ziemlich große Vorschüsse zu zahlen als auch für die angeblichen Auslagen des Inhabers aufzukommen.
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