Knubbelkinn wich langsam zurück. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß ihn das verdammte Ding tatsächlich ansah.
»Na schön«, brummte Cohen. »Ich weiß, daß es zwischen uns beiden einige Differenzen gibt, aber wir versuchen beide, unsere Freunde wie-derzufinden, nicht wahr?«
»Weißt du, ich…«, begann Knubbelkinn, bevor er bemerkte, daß Cohens Worte nicht etwa ihm, sondern der Kiste galten.
»Sag mir, wohin sie verschwunden sind.«
Der Zwerg hob verblüfft die Brauen, als die Truhe Dutzende von kleinen Füßen ausfuhr, einen Anlauf nahm und die nächste Wand durchbrach. Tonziegel platzten krachend auseinander, und Mörtelstaub wal te.
Cohen sah durchs Loch, und sein Blick fiel in einen kleinen schmuddeligen Lagerraum. Der Koffer hockte in der Mitte des Zimmers und drehte sich verwundert um die eigene Achse.
»Bedienung!« rief Zweiblum.
»Ist hier jemand?« fragte Bethan.
»Arrgh!« machte der ohnmächtige Rincewind.
»Ich glaube, er sol te irgendwo Platz nehmen und ein Glas Wasser trinken«, meinte der Tourist. »Oder warme Milch. Wenn’s hier welche gibt.«
»Bis wir sie in diesem Durcheinander gefunden haben, ist er bestimmt schon verdurstet«, meinte Bethan.
Lange Regale zogen sich an den Wänden entlang und bogen sich unter dem Gewicht gestapelter Waren. Was dort keinen Platz fand, hing in dicken Bündeln von der dunklen Decke herab. Überal auf dem Boden lagen Säcke und Kisten.
Sie vernahmen nicht das geringste Geräusch von draußen. Bethan sah sich um und stellte sofort fest, warum es so still blieb.
»Ich habe noch nie zuvor so viele interessante Dinge auf einem Haufen gesehen«, hauchte Zweiblum bewundernd.
»Hier scheint alles auf Lager zu sein«, bestätigte Bethan. »Mit einer Ausnahme.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe den Eindruck, daß man dringend Ausgänge nachbestel en muß.«
Zweiblum drehte sich um. Wo sich zuvor Türen und Fenster befunden hatten, fiel sein Blick jetzt auf große Pappkartons und hölzerne Verschläge. Und sie erweckten nicht den Anschein, als seien sie gerade erst geliefert worden.
Der Tourist führte Rincewind zu einem wackligen Stuhl am Tresen und wandte sich dann den Regalen zu. Das Angebot war breit gefächert, reichte von Nägeln und Haarbürsten über ausgetrocknete bröselige Seife bis hin zu Einmachgläsern mit wasserlöslichem Badesalz. Einige daran befestigte und längst vergilbte Zettel priesen sie in kühner Herausforderung der Realität als ›Ideale Geschenke‹ an. Zweiblum bemerkte ziemlich viel Staub.
Bethan stand an der gegenüberliegenden Wand, lachte und deutete auf einen ganz bestimmten Gegenstand.
»Was ist das denn?« prustete sie.
Zweiblum trat an ihre Seite und betrachtete ein… Nun, das Objekt sah aus wie eine Miniatur-Berghütte, deren Dach aus kleinen Muscheln bestand und die schnörkelige Aufschrift trug: ›Ein Besonderes Souvenir‹.
Natürlich ließ es sich aufklappen, wobei eine leise Melodie erklang. Zauberer wären sicher sofort auf die Idee gekommen, ihre Zigaretten und Stummel im Innern des Hüttenkästchens unterzubringen.
»Hast du jemals so etwas gesehen?« fragte Bethan.
Zweiblum schüttelte den Kopf und staunte mit offenem Mund.
»He, ist alles in Ordnung mit dir?«
»Was für ein wunderbares Artefakt folkloristischer Handwerkskunst!« entfuhr es ihm.
Über ihnen surrte etwas. Sie blickten nach oben.
Eine große schwarze Kugel senkte sich von der finsteren Decke herab.
Rote Funken blitzen auf, als sich der Bal zu drehen begann und sie aus einem dicken Glasauge musterte. Die kristallene Pupille glühte düster und schien keinen Gefal en daran zu finden, was sie weiter unten sah.
»Hallo!« sagte Zweiblum.
Hinter dem Tresen kam ein Kopf zum Vorschein. Der Gesichtsausdruck wirkte nicht sehr freundlich.
»Ich hoffe, ihr wol tet dafür bezahlen«, sagte der Ladeninhaber. Sein Tonfal deutete darauf hin, daß er eine bestätigende Antwort erwartete – und nicht bereit war, ihr zu glauben.
»Hierfür?« meinte Bethan. »Himmel, das Ding würde ich nicht einmal geschenkt nehmen, wenn du mir eine Handvol Rubine als Zugabe anbö-
test…«
»Ich kaufe es«, warf Zweiblum ein. »Wieviel?« Er griff in die Tasche, zögerte und seufzte niedergeschlagen.
»Leider habe ich derzeit kein Geld dabei«, fügte er kleinlaut hinzu. »Es befindet sich in meinem Koffer, aber…«
Ein abfälliges Schnaufen unterbrach ihn. Der Kopf verschwand wieder hinter dem Tresen und tauchte einige Sekunden später neben einem Gestell mit Haarbürsten auf.
Er gehörte einem recht kleinen Mann, der eine viel zu große grüne Schürze trug. Er schien sehr verärgert zu sein.
»Kein Geld?« zischte er. »Ihr kommt in meinen Laden, obwohl…«
»Wir hatten gar nicht die Absicht, dich zu stören«, warf Zweiblum rasch ein. »Ich meine: Zuerst war dein Geschäft überhaupt nicht da…«
»In der Tat«, pflichtete ihm Bethan bei. »Es erschien einfach, von einem Augenblick zum anderen. Es ist magisch, stimmt’s?«
Der winzige Mann zögerte.
»Ja«, gab er widerstrebend zu. »Ein bißchen.«
»Ein bißchen?« wiederholte Bethan. »Ein bißchen magisch?«
»Nun, viel eicht auch ein wenig mehr«, räumte der Ladeninhaber ein und wich zurück. »Na schön«, seufzte er, als er weiterhin Bethans durchdringenden Blick auf sich ruhen fühlte. »Es ist magisch. Durch und durch. Kann’s leider nicht ändern. Hat sich die Tür schon wieder in Luft aufgelöst?«
»Wenn’s nur das wäre«, erwiderte Bethan und deutete auf die feste Steinwand hinter den Regalen. »Und außerdem: Das Ding da oben gefäl t uns überhaupt nicht.«
Der Ladeninhaber sah auf und runzelte die Stirn, bevor er sich durch einen schmalen Spalt zwischen mehreren großen Säcken schob. Kurz darauf ertönte ein verhaltenes Rasseln, gefolgt vom Kratzen und Knirschen und Mahlen rostiger Zahnräder – die schwarze Kugel verschmolz wieder mit den dunklen Schatten unter der Decke. Folgende Gegenstän-de nahmen ihre Stel e ein: einige Kräuterbündel, ein Mobile, das für irgendeinen seltsamen Schlaftrunk warb, eine Rüstung und ein ausgestopftes Krokodil, dessen Augen erstaunlich lebendig blickten und sowohl Schmerz als auch Überraschung zum Ausdruck brachten.
Dann kehrte der Ladeninhaber zurück.
»Ist es so besser?« fragte er.
»Ein wenig«, erwiderte Zweiblum skeptisch. »Zumindest die Kräuter scheinen harmlos zu sein.«
Er wandte den Kopf, als Rincewind stöhnte. Der Zauberer kam langsam wieder zu sich.
Es wurden drei unterschiedliche Theorien entwickelt, um das Phänomen der wandernden Läden zu erklären, jener Art von Geschäften, die man in akademischen Kreisen tabernae vagantes nennt.
Die erste postuliert, daß vor vielen Jahrtausenden irgendwo im Multiversum ein Volk lebte, dessen Tätigkeit sich darauf beschränkte, Waren billig einzukaufen und mit erheblichem Profit zu veräußern. Schon bald herrschte es über ein großes galaktisches Reich, das man ›Emporium‹ nannte. Die fortschrittlichsten Vertreter dieser Spezies fanden eine Möglichkeit, ihre Geschäfte mit einzigartigen Antriebssystemen auszustatten, was sie in die Lage versetzte, die dunklen Mauern des Raumes zu durch-stoßen und riesige neue Märkte zu erschließen. Irgendwann verbrannten die Welten des Emporiums im Hitzetod ihres separaten Universums (nach einer letzten trotzigen Auktion, bei der es in erster Linie um Feuer, Flammen und Glut ging – mit anderen Worten: um außerordentlich lei-stungsfähige Heizanlagen), zogen sich die Handelsherrn mitsamt ihren Reichtümern ins Jenseits zurück, wo sie die enttäuschende Erfahrung machen mußten, daß Tote kein regelmäßiges Einkommen beziehen und Investitionen in Supermärkten und Großhandelszentren so wenig profi-tabel waren wie Spekulationen mit Wertpapieren kurz vor einem Bör-senkrach. Die Sternenläden hingegen setzten ihre immerwährende Reise fort, fraßen sich so durch die Seiten der Raumzeit wie ein nach Papier gierender Wurm durch einen dicken Wälzer.
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