Wir hielten plötzlich an, um eine große Kreatur vorbeizulassen: eine wunderbare, fremdartige Kreatur mit so straff gespannter Haut, das man darunter die Organe pulsieren sah. Sie schritt auf langen, stelzenartigen Beinen daher, und Elben ritten auf ihrem Rücken. Sie schlugen mit langen, mit Widerhaken versehenen Stöcken auf ihren Kopf ein und lachten melodiös, als sie stöhnte. Kleine, hastige Dinge blieben im Schatten der Seitenstraßen und versuchten, nicht bemerkt zu werden. Ab und an hatten die Wände der Gebäude, an denen ich vorbeikam, pulsierende Venen oder Augen, die sich öffneten, oder sie schmolzen langsam dahin. Ich sah stur geradeaus. Es hilft, wenn man ein Ziel hat, eine Richtung, auf die man sich konzentrieren kann. Der menschliche Verstand ist nicht ausgerüstet, mit einer Welt fertig zu werden, in der es keine Sicherheiten gibt und keinen Halt, gar nichts, auf das man sich verlassen kann.
Honey kam vor, um neben mir zu gehen. Hinter mir konnte ich hören, wie Walker beruhigend auf Peter einmurmelte. Natürlich beeindruckte die Welt der Elben Walker nicht, er kam schließlich von der Nightside.
»Du warst schon mal hier, Eddie«, sagte Honey. Ihre Stimme war fest, aber angestrengt. »Was sieht das Protokoll für die Begegnung mit der Königin vor?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte ich. »Hier und am Hof der Feen ist das immer anders. Die Stadt sah anders aus, als ich das letzte Mal hier war. Das Meer und der Himmel hatten nicht diese Farben. Die Elbenlande ändern sich immer. Sie mögen es so. Ich glaube, wenn man unsterblich ist, dann wird man solche Sachen ziemlich schnell leid.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, sie seien gar nicht unsterblich«, sagte Honey.
»Sind sie auch nicht, aber sie könnten es sein. Wie auch immer, sag ihnen nicht, dass sie nicht unsterblich sind. Das nehmen sie in der Regel ziemlich übel.«
»Warum warst du schon einmal hier? Ich dachte, du wärst aktiver Agent nur in London.«
»Das war ich auch«, sagte ich. »Aber man geht eben hin, wohin einen die Familie schickt. Vor ein paar Jahren kam ein Elb namens Bohnenblüte nach London und benahm sich noch viel schlechter als gewöhnlich. Meine Familie bekam Wind davon, dass er kleine Kinder entführt hatte und sie wegbrachte; einfach genug mit der Tarnung, die seinesgleichen zu eigen ist. Ich wurde geschickt, um die Kinder wiederzuholen, aber als ich seinen schäbigen kleinen Unterschlupf gefunden hatte, hatte er schon drei von ihnen gefressen.« Ich hielt einen Moment inne und erinnerte mich an meine kalte Wut und die bittere Hilflosigkeit. »Ich war bereit, ihn auf den ersten Blick zu töten, aber es gibt uralte Abkommen zwischen den Feen und den Droods. Das Beste, was ich tun konnte, war, ihn zu finden, ihm die Scheiße aus dem Leib zu prügeln und ihn zur Bestrafung an den Hof der Elben zurückzuschicken.
Aber dann wurde es kompliziert. Es stellte sich heraus, dass Bohnenblüte nicht wegen der Kinder nach London gekommen war. Sie waren nur Appetithäppchen. Er war auf dem Weg zum Alten Seelenmarkt in Crouch End Towen. Der Idiot.
Elben haben keine Seelen. Nicht in dem Sinn. Oder wenigstens haben sie nichts, was man als Seele erkennen kann. Bohnenblüte wollte sich eine kaufen. Das ist nicht so schwierig, wie man denkt, und nicht ein Problem an sich, aber der Alte Seelenmarkt ist fast so alt wie die Elben, und es stellte sich heraus, dass die Betreiber es nicht allzu gut aufnahmen, dass Bohnenblüte dachte, er könne einfach hereinspazieren, ihre beste Ware verlangen und das auch noch auf Kredit. Also überfielen sie ihn, raubten ihn aus, sperrten ihn in einen Käfig und trafen Anstalten, seine ausgestopfte und aufgebahrte Leiche einem Sammler zu verkaufen. (Offenbar galt gerade Bohnenblüte als Sammlerobjekt, weil er ein Cameo im Sommernachtstraum hat.) Für mich ging das in Ordnung, aber ich hatte Befehl, den Elb zu befreien und ihn mit nach Hause zu nehmen, bevor er einen Krieg anzettelte. Also ging ich in den Londoner Untergrund, nahm die unterirdischen Wege und befreite Bohnenblüte mit meiner höchsteigenen Mischung von ruhiger Vernunft, wohl eingesetzter Diplomatie und ausgesuchtem Chaos. Und - war er vielleicht dankbar? Was glaubst du? Also habe ich ihm aus Prinzip ordentlich ein paar hinter die Löffel gegeben und zurück an den Feenhof gebracht.«
»Du kommst schon rum, was?«, fragte Honey. »Also sind die Elben dir verpflichtet? Sie schulden dir was für deine Hilfe?«
»Nicht unbedingt«, sagte ich. »Es ist komplizierter als das. Mit Elben ist es das immer.«
»Das ist es immer mit Ihnen«, warf Walker ein, der plötzlich an meiner anderen Seite erschienen war. »Warum haben Sie all die Elben getötet, Eddie?«
»Weil sie versuchten, mich zu töten«, sagte ich. »Der Kampf war ehrlich genug, keiner hat mehr geschummelt als üblich. Aber trotzdem, es gibt hier viele, die mich liebend gern langsam und schrecklich sterben sehen würden. Nur können sie mich nicht töten, weil sie dann nie in der Lage wären, mir den Gefallen, den sie mir schulden, zurückzuzahlen.«
»Aber wenn sie doch schon einmal versucht haben, dich zu töten …«, fing Honey an.
»Da war ich vogelfrei«, sagte ich. »Ausgestoßen von meiner eigenen Familie. Da war's fair. Jetzt, wo ich wieder ein Drood bin und mich mit meiner Familie gut vertrage, können sie mich nicht anrühren. Elbenehre ist … kompliziert. Vergesst nicht: Wenn wir erst einmal am Feenhof sind, esst oder trinkt nichts von dem, was sie euch anbieten, sprecht nicht, bis ihr direkt angesprochen werdet, und fangt nichts an. Überlasst das mir. Und vor allem versucht nicht, Sex mit ihnen zu haben, oder ihr werdet eure Genitalien in einem Säckchen nach Hause tragen.«
»War der letzte Hinweis nötig?«, fragte Walker.
»Sie wären überrascht«, sagte ich. »Also, Leute, seht cool, intelligent und sehr selbstüberzeugt aus. Wir sind hier.«
Wir waren endlich bei Caer Dhu angekommen, dem letzten großen Elbenschloss, das in seiner ganzen Pracht vor langer, langer Zeit aus unserer Welt hierher gebracht worden war. Caer Dhu, Heimat des Unseligen Hofes und der Herrscher der Elben und Feen. Einmal und für lange, lange Zeit waren das König Oberon und Königin Titania gewesen, aber wenn Königin Mab wirklich wieder zurück war … Dann hatte die zurückgekehrte Königin möglicherweise eigene Ideen, was die alten Abkommen anging, die die Droods und die Elben geschlossen hatten.
Von außen sah Caer Dhu wie eine große goldene Krone aus. Eine massive, hochgezogene Kuppel, von hunderten goldener Dornen umgeben, die weit in den Himmel ragten. Und auf diesen Dornen waren hunderte von Elben aufgespießt und gepfählt. Sie lebten noch, litten immer noch, während ihr goldenes Blut endlos dampfend die langen Dornen herabfloss. Es sammelte sich in Rinnen und plätscherte aus dem Mund der schreienden Wasserspeier. Elben sind sehr schwer zu töten, aber das ist nicht immer etwas Gutes. Über dem Eingang hielten ein Dutzend Dornen abgetrennte Elbenköpfe. Die Gesichter waren sich ihrer immer noch bewusst und lebendig, ihre Lippen bewegten sich, als sie unsere Ankunft sahen, als ob sie uns zu warnen oder zu verfluchen versuchten.
Es war wie im Bürgerkrieg. Es gab immer gefallene Helden und Führer der Verliererseite, die öffentlich bestraft werden mussten, um ein Exempel für die anderen zu statuieren. Und die Elben wissen alles, was es über Bestrafung zu wissen gibt.
Ich hielt meinen Kopf hoch und spazierte direkt hinein in den Unseligen Hof, als ob ich jedes Recht dazu hatte, dort zu sein, einschließlich einer geprägten Einladung, die freie Drinks versprach. Honey und Walker und sogar Peter guckten sich ihr Verhalten bei mir ab und schlenderten neben mir her, die Nasen in der Luft. Im Inneren von Caer Dhu war es dunkel. Der einzige dunkle Ort in den Elbenlanden. Der Feenhof war groß und leer und in der Düsternis kaum zu sehen. Ein einzelner Strahl hellen Lichts fiel von der Decke herein wie ein Scheinwerfer und beleuchtete zwei Elfenbeinthrone, die auf einem erhöhten Podest im Hintergrund der Halle standen. Eine dunkle Gestalt saß auf dem linken Thron, der rechte war leer.
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