Die Straße der Hoffnung glitt professionell in die Docks hinein. Wir alle zuckten zusammen, als die Maschinen ausgingen, ohne dass wir vorher gewarnt worden wären. Wir sahen uns an. Dann verließen wir die Kabine und kamen an Deck.
Keiner von uns machte Anstalten, an Land zu gehen. Wenn man eine ganze Elbenarmee vor sich hat, die einen studiert, still und unerbittlich, reicht das, um jeden erstarren zu lassen. Ich hätte aufrüsten können, einfach nur, um ihnen zu zeigen, wer ich war und wen ich repräsentierte, aber das tat ich nicht. Mich selbst in meine schützende Rüstung zu hüllen hätte man als Zeichen von Furcht oder gar Schwäche werten können. Und kein Mensch kann sich leisten, für schwach gehalten zu werden, wenn er mit Elben zu tun hat. Aus der Nähe sahen sie beinahe schmerzhaft schön aus. Manche hielten das für nichts weiter als eine Art Tarnung, eine schützende Projektion, aber das ist nicht ganz richtig. Die Elben können, so scheint es zumindest, alles sein, was sie wollen. Besonders hier, in der Welt, die sie sich selbst geschaffen haben.
»Was tragen sie da?«, fragte Walker sehr leise. »Irgendeine Art von Rüstung?«
»Vielleicht aus Porzellan?«, fragte Honey genauso leise. »Obwohl, wie sind die einzelnen Teilchen bloß verbunden? Sieht so aus, als würden sie sich unabhängig voneinander bewegen …«
»Das sind Muscheln«, sagte ich. »Aus der Nähe kann man hören, wie sie gegeneinander reiben. Die Viecher innerhalb der Muscheln leben noch, sie sind zusammengenäht und leiden ständig. Elbische Art.«
»Woher weißt du das?«, fragte Peter.
»Weil ich schon mal hier war«, sagte ich. »Los, gehen wir an Land und sagen Hallo. Wir wollen doch nicht, dass sie denken, wir hätten Angst vor ihnen.«
Ich ging voraus auf die Knochendocks. Die Knochenbalken waren weich und poliert unter meinen Füßen, vom vielen Gebrauch abgewetzt. Die Elben rührten sich nicht, als wir näher kamen, und standen weiter unglaublich still und vollkommen schweigend. Sie sahen aus der Nähe fremdartiger aus. Unerträglich herrlich strahlten sie förmlich mit einer Intensität, der kein Mensch gleichkommen kann.
Die schiere Leidenschaft ihrer Gegenwart war in der Luft zu spüren wie ein Trommelwirbel. Ich konnte das Gewicht ihrer vielen Blicke spüren, und darin lag keine Überraschung. Sie waren hier, weil sie gewusst hatten, dass wir hier sein würden. Elben haben zurzeit ein anderes Verhältnis als jeder andere. Sie behandeln sie wie ein Schoßtier und lassen sie zu ihrer eigenen Belustigung Stöckchen holen.
»Noch irgendetwas, was wir über diesen Ort wissen müssen?«, fragte Honey drängend. Sie flüsterte die Worte direkt in mein Ohr.
»Er ist gefährlich«, sagte ich. »Das ist die Welt, die die Elben gemacht haben, und wir gehören nicht hierher. Hast du bemerkt, dass nicht einmal Vögel am Himmel zu sehen sind? Keine Tiere irgendwo, nicht mal Insekten? Als die Elben zum ersten Mal hierher kamen, haben sie alles getötet, was hier lebte. Bis hinunter zum Letzten jeder Art und der kleinsten Spezies. Die einzigen Dinge, die jetzt hier leben, sind die Elben und die Lebewesen, die sie mitgebracht haben. Oder geschaffen haben. Sie mochten es schon immer, herumzubasteln.«
»Das Licht tut meinen Augen weh«, warf Peter ein. »Es ist zu hell.«
»Es ist nicht für menschliche Augen gemacht«, sagte ich. »Sieh mal runter, wir haben nicht einmal Schatten hier.«
»Also, das ist nun wirklich verstörend«, sagte Walker. Wir hielten am Ende der Docks an und er sah über die versammelten Reihen der Elben. Sein Blick war beeindruckend ruhig und kühl. »Welche davon ist Mab?«
»Die würde nicht hierher kommen, um uns zu treffen«, sagte ich. »Sie ist die Königin aller Elben, und wir sind nichts. Also werden wir zu ihr gehen müssen.«
»Wie?«, fragte Honey. »Sie stehen im Weg.«
»Sie werden uns schon Platz machen«, sagte ich. »Wenn sie so weit sind. Sie stehen auf Protokoll und Einschüchterung.«
Honey schnaubte. »Ich bin Amerikanerin. Wir verneigen uns nicht vor ausländischen Potentaten.«
»Wenn du diplomatisch bist, tust du's«, sagte ich geduldig. »Unsere einzige Hoffnung zu überleben ist die, als Abgesandte größerer Mächte anerkannt zu werden. Ich glaube übrigens, wir stehen jetzt schon zu lange hier herum. Wir müssen eine gute Show abliefern, sonst respektieren sie uns nie. Also, folgt mir, und was auch passiert: Lasst euch nicht verrückt machen! Die Elben würden es lieben, uns ängstlich zu sehen.«
Ich schritt von den Docks weg und direkt auf die nächste Reihe der Elben zu. Sie standen fest vor mir, eine unerbittliche Wand. Ich rüstete immer noch nicht hoch, aber ich hob ein wenig das Kinn, damit sie den Torques um meinen Hals deutlich sehen konnten. Im allerletzten Moment traten die Elben graziös beiseite und ließen eine enge Gasse für mich entstehen, durch die ich gehen konnte. Ich hielt mein Gesicht sorgfältig ruhig und gelassen, als ob ich nichts anderes erwartet hätte. Ich konnte hören, wie die anderen hinter mir hereilten, und hoffte, dass sie eine gute Show ablieferten. Was ich für sie in dieser Welt zu tun hoffen konnte, war begrenzt.
Ich konnte den permanenten Druck der Aufmerksamkeit der Elben spüren, als ich durch ihre endlosen Reihen schritt. Es ist nicht leicht, durch eine Menge von Leuten zu gehen, von denen dich jeder aus jedem beliebigen Grund jederzeit töten könnte. Oder ohne Grund. Ich bekam eine Gänsehaut auf dem Rücken, aus Furcht vor einem Angriff, der nie kam. Ich konnte genauso gut fühlen wie instinktiv spüren, dass meine Gefährten mir direkt auf den Fersen waren und sich hinter mir drängten.
Und dann fielen die Reihen der Elben plötzlich zurück und enthüllten eine große und wundersame Stadt. Kilometerlange Gebäude wie Kunstwerke, ja wie Träume, die man in Stein und Marmor und anderes verwandelt hatte. Träume - und auch Albträume. Ich führte die anderen durch ein massives Haupttor, das man aus dem Schädel eines Drachen geschnitzt hatte. Ein einziger Schädel, der größer war als ein Haus. Alle Zähne waren aus seinen langen Kiefern gezogen und die leeren Augenhöhlen waren mit fremdartigen Blumen gefüllt worden. Sie wanden sich und zischten mich an, als ich an ihnen vorbeikam. Doch meine Aufmerksamkeit galt der Stadt.
Die Straßen waren breit und gewunden. Deformierte Häuser türmten sich zu beiden Seiten auf, alle unterschiedlich, individuell, krank, wie die raffinierten Träume eines Geisteskranken. Ihre Formen waren grundsätzlich organisch, aber krank und brutal, manchmal sogar beunruhigend für einfache menschliche Augen. Eher so, als wären sie gewachsen und nicht gebaut worden. Die meisten Formen ergaben in meinen menschlichen Augen und in meiner Ästhetik keinen Sinn. Und sie bewegten sich, alle, änderten sich subtil, hielten nur dann still, wenn man direkt hinsah. Sie wurden nur dann vollständig real, wenn man sie aktiv wahrnahm. Ich dachte an Quantenzustände und die Absichten des Betrachters, doch dann versuchte ich sehr, gar nicht mehr darüber nachzudenken.
Auf einem kleinen offenen Platz kamen wir an einem Elb vorbei, den man zu einer Statue gemacht und dazu gezwungen hatte, als Springbrunnen zu fungieren. Wasser plätscherte aus seinen offenen Augen und seinem Mund, aber man konnte seinem Gesicht genug entnehmen, um zu wissen, dass er noch lebte, seine Umgebung wahrnahm und litt. Später kamen wir an einem Haufen abgetrennter Hände vorbei, die mannshoch aufgetürmt waren: Die Finger zuckten noch. Der Schein der überhellen Sonne knallte auf meinen Kopf, meine nackte Haut stach und war wund vom Licht, so als sei sie fremden, unirdischen Strahlungen ausgesetzt.
Ein Drache flog vorbei. Nicht die hässlichen Lindwürmer, die die Elben reiten, wenn sie auf die Erde kommen, sondern ein echter: gewaltig und herrlich, größer als ein Jumbo-Jet, mit Flügeln so groß und weit, dass sie sich kaum bewegten, als er vorbeiflog. Wunderschön und sehr tödlich. Ein halbes Dutzend Drachen konnte eine ganze menschliche Stadt auslöschen. Glücklicherweise gibt es kein halbes Dutzend mehr von ihnen.
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