»Alwerich!«, rief eine vertraute Stimme, und Wengalf kam mit seinen Kriegern herbeigelaufen. »Bildet einen Schildwall!« Die Zwerge folgten dem Befehl ihres Königs.
Alwerich war ganz blass. Das Schwert hatte ihn unterhalb der Brust getroffen. Blut quoll aus der frischen Wunde. »Du darfst noch nicht sterben«, sagte der Zwergenkrieger mit schwacher Stimme. »Du musst zu Noroelle gehen. Ich werde wiedergeboren.«
Nuramon schüttelte fassungslos den Kopf. »Warum hast du nicht an Solstane gedacht?«
»Sie wird es verstehen. Nimm dieses Geschenk von mir und vergiss auf keinen Fall deinen … deinen alten…« Der Kopf sank ihm auf die Brust, und es schien, als wäre er vor Erschöpfung eingeschlafen. Er hatte aufgehört zu atmen, und sein Herzschlag war vergangen. Alwerich war tot.
Nuramon küsste den Zwerg auf die Stirn. »Ich werde dich nie vergessen, alter Freund.« Es war ein schmerzhafter Abschied, selbst wenn die Wiedergeburt auf den Zwerg wartete. Erst hatte es Lumnuon getroffen, nun Alwerich.
Nuramon überlegte, ob er ihn heilen sollte, wie er damals Farodin in der Höhle geheilt hatte.
Doch Wengalf legte Nuramon die Hand auf die Schulter. »Lass ihn! Er wird als Held wiedergeboren und wird sich mit Stolz an diesen Tag erinnern. Wir müssen nun die Schlacht für uns entscheiden. Wir schlagen uns gut. Vielleicht können wir sie wirklich aufhalten.«
Plötzlich drängte sich ein Zwergenkrieger zwischen den Schildträgern hindurch. »Mein König! Unsere Krieger haben auf dieser Seite die feindlichen Schützen zerschlagen. Ihre merkwürdigen Feuerrohre sind für immer gelöscht. Sollen wir vorstoßen? Und wir hören von der rechten Flanke, dass Mandred mit einer kleinen Schar von Menschen versuchen will, zum Herzen des gegnerischen Heeres vorzustoßen.«
Nuramon erschrak. Er wollte nicht auch noch Mandred verlieren! Für den König der Fjordländer gab es keine Wiedergeburt.
Der König wandte sich an den Boten. »Gib den Befehl, auf dieser Seite die Flanke anzugreifen. In der Mitte des Feldes sollen unsere Leute aber zurückfallen und die Feinde ein wenig fortlocken. So ziehen wir Mandred einige Krieger aus dem Weg.«
Nuramon schaute dem König ins Gesicht. »Danke, Wengalf!«
»Komm! Nimm deine Schwerter! Lass uns diese Schlacht zu Ende bringen. Ich bin des Tötens müde.«
Nuramon nickte. Widerstrebend löste er sich von Alwerichs Körper und nahm seine Schwerter auf. Auch er wollte, dass die Schlacht endlich aufhörte. Er wandte sich zu den wenigen verbliebenen Elfen. »Sammelt euch! Es geht zum letzten Angriff!«
Mandred betrachtete die abgeschnittenen roten Zöpfe, die rings herum im Gras lagen. »Ich behalte euch in Erinnerung, meine Toten«, murmelte er leise und strich sich über die glatten Wangen und den rasierten Schädel.
Beorn schob sein Messer zurück in den Gürtel, von dem auch ein bronzenes Signalhorn hing, und nickte zufrieden. »So kannst du als einer ihrer Anführer durchgehen, Ahnherr. Aber lass mich reden, wenn wir angehalten werden.« Auf dem Hof von Beorns Eltern hatten einige gefangene Ordenskrieger als Knechte gearbeitet. Von ihnen hatte der Leibwächter die Sprache Fargons gelernt. Er wusste um den Aufbau der Ordensheere und kannte sogar die Horn- und Trommelsignale der Feinde.
Mandred setzte den Reiterhelm mit den tief gezogenen Wangenklappen auf und zupfte an der breiten roten Bauchbinde, die um seine Hüften gewickelt war. Schweren Herzens hatte er Alfadas’ Rüstung abgelegt, doch mit ihr hätten sie die Feinde nicht täuschen können.
Sein Blick wanderte über die verwegene Schar von Mandriden, die sich freiwillig gemeldet hatten. Der Reiterangriff der Ordensritter war zurückgeschlagen, doch gegen die Übermacht der feindlichen Fußsoldaten würden sie nicht gewinnen können.
»Ich schätze, eure Freunde werden euch dringend geraten haben, nicht mit mir zu reiten!«, rief Mandred mit lauter Stimme seinen Männern zu. »Wenn sie das taten, sind es gute Freunde! Sie haben Recht! Wer mit mir geht, der wird in einer Stunde ein Held sein oder in der goldenen Halle der Götter sitzen. Und wenn ihr lebt, dann wird man den Rest eurer Tage hinter eurem Rücken munkeln, dass ihr völlig verrückt gewesen seid.«
Die Männer grinsten, und selbst einige der Kentauren lachten. Die Pferdemänner aus Dailos hatten ihm ihre Hilfe zugesagt. Fast hundert von ihnen warteten auf den Befehl zum Einsatz. Voller Stolz musterte Mandred seine Freiwilligen. Sie alle hatten die Rüstungen erschlagener Panzerreiter angelegt und sich die Bärte rasiert, um nicht als Nordmänner aufzufallen. Mandred wünschte sich, er hätte eine so ergreifende Rede halten können wie Liodred damals in der Königshalle. Gestern, als er am Grab des Königs gesprochen hatte, hatte er die besten Stellen, die ihm in Erinnerung geblieben waren, wiederholt. Und wieder hatten Liodreds Worte den Kampfgeist der Fjordländer entfacht. Der Jarl blickte die Reihen der Männer entlang, die ihm bei diesem selbstmörderischen Ritt folgen wollten. Die meisten von ihnen waren erschreckend jung.
»Appanasios?« Er wandte sich an den Anführer der Kentauren, einen wilden schwarzhaarigen Kerl, der über die Brust eine breite Lederschärpe trug, von der sechs kurze Feuerrohre hingen. Außerdem hatte er einen Köcher mit Pfeilen auf den Rücken geschnallt und dazu noch ein Langschwert. »Du wirst uns mit deiner Bande von Halsabschneidern verfolgen und ein gewaltiges Spektakel veranstalten. Schreit, schießt, tut ganz so, als wären wir wirklich Panzerreiter, die in wilder Flucht davonjagen.« Mandred hob seine Rechte. Die Hand steckte in einem schön gearbeiteten Panzerhandschuh. Er ballte sie zur Faust, sodass die Eisenglieder leise knirschten. »Wenn deine Strauchdiebe auch nur einen meiner Männer wirklich treffen, Appanasios, dann komme ich wieder und ramme dir das hier in deinen dicken Pferdearsch.«
»Wenn du wirklich wiederkommst, dann kannst du mir deinen Panzerhandschuh sonst wohin stecken, und ich werde dabei ein Loblied auf deinen Heldenmut singen.« Der Kentaur lächelte, doch in seinen Augen lag Trauer. »Ich bin stolz darauf, dir begegnet zu sein, Mandred Aikhjarto.«
»Mal sehen, ob du immer noch stolz darauf bist, wenn ich dich und deine Halunkenbande heute Abend auf der Siegesfeier unter den Tisch saufe.«
»Ein Mensch, der einen Kentauren betrunken macht! Das wirst du nicht erleben!« Appanasios lachte rundheraus. »Selbst du wirst das nicht schaffen, Ahnherr von Firnstayn.«
»Ich habe sogar schon eine Eiche besoffen gemacht!«, entgegnete Mandred und zog sich in den Sattel. An seiner Hüfte klirrte eines der neumodischen, schlanken Reiterschwerter. Vor dem Sattel hingen zwei Ledertaschen. Der Jarl drehte sich zu dem Kentauren um und deutete auf seine Schärpe. »Wie gebraucht man diese Dinger eigentlich?«
Appanasios zog eine der Waffen und ließ sie spielerisch herumwirbeln. »Dies, verehrter Ahnherr, sind Radschlosspistolen, Beutewaffen vom Feind. Du ziehst hier unten den Haken, dann geben sie einen Schuss ab. Am besten hältst du sie dazu leicht schräg. Sie sind mit einer kleinen Bleikugel geladen.«
»Blei?«, fragte Mandred ungläubig.
»Täusche dich nicht. Auf kurze Entfernung vermögen diese Kugeln jede Rüstung zu durchschlagen.« Der Kentaur schob die Waffe in seine Lederschärpe zurück.
Mandred strich über den Schaft seiner Axt, die vom Sattelhorn hing. Er würde auf althergebrachte Waffen vertrauen.
Kurz blickte er über die kleine Reiterschar. Neben den Schwertern und Radschlosspistolen waren sie mit Lanzen bewaffnet. Fünf von ihnen trugen aufgerollte Banner. Für Mandred war ihr Wappen neu, doch den Ordensrittern war es wohl vertraut, denn die Nordmänner hatten es in Jahrhunderten der Kriege gegen ihre Feinde geführt.
Der Jarl hob die Hand. »Vorwärts, Männer!«
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