Voraus sah Farodin jetzt die funkelnden Stichblätter von Hellebarden. Mit ihrem langen, dreikantigen Dorn, der breiten Hiebklinge und dem Haken auf der Rückseite waren diese Waffen einzig dazu geschaffen, schwer gepanzerte Gegner das Fürchten zu lehren. Der dreikantige Dorn vermochte selbst die besten Rüstungen zu durchdringen, wenn er im rechten Winkel auf eine glatte Fläche auftraf. Das Hiebblatt war schwer genug, jeden Helm oder Schulterpanzer zu spalten, und mit den Haken mochte man nach den Füßen der Feinde angeln, um sie mit einem Ruck niederzureißen und ihnen dann den Dreikantdorn durch das Visier zu stoßen.
Sein Schwert riss einem Mann vor ihm den Kopf von den Schultern. Farodin griff keinen einzelnen Krieger gezielt an. Er ließ die Waffe kreisen, und in dem Gedränge war es schwer, seinem Todeskreis zu entgehen.
Jemand klammerte sich an sein Bein und versuchte ihn zu Boden zu reißen. Der Elf blickte kurz hinab, ohne dass er im Angriff innehielt. Ein verwundeter Ordenssoldat hielt sein linkes Bein umklammert. Farodin rammte ihm den Panzerschuh ins Gesicht. Er fühlte die Zähne des Kriegers splittern. Der Mann ließ los und rollte zur Seite.
Etwas Funkelndes schoss auf Farodin herab. Nur knapp verfehlte ihn das Hiebblatt einer Hellebarde. Eine Gruppe von Hellebardieren hatte sich durch die Formation der Pikeniere zu ihm vorgedrängt. Die Hälfte der Krieger hielt die Waffen gesenkt und zielte mit den Dornen und Haken nach seinen Beinen.
Farodin senkte den Kopf. Etwas traf ihn an der Schulter. Sein linker Arm war halb betäubt vor Schmerz. Der Elf machte einen Satz nach vorn. Das schwere Schwert ruckte. Es zerschmetterte einen Helm und grub sich tief in die Brust des nächsten Kämpfers.
Farodin fühlte, wie sich ein Haken hinter seine linke Ferse setzte. Er versuchte, den Fuß anzuheben, als ihn mehrere Stoßdorne gegen die Brust trafen. Die Klingen glitten zur Seite weg, doch ihr Aufprall brachte ihn vollends aus dem Gleichgewicht.
Er stürzte nach hinten. Das Schwert wurde seinen Händen entrissen. Der Elf versuchte sich zur Seite wegzurollen, doch ein Fuß setzte sich auf seine Brustplatte und drückte ihn zu Boden. Über Farodin glitt der Schatten eines Falken über den wolkenlosen, türkisblauen Himmel von Albenmark. Dann glitzerte ein Dreikantdorn silbern im Sonnenlicht und stieß herab.
Die Schlacht ließ Nuramon keinen Augenblick der Ruhe. Felbion hatte er im Getümmel aus den Augen verloren. Nachdem er dreimal aus dem Sattel geholt worden war, fühlte er sich am Boden sicherer. Zwei Armwunden und eine Schulterwunde plagten ihn. Seinen rechten Arm konnte er nur unter Schmerzen heben, und er spürte, wie warmes Blut seine Haut hinabrann.
Sein Plan war nicht ganz aufgegangen. Die Reiterei hatte sie in einen längeren Kampf verwickelt, und sie hatten die Übermacht der Feinde nicht vollends brechen können. Zwar hörte Nuramon wieder und wieder die rauen Schreie der von Pfeilen getroffenen Menschen. Doch er konnte nicht sagen, woher diese Schreie genau kamen. In der Hitze der Schlacht hatte er die Orientierung verloren, und all seine Sinne waren allein aufs Überleben ausgerichtet.
Weit über sich sah er Steinbrocken hinwegfliegen. Das konnte nur eines bedeuten: Die Fußsoldaten waren so nahe gekommen, dass die Katapulte der Zwerge sie treffen konnten.
Er sah sich um. Seine Verwandten und die Alvemerer kämpften tapfer und bewiesen einmal mehr, dass ein Elfenkrieger mindestens so gut war wie zwei Menschen.
Schwindel überkam Nuramon, gefolgt von Schmerz. Er taumelte, versuchte Halt zu finden, spürte dann aber, wie seine Sinne ihm schwanden. Plötzlich wurde er aufgefangen, und verschwommen sah er ein Gesicht. Wenn es die Maske Guillaumes war, dann wäre es um ihn geschehen!
»Nuramon!«, rief jemand und ließ ihn aufschrecken. Er kniff die Augen zusammen und erkannte Lumnuon. »Krieger der Weldaronsippe! Zu mir!«, rief der Elf. »Halte durch! Wir werden dich schützen …« Was sein junger Verwandter danach noch sagte, hörte Nuramon nicht. Sein Geist war ganz von der Sorge erfüllt zu sterben. Ihm fiel nur eines ein, was er tun konnte. So begann er mit seinem Heilzauber und sprach ihn auf sich selbst. Sogleich verkrampfte sich sein verletzter Arm; es fühlte sich an, als risse ihm jemand das Fleisch von den Knochen. Dann ergriff dieser Schmerz seinen ganzen Körper. Der Elf biss die Zähne zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. Plötzlich traf ihn etwas Kaltes ins Gesicht, und er schreckte auf. Über sich sah er Lumnuon; die Krieger seiner Sippe hatten einen schützenden Kreis um ihn gebildet. Lumnuon tastete nach seinem Arm. »Hast du dich selbst geheilt?«, fragte er.
Nuramon nickte angestrengt und rang nach Luft. Lumnuon half ihm auf die Beine. Plötzlich stürzte neben ihm einer seiner Krieger vom Feind getroffen zu Boden. Nuramon packte die Wut. Endlich gelang es ihm, die Lähmung abzuschütteln, die ihn ergriffen hatte, seit er tausendfach in das Gesicht Guillaumes hatte blicken müssen. Er griff nach seinen Schwertern und sprang in die Lücke, gerade als ein Ordensritter sein Schwert senkte. Blitzschnell kreuzte er seine Klingen über dem Kopf und fing die Schneide des Gegners auf. Mit einem Tritt sandte er ihn zu Boden, setzte ihm nach und stach ihm in die Seite. Nachdem er zwei weitere Ordenskrieger zu Fall gebracht hatte, hob er sein Langschwert und schrie seinen Leuten zu: »Weldaron!« Seine Leute riefen den Namen ihres Sippenbegründers, sie drängten zu allen Seiten die Feinde zurück, taten sich mit Gefährten zusammen und kämpften sich zu den Zwergen vor.
Die Kinder der Dunkelalben hatten die Formation des Drachenpanzers noch nicht geöffnet. Nur allmählich bewegten sie sich vorwärts. Die Leichenberge und die Kadaver toter Pferde verschwanden unter ihren Schilden, so als wären die Zwergenhaufen Bestien, die sich vom Fleisch der Toten nährten.
Plötzlich hallten Schreie aus tausenden von Kehlen zu ihnen herüber. Das feindliche Hauptheer musste angekommen sein.
»Zu mir!«, rief Nuramon. »Sammelt euch hier!« Seine Waffengefährten ließen sich ein Stück zurückfallen und scharten sich erneut um Nuramon. Die wenigen Berittenen wies er zu seiner Linken, alle anderen zu seiner Rechten.
Da kamen sie! Unzählige Ordenskrieger drängten in die Lücken zwischen den Kämpfenden. Sie umflossen sie wie Wasser, welches das Land überschwemmt.
Nuramon fühlte sich wie tags zuvor, als er dem Zwergenheer und danach der Elfenreiterei entgegengegangen war. Doch nun mischte sich auch Angst in seine Empfindungen. Er sah, wie zwei Drachenpanzer langsam auseinander drängten, wie Wesen, die ihnen stumm bedeuten wollten, zwischen sie zu treten. Nuramon gab seinen Leuten ein Zeichen, und sie zogen sich in den Schutz der Zwergenformation zurück.
Das Fußvolk würde gnadenlos über sie herfallen. Bis auf fünfzig Schritt waren die Feinde herangekommen. Für die Firnstayner war es zu spät, in die Schlachtreihe einzutreten.
Nuramon riss sein Langschwert in die Höhe und schrie: »Albenmark!« Seine Verwandten und die Alvemerer stimmten in den Ruf ein. Die Feinde waren auf zwanzig Schritt heran, als Nuramon die Waffe senkte und »Angriff!« schrie. Doch sein Kampfesruf ging unter in dem Gegröle, das sich in diesem Augenblick links und rechts von ihm erhob.
Die Drachenpanzer der Zwerge öffneten sich! Die Schildträger der ersten Reihe stießen vor und zogen ihre Kurzschwerter. Ihnen folgten die Partisanenträger mit weiteren Kriegern, die ihre Schilde vom Kopf vor die Brust senkten und voranstürmten. Es war wie eine Verwandlung. Die riesige Kampfbestie zerfloss zu unzähligen Zwergenkriegern.
Der Vorstoß von Wengalfs Leuten ließ auch die Feinde nicht unberührt. Die Krieger in den ersten Schlachtreihen verlangsamten ihre Schritte, die blechernen Schreie verstummten. Und als die ersten stehen blieben, trafen die beiden Heere aufeinander, und Nuramon stieß weit in die Reihen der Feinde vor. Für den Augenblick war ihm die Angst vor dem Tode genommen.
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