Nuramon nahm das Fernrohr und spähte hindurch. Zuerst sah er nur Silber und Gold, doch dann erkannte er die Krieger. Es hieß, die Mehrheit der Gegner komme aus dem wilden Drusna. Ihre Rüstungen waren ganz aus Metall und verliehen ihnen breite Schultern. Die Helme glänzten silbern im Sonnenlicht. Golden aber waren ihre Gesichter, denn sie trugen Masken. Vor Schreck hielt Nuramon den Atem an. Diese Masken zeigten das Gesicht Guillaumes, das ihn so sehr an Noroelle erinnerte. Nuramon schwenkte das Fernrohr nach links und nach rechts, und überall sah er das Gesicht seiner Geliebten.
Immer mehr Krieger marschierten über die Hügelkette. Die erste Reihe hatte bereits den Fuß des Hügels erreicht. Von der linken Flanke kamen Reiter herbei und setzten sich vor das feindliche Fußvolk. Auch ihre Gesichter waren von goldenen Masken bedeckt. Nuramon war halb benommen. Ob Reiter oder Fußkämpfer, jeder Feind, dem er gegenüberträte, würde das Antlitz Noroelles tragen. Und nun musste er zusehen, wie sich diese Streitmacht vor dem Hügel formierte und gegen sie ins Feld zog. Welch ein Heer! Die Reiterei allein wäre schon ein würdiger Gegner gewesen.
Langsam bewegten sich die Feinde voran, und Nuramon merkte, wie die Elfen um ihn herum unruhig wurden. Nomja beugte sich zu ihm herüber. »Wir haben noch nie gegen so ein großes Heer gestanden.«
»Wir haben einen entscheidenden Vorteil«, entgegnete Nuramon leise. »Für uns ist dies die letzte Schlacht. Wir werden alles opfern, wenn es sein muss. Für sie aber ist dieser Kampf einer von vielen. Sie glauben, wenn sie heute nicht gewinnen, dann warten in der Zukunft neue Gelegenheiten auf sie. Sie werden sich wundern. Und unterschätze mir die Zwerge nicht!«
Nomja nickte und schwieg.
Die Feinde waren inzwischen bis auf etwa achthundert Schritt herangekommen und verharrten dort. Zwischen Schlucht und Wald erstreckte sich nun ein Meer von Kriegern, und es war nur eine Frage von Augenblicken, bis die Flut kam.
Schon setzten sich die feindlichen Reiter wieder in Bewegung. Zuerst trabten sie langsam an, doch schon wurden sie schneller und schneller, bis sie in vollem Galopp und auf breiter Front näher kamen. Sie bildeten mehr als ein Dutzend Reihen und hielten die Lanzen hoch erhoben. Die Erde erbebte vom Hufschlag ihrer Pferde.
»Haltet euch bereit!«, rief Nomja den Kriegern zu. Ihre Bogenschützen und Reiter legten Pfeile auf die Sehnen. »Wir schießen auf deinen Befehl«, sagte sie zu Nuramon und hob die Hand. Sogleich legten die Schützen an.
Die Reiter waren noch etwa zweihundert Schritt von ihnen entfernt, als Nuramon spürte, dass Nomja unruhig wurde und ihn aus den Augenwinkeln betrachtete.
»Schießt!«, rief Nuramon.
Nomja senkte die Hand, und hunderte von Bogen klapperten und sandten die zischenden Pfeile los. Ein tödlicher Hagel ging auf die feindliche Reiterei nieder.
Nuramon konnte nicht sehen, wie es auf Mandreds Seite aussah, doch hier vor ihnen knickte die Flanke der Feinde ein. Pferde und Reiter gingen zu Boden, wurden niedergetrampelt oder von weiteren Pfeilen niedergestreckt. Die Überlebenden versuchten so weit wie möglich von den Schützen fortzukommen und drängten in die Mitte, denn von den Zwergen schlug ihnen kein Beschuss entgegen. Manche ließen sich lieber zurückfallen und zogen so die Formation der gegnerischen Reiterei in die Länge.
Nomja hatte Nuramons alten Bogen angelegt und schoss. Immer neue Pfeile sandten die Schützen den Reitern entgegen. Und doch war der Strom der Feinde noch immer so mächtig, dass Nuramon um die Zwerge fürchtete.
Ein Blick hinter die gegnerische Reiterei zeigte Nuramon, dass das Fußvolk mit einigem Abstand folgte. Er zog sein Langschwert und hielt es in die Höhe. »Mir nach, ihr Albenkinder! Für Albenmark!« Dann ritt er los, und seine Leute folgten ihm.
Es fehlte nicht mehr viel, und die Reiterei würde auf die Zwerge treffen. Nuramon wartete darauf, dass Wengalfs Leute irgendetwas unternahmen. Es sah fast so aus, als stünde dort gar kein Heer, sondern ein riesiges Gestell aus Schilden, das ein kluger Stratege ersonnen hatte, um seinen Feinden die Anwesenheit von Kriegern vorzugaukeln, wo es keine gab. Fünfzig Schritt vor den Zwergen senkten die Ordensritter die schweren Lanzen. Zwanzig Schritt, und sie ritten noch immer so schnell, als könnte nichts ihren Weg versperren. Zehn Schritt, und es geschah! Zwischen den Schilden der Zwerge schossen blitzschnell die Partisanen hervor; sie drehten die Klinge, sodass die Ohren quer standen, und stellten sich mit einem raschen Ruck schräg nach oben. Die Feinde ritten auf ganzer Länge in die Spieße hinein. Nuramon beobachtete, wie einige von ihnen es tatsächlich schafften, ihr Pferd zu zügeln. Doch die nachfolgenden Reiter drängten sie in die Lanzen. Manche Pferde setzten über den spitzen Wall hinweg und verschwanden in den Reihen der Zwerge. Die Reiterei als Ganzes aber wurde aufgehalten, als wäre sie gegen die Mauer einer Feste geritten. Die Feinde drängten ineinander, schoben sich ungewollt voran.
Ehe sie sich neu orientieren konnten, war Nuramon mit seinen Leuten heran. Er hob das Schwert. Doch als er es auf den ersten Feind niederfahren lassen wollte, blickte dieser ihm entgegen, und Nuramon sah in das Gesicht seiner Liebsten. Er wollte den Feind verschonen, doch der Ritter griff an. Nuramon war es, als führte Noroelle das Schwert gegen ihn, um ihn für sein Versagen zu strafen. Die Klinge streifte seinen Schulterpanzer. Dann war er an ihm vorbeigeritten.
Langsam kam ihr Vorstoß zum Halten, und sie befanden sich mitten im Gedränge der Schlacht. Nuramon war unfähig, auch nur einen Schlag zu führen. Um ihn herum hatten das Töten und das Sterben längst begonnen. Seine Verwandten nahmen ihn in ihre Mitte und schützten ihn von allen Seiten, während er nur wie gebannt in die Gesichter der Feinde blicken konnte.
Dann wurde Lumnuon von einem Schwertstoß ins Bein getroffen und schrie auf. Fassungslos blickte Nuramon dem feindlichen Krieger in das Maskengesicht. Als dieser das Schwert hob, um einen Streich gegen Lumnuons Kopf zu führen, packte Nuramon die Wut. Er stieß mit seinem Langschwert zu. Die Klinge durchdrang den Brustpanzer des Ritters. Als der Elf sein Schwert dem Körper entriss, sank der Feind im Sattel zusammen.
Plötzlich wurde Nuramon aus dem Sattel gerissen. Hart schlug er auf dem Boden auf. Über sich sah er einen Maskenträger, der zum Schlag ausholte.
Nuramon rollte zur Seite und sprang auf. Zwei Schläge des Feindes parierte er, dann deutete er einen Angriff auf den Kopf an, zog mit der Linken Gaomees Schwert und stieß dem Gegner die Klinge in den Hals. Rasch schaute er sich um und erkannte, dass er von seiner Sippe umgeben war. So wandte er sich wieder dem Tjuredkrieger zu. Der lag auf dem Rücken und rang gurgelnd um Luft.
Nuramon beugte sich über den Todgeweihten und zog ihm die Maske fort. Darunter kam das blutbefleckte Gesicht eines Jünglings hervor, der ihm voller Verachtung entgegenblickte. Dann spuckte er Nuramon Blut entgegen, und sein Gesicht erstarrte zu einer hassverzerrten Miene.
Ollowain versetzte Farodin mit seinem Panzerhandschuh einen klirrenden Schlag auf die Schulter. »Das war die letzte Schnalle.«
Farodin richtete sich ein wenig ungelenk auf. Die Rüstung war leichter, als er erwartet hatte, und doch würde sie seine Beweglichkeit erheblich einschränken.
Ollowain schritt die Reihe der gepanzerten Elfen ab. Sie waren zwanzig, und alle trugen sie Glattharnische, meisterhaft gefertigte Rüstungen, von deren abgerundeten Panzerplatten jeder Speerstoß abgelenkt wurde.
»Vergesst nicht, die Köpfe zu senken, sobald wir angreifen!«, schärfte Ollowain der Elfenschar ein. »Unsere verwundbarste Stelle sind die Sehschlitze des Helms. Die Menschen wissen das. Deshalb senkt den Kopf!«
Читать дальше