»Du kommst in meine Burg, Mandred, beleidigst mich vor meinem Hofstaat und fragst nun, ob ich das Leben meiner Jäger in Gefahr zu bringen gedenke, um deiner Sache zu dienen? Du trägst dein Herz wahrlich auf der Zunge, Menschensohn.« Emerelles Hand machte eine kreisende Bewegung über der Silberschale, und sie sah flüchtig in das Wasser. »Was bietest du mir für meine Hilfe? Wird in deinem Volk nicht Blut mit Blut vergolten?«
Mandred war überrascht von der Königin. Die Fürsten des Fjordlandes hätten offen ihre Forderungen ausgesprochen und nicht wie Krämer gefeilscht. Er kniete nieder. »Befreie mein Land vom Manneber, und du magst über mich verfügen. Ich gehöre dir.«
Emerelle lachte leise. »Mandred, du bist wahrlich kein Mann, den ich jeden Tag um mich sehen wollte.« Sie schwieg und schaute wieder in die silberne Schüssel. »Ich fordere, was dein Weib Freya unter ihrem Herzen trägt. Das erste Kind, das dir geboren wird, Mandred Menschensohn. Die Freundschaft des Elfenvolkes erlangt man nicht um ein paar wohlfeile Worte. Ich werde das Kind heute in einem Jahr holen.«
Mandred war wie vom Blitz gerührt. »Mein Kind?« Hilfe suchend blickte er zu den anderen Elfen. Doch in keinem der Gesichter las er Mitgefühl. Wie hieß es in den Kindermärchen? Elfenherzen seien so kalt wie Wintersterne …
»Nimm einen Dolch und stoß ihn mir ins Herz, Königin. Beende hier und jetzt mein Leben. Diesen Preis zahle ich, ohne zu zögern, wenn du dafür den Meinen hilfst.«
»Große Worte, Mandred«, entgegnete die Königin kühl. »Doch welchen Nutzen brächte es, dein Blut vor den Stufen meines Thrones zu vergießen?«
»Welchen Nutzen hast du an einem Kind?«, begehrte Mandred verzweifelt auf.
»Dieses Kind wird ein Band zwischen Elfen und Menschen knüpfen«, entgegnete sie ruhig. »Es soll unter meinem Volke aufwachsen und wird die besten Lehrmeister haben. Wenn dein Kind alt genug ist, mag es entscheiden, ob es für immer bei uns bleiben will oder ob es zu seinen Menschenbrüdern zurückkehren möchte. Will es zurück, so werden wir ihm reiche Geschenke mitgeben, und ich bin mir gewiss, es würde einen Platz unter den Ersten deines Volkes erobern. Die kostbarste Gabe aber, die es in die Menschenwelt tragen würde, wäre die Freundschaft des Elfenvolkes.«
Mandred hatte das Gefühl, als hielte diese zierliche Frau sein Herz mit eiserner Hand umschlossen. Wie konnte er sein ungeborenes Kind den Elfen versprechen? Und doch – wenn er sich verweigerte, so würde sein Kind vielleicht nie geboren werden. Wie lange mochte es dauern, bis der Manneber in die kleine Siedlung am Fjord eindrang? War er vielleicht schon dort gewesen?
»Lebt mein Weib Freya denn noch?«, fragte er niedergeschlagen.
Die Hand der Königin strich sanft über die Silberschale. »Etwas verbirgt die Kreatur, die du Manneber nennst. Doch sie scheint noch immer in der Nähe des Steinkreises zu sein. Dein Dorf hat sie nicht angegriffen.« Sie hob den Blick und sah ihm nun geradewegs ins Gesicht. »Wie lautet deine Entscheidung, Mandred Menschensohn?«
Ich werde noch weitere Kinder mit Freya zeugen, redete er sich ein. Vielleicht trägt sie ja ein Mädchen unter dem Herzen, und der Verlust wird nicht so schwer wiegen. Er war der Jarl seines Dorfes. Er trug die Verantwortung für alle. Was wog ein Leben gegen viele? »Du wirst bekommen, was du forderst, Königin.« Mandreds Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Seine Lippen wollten sich den Worten verschließen, und doch zwang er sich zu sprechen. »Töten deine Jäger den Manneber, dann wird mein Kind dir gehören.«
Emerelle nickte in Richtung eines Elfen, der in helles Grau gewandet war, und bedeutete ihm mit einer Geste vorzutreten. »Farodin aus der Sippe des Askalel, du hast dich oftmals bewährt. Deine Weisheit und deine Erfahrung sollen der Jagd zum Erfolg verhelfen. Hiermit berufe ich dich zur Elfenjagd.«
Mandred spürte einen Schauer über seinen Rücken laufen. Die Elfenjagd! Wie viele Geschichten hatte er über diese geheimnisvolle Jagdgemeinschaft gehört!
Keine Beute vermochte diesen unheimlichen Jägern zu entgehen, hieß es. Was auch immer sie jagten, war des Todes. Wölfe, so groß wie Pferde, waren ihre Jagdhunde, und in den Adern ihrer Rösser floss flüssiges Feuer. Sie ritten über den Nachthimmel und verbargen sich im Feenlicht, um dann wie Adler auf ihre Beute hinabzustoßen. Nur die Edelsten und Tapfersten durften mit der Elfenjagd reiten. Sie alle waren Krieger und Zauberer zugleich. So mächtig waren sie, dass selbst Drachen sie fürchteten und Trolle sich in ihren Burgen verbargen, wenn die Elfenjagd ausritt. Und er hatte sie auf den Manneber losgelassen, dachte Mandred frohlockend. Sie würden die Bestie zerfleischen und blutige Rache für seine toten Freunde nehmen!
Die Königin nannte noch weitere Namen, doch die Berufenen schienen nicht im Thronsaal zu sein. Schließlich deutete sie auf eine in Braun gekleidete Gestalt, die im ersten Augenblick zu erschrecken schien. »Nuramon aus der Sippe des Weldaron, deine Zeit ist gekommen.«
Ein Raunen ging durch die versammelten Elfen.
Eine Frau trat aus einer Gruppe hervor, die besonders betroffen wirkte. »Herrin, du willst ihn doch nicht etwa dieser Gefahr aussetzen? Du weißt um sein Schicksal!«
»Deshalb habe ich ihn erwählt.«
Mandred betrachtete verstohlen den braunhaarigen Elfen. Er wirkte verunsichert. Ein erfahrener Jäger war er gewiss nicht!
»Morgen früh schon soll die Elfenjagd aufbrechen, um das Ungeheuer zu töten, von dem uns berichtet wurde. Und du, Mandred Menschensohn, wirst sie anführen, denn du kennst die Bestie und das Land, das sie verheert.«
Das Raunen im Saal verstummte schlagartig. Wieder spürte Mandred alle Blicke auf sich ruhen. Er konnte nicht glauben, was Emerelle soeben gesagt hatte. Er, der Niederste in den Augen der Versammelten, war auserwählt, die Elfenjagd anzuführen! Er wünschte, Freya wäre nun an seiner Seite.
Nuramon stand inmitten seiner Kammer, deren Wände und Decke reich mit Fresken verziert waren. Sieben hatte die Königin zur Elfenjagd berufen, und sieben Kammern gab es. Einst waren die Gemächer errichtet worden, damit die Jagdgefährten sich ausrüsten und ausruhen konnten. Hier sollten ihnen ihre Verwandten die Ehre erweisen. Und hier war es, wo Nuramon völlig allein war.
In die Decke und in die Wand waren honigfarbene Barinsteine eingelassen, die warmes Licht spendeten. An der Wand zu Nuramons Rechten zog sich eine tiefe Nische entlang, in der einige Waffen und Ausrüstungsgegenstände, aber auch Schmuck und so manches Kleinod lagen, dessen Zauberkraft er spüren konnte. All dies hatten seine Vorgänger einst auf der Elfenjagd getragen. Wer immer von der Jagd zurückkehrte, pflegte etwas in der Kammer zurückzulassen.
Als Berufener hätte Nuramon einige dieser Stücke an sich nehmen können; zumindest hatte ihm Farodin es so erzählt. Aber er wollte nichts von diesen Dingen für sich beanspruchen, wollte ihnen nicht den Glanz nehmen. So blieb ihm als Ausrüstung nur das, was er ohnehin besaß, und das war keineswegs viel. Die Bräuche verlangten, dass seine Verwandten ihn hier trafen, um ihm Beistand zu leisten und ihn auszustatten. Doch darauf konnte Nuramon sich nicht verlassen. Auf der steinernen Bank gegenüber der Nische saß weder ein Verwandter, noch lag dort irgendeine Gabe.
Hatte die Königin ihm nicht eine große Ehre erwiesen, dass sie ihn zur Elfenjagd berufen hatte? Hatte er es nicht verdient, dass seine Sippe, wie es üblich war, zu ihm kam, um ihm ihre Freude zu zeigen? Stattdessen hatte sich jedermann überrascht gezeigt. Sie machten sich nicht einmal mehr die Mühe zu flüstern, wenn sie über ihn spotteten. Er war ein Ausgestoßener, und er war sich sicher, dass nicht einmal die Königin etwas daran ändern konnte.
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